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Re: Zeitzeuge:Unruhen in Tunesien nach Selbstmord in #sidibouzid
[Re: Hasina]
#340305
28/12/2010 12:50
28/12/2010 12:50
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Joined: Dec 2002
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Nela
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hier
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Re: Zeitzeuge:Unruhen in Tunesien nach Selbstmord in #sidibouzid
[Re: Nela]
#340309
28/12/2010 14:10
28/12/2010 14:10
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Uwe Wassenberg
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@aaaaa: Ich glaube, die damalige Wende, als sich die Bürger aus Ostdeutschland vom SED-Regime befreiten, kann man durchaus als friedliche Revolution bezeichnen. Meine persönliche Einschätzung ist die, dass die Chance für Tunesien noch nie so groß war, wie jetzt. Die derzeitige Bewegung des Volkes muss noch ein paar Tage durchhalten, bis die Studenten, die bisher wegen der Weihnachtsferien auf das ganze Land verteilt sind, zurück an den Universitäten sind. Dann kann es auch in den Universitätsstädten wie Tunis zu richtig großen Demonstrationen kommen, wo mehr als nur ein paar Tausend Leute kommen. Schon jetzt gibt es Aufrufe für den "Sturm auf Carthage". Allerdings muss man auch aufpassen, religiöse Fanatiker und Islamisten versuchen schon, die Gunst der Stunde auszunutzen, um das verhasste "westliche" Regime von Ben Ali zu stürzen. Mit der Armee könnte die Regierung sich ein Eigentor schießen, viele der Soldaten sind genauso unzufrieden wie das Volk und auch oft nicht freiwillig beim Militär, und ob die auf ihre Brüder und Schwestern schießen würden, zumal ja Familienmitglieder unter den Demonstranten sein könnten? Bei der Polizei ist es ähnlich, bisher wurden bei Unruhen jeweils Polizisten aus anderen Regionen des Landes eingesetzt, um Verbrüderungen zu vermeiden, ob das bei großflächigeren Protesten noch möglich sein wird, wage ich zu bezweifeln. Bei der gestrigen Demonstration in Tunis gab es Polizisten, die im Gegensatz zu ihren Kollegen die Schlagstöcke über die ganze Zeit im Gürtel beließen oder sich in irgendwelchen Hauseingängen rumdrückten. Bedenken habe ich bei den Truppen des Innenministeriums, vergleichbar mit der Stasi oder den revolutionären Garden im Irak oder den Basij im Iran. Auch zeigen sich Auflösungserscheinungen in den Staatsorganen, so sind heute wieder Juristen, Anwälte und sogar Richter in voller Amtstracht auf der Straße. Zum Schluss noch ein Video von Emel Mathlouthi, die bei der Demo in Tunis gestern auch anwesend war (auch für Nicht-Mitglieder von Facebook einsehbar): https://www.facebook.com/video/video.php?v=1761666809801&oid=141286092575575&comments
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Re: Zeitzeuge:Unruhen in Tunesien nach Selbstmord in #sidibouzid
[Re: Uwe Wassenberg]
#340324
28/12/2010 22:48
28/12/2010 22:48
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Joined: Apr 2006
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Frogger
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Meine persönliche Einschätzung ist die, dass die Chance für Tunesien noch nie so groß war, wie jetzt. Die derzeitige Bewegung des Volkes muss noch ein paar Tage durchhalten, bis die Studenten, die bisher wegen der Weihnachtsferien auf das ganze Land verteilt sind, zurück an den Universitäten sind. Dann kann es auch in den Universitätsstädten wie Tunis zu richtig großen Demonstrationen kommen, wo mehr als nur ein paar Tausend Leute kommen.
