...Was ist denn für dich die Wirklichkeit? Disko, Saufen und Schweineschnitzel essen?...
Nein, doch das ist ein Teil von ihr, das vielleicht nicht jedem gefällt, aber das nichtsdestotrotz existiert. Es hiölft nicht, den Kopf in den Sand zu stecken oder die Augen verschämt oder hochmütig abzuwenden, denn das läßt die Realität weder verschwinden, noch veranlaßt es diese, wegen der eigenen vermeintlichen Unsichtbarkeit auf einen selbst Rücksicht zu nehmen.
...Dein Problem ist nur, dass Du keine guten Muslime kennst und auch sonst leider sehr wenig Ahnung über den Islam hast und daher Du von der Realität weit entfernt bist...
Dein Problem dagegen ist es, daß Du Dich weit entfernt von Deinem Heimatland aufhälst und die "tägliche Realität" dort einfach nicht mehr kennst bzw. davor die Augen verschließt.
...Ich kenne el7amdoulillah viele gute Muslime und von denen hat kein Einziger die Bodenhaftung verloren...
Davon kenne ich womöglich, sogar sehr wahrscheinlich, mehr als Du. Und keiner von denen baut eine sprachliche Barriere