Ein deutscher Drahtzieher des Djerba-Attentats?
Paris (AP) Es ist der 11. April 2002, 09.35 Uhr, sieben Monate nach den Terroranschlägen von New York. «Wir waren drin in der Synagoge, auf ein Mal fing alles an zu knallen», erinnert sich eine deutsche Augenzeugin. «Die Tür fiel zu, das Feuer brach aus, und man hörte nur noch Schreie.» Der Tunesier Nisar Nawar war mit einem Lastwagen mit 5.000 Litern Flüssiggas in die Ghriba-Synagoge auf der Ferieninsel Djerba gerast.
Der Explosion und dem folgenden Flammeninferno fielen 21 Menschen zum Opfer: 14 deutsche und zwei französische Touristen sowie fünf Tunesier. Von den Verletzten blieben mehrere durch schwerste Verbrennungen für ihr Leben gezeichnet.
Fast sieben Jahre später wird den Hintermännern vor einem Pariser Schwurgericht der Prozess gemacht. Auftakt des Verfahrens ist am Montag. Als Auftraggeber und Planer gilt Khalid Sheikh Mohammed, der als mutmaßlicher Kopf der Anschläge vom 11. September von den USA im Lager Guantanamo festgehalten wird. Verantworten muss sich auch der Bruder des Selbstmordattentäters, Walid Naouar.
G. soll «Segen» für Anschlag erteilt haben
Mit größter Spannung wird aber der Auftritt des Deutschen Christian G. erwartet. Laut französischen Ermittlern war er ein Vertrauter von Osama bin Laden und erteilte dem Attentäter den «Segen» für das Blutbad.
Alle drei Verdächtige sind wegen Beihilfe zum Mord und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt, ihnen drohen lebenslange Haftstrafen. Al Kaida hatte sich zu dem Attentat bekannt.
Im Prozess könnte nicht nur die Vorgeschichte des Djerba-Anschlags aufgerollt werden. Christian G. war nach Pariser Darstellung eine Schlüsselfigur von Al Kaida, die sich nicht nur um die Internetaktivitäten des Terrornetzes kümmerte, sondern auch mit Kurierdiensten zwischen Bin Laden und Sheikh Mohammed betraut war. Sollten sich die Verdächtigungen in dem Verfahren bestätigen, wäre dies ein herber Schlag für die deutschen Terrorfahnder, die G. nach einer Festnahme unmittelbar nach dem Anschlag mangels Beweisen laufen ließen.
G. weißt alle Anschuldigungen entschieden zurück. In einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel, der der AP vorliegt, bittet er um Prozessbeistand: «Neben den deutschen bestätigen auch die spanischen, tunesischen, saudiarabischen und Schweizer Ermittler, dass ich weder ein Terrorist noch ein hochrangiges Al-Kaida-Mitglied bin, noch in das Attentat von Djerba involviert sei», schreibt der Angeklagte aus der Zelle. Es sei abzusehen, dass das Verfahren in Paris «politisch motiviert sein wird». Der damalige Innenminister und heutige Staatspräsident Nicolas Sarkozy hatte G. bereits im Juni 2003 als ranghohes Al-Kaida-Mitglied verdächtigt.
Der 42-Jährige Einwanderer aus Polen lebte 2002 mit seiner Familie in Duisburg. Er war zum Islam übergetreten, hatte die Universität Medina in Saudi-Arabien besucht und war ab 1999 mehrmals nach Afghanistan gereist. Französische Ermittler verfügen Medienberichten zufolge über ein Video, das ihn zusammen mit Bin Laden zeigt.
Verhaftung wegen Gesetzeslücke nicht möglich
Der deutsche Verfassungsschutz ließ das Telefon G.'s wegen dessen radikaler Ansichten abhören. So fingen die Fahnder am Morgen des 11. Aprils ein Gespräch ab, das G. aus Djerba erhielt. Darin soll Nawar um den Segen für den Terroranschlag gebeten haben. Die angebliche Antwort: «So Gott will.» G. selbst erklärt dazu in seinem Brief an Merkel, im Islam könne man nicht «einen Segen erteilen». Nach anderen Interpretationen gab G. gar durch ein Gebet verschlüsselt den Auftrag.
Er wurde vernommen, räumte das Telefonat ein, wies aber jeden Zusammenhang zu dem Attentat zurück. Ein Haftbefehl wurde vom Bundesgerichtshof abgelehnt. Eine Verhaftung wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung war aufgrund der Gesetzeslage nicht möglich, erst Ende April 2002 wurde die Gesetzeslücke mit einem Nachtragsparagraphen geschlossen.
Im November 2002 verließ G. mit seiner Familie Deutschland und ließ sich in Saudi-Arabien nieder. Zunächst unbehelligt, bis ihn die saudischen Behörden nach der Anschlagsserie von Riad aufgriffen und nach Deutschland auswiesen. Der französische Geheimdienst fing ihn nach Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden im Juni 2003 bei der Zwischenlandung in Paris ab, seitdem sitzt er dort in Untersuchungshaft.
Das Verfahren ist auf vier Wochen angelegt. Es ist die bislang spektakulärste Aufarbeitung des Brandanschlags. Ein Onkel des Attentäters wurde bereits von einem tunesischen Gericht zu 20 Jahren Haft verurteilt, weil er seinem Neffen beim Befüllen des Gastanks geholfen haben soll.
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