Ich sehe (bisher) nicht, daß es "die Intelligenz" ist, die dort auf die Straße geht - jedoch sind erfolgreiche Revolutionen so gut wie immer die Bedingung dafür gewesen, denn die Mär vom armen Volk, das sich erhebt und eine Änderung herbeiführt, ist nicht wahr. Zudem ist mir aufgefallen, daß auch die Gewerkschaften, von denen es in Tunesien auch noch einige mit marxistischem Gedankengut gibt, versuchen, am Rad zu drehen. Insgesamt glaube ich eher, daß die Proteste nach einem Einsatz der Armee mit diversen Toten zusammenbrechen werden, die Führungsschicht ist noch zu stark ökonomisch und auch personell verwurzelt. Denkbar wäre vielleicht, jetzt oder bald, ein Rücktritt zugunsten eines durch eine Neuwahl zu wählenden Familienmitgliedes. Was aber ist die Alternative, wenn eine Revolution stattfindet? Es mangelt an geeigneten Führungsleuten, denn es gibt keine herausragenden Oppositionspolitiker, bei einer notwendigen Enteignung derzeitiger Machthaber würden große Teile der Wirtschaft ausgerissen, so ist z.B. fast die gesamte Presse, TV und Radio in Händen der Präsidentenfamilie, zudem auch ein Teil der Banken. Touristen sind nicht geneigt, in ein Land, das gerade einen unfriedlichen Regimewechsel hatte, zu reisen - und wenn sie es wären, so wären noch immer die Reiseunternehmen dazwischen, die lieber stabile Verhältnisse sehen. Und schließlich werden auch ausländische Investoren mindestens unruhig werden. Das Land wird bei einem jetzigen unfriedlichen Regimewechsel die Leiter herunterfallen, anstatt hinaufzuklettern oder darauf stehenzubleiben, zumindest für einige Jahre. Inwieweit sich religiöse Strömungen dies zunutzemachen, bleibt abzuwarten, ist aber stark anzunehmen, wenn man die Lage des Landes betrachtet. So sehr ein Wechsel des Regimes und politischen Systems auch zu befürworten ist, sehe ich dafür im Moment keine oder allenfalls extrem geringe, tatsächliche, Chancen, die ein positives Ende haben. Ich halte es eher für wahrscheinlich, daß in absehbarer Zeit ein weiterer "Aufstand" des Volkes das Faß zum Überlaufen bringen und erst dann die Kugel rollen wird. Was von jetzt bis dahin geschehen wird - Appeasement durch die Regierung mit scheinbarem Entgegenkommen an das Volk, Absetzbewegungen (auch physisch) einiger Mitglieder, hartes Unterdrücken des Widerstandes, bleibt abzuwarten und ist mangels einer organisierten Opposition nicht vorauszusagen - vieles geschieht derzeit aus der Dynamik des Augenblicks heraus und die vom Aufstand überraschte Regierung hat, nach einer Anlaufzeit, sicherlich die besseren, schlagkräftigeren und dauerhafteren Karten in der Hand. Eines dürfte jedoch sicher sein: Der Tourismus und die ausländischen Investitionen werden die ersten Bereiche sein, in denen sich schon schnell negative Entwicklungen äußern werden - und es darf als ebenso sicher gelten, daß, um ein anschauliches Beispiel zu gebrauchen, die herausgedrückte Zahnpasta des Unwillens in Tunesien nicht mehr in die Tube hineinzubekommen ist.
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Re: Zeitzeuge:Unruhen in Tunesien nach Selbstmord in #sidibouzid
[Re: Frogger]
#340325
28/12/2010 23:04
28/12/2010 23:04
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Kimou
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Deutschland
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Ich sehe (bisher) nicht, daß es "die Intelligenz" ist, die dort auf die Straße geht - jedoch sind erfolgreiche Revolutionen so gut wie immer die Bedingung dafür gewesen, denn die Mär vom armen Volk, das sich erhebt und eine Änderung herbeiführt, ist nicht wahr. Zudem ist mir aufgefallen, daß auch die Gewerkschaften, von denen es in Tunesien auch noch einige mit marxistischem Gedankengut gibt, versuchen, am Rad zu drehen.
Dann hast Du wohl die Proteste von den etlichen Anwälten verpasst, die mit ihren roben auf die Strasse sind.
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Re: Zeitzeuge:Unruhen in Tunesien nach Selbstmord in #sidibouzid
[Re: Kimou]
#340327
28/12/2010 23:27
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Frogger
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Das sind aber nicht die, die Steine werfen und Reden schwingen - und selbst wenn, dann wäre es nur eine Minorität.
Revolutionen werden so gut wie immer von einer Intelligenzschicht getragen, die sich nach ihren Bemühungen unterwertig eingesetzt - oder gar nicht eingesetzt - sieht. Diese Schicht gibt es in Tunesien, und sie ist sogar sehr stark, doch bislang nicht genügend aktiv. Vermutlich schauen sich diese, die eine Menge zu verlieren haben, an, wohin der Wind wehen wird und gehen dann an Bord, wenn sie sich ute Chancen versprechen oder aber der Leidensdruck groß genug ist.
Die "Armen und Entrechteten" hingegen haben so gut wie noch nie eine Revolution erfolgreich durchgeführt, und solange sie hauptsächlich unter sich bleiben und so weitermachen, wird die Situation tendenziell eher böse enden.
Im Iran, damals, war die Chance um einiges größer, denn dort haben die Studenten in erster Reihe gestanden - doch der Mut hatte sie verlassen und ihre Anzahl war zu gering. Einen erneuten Aufstand wird der Iran allerdings nicht überstehen - und das glaube ich auch für Tunesien.
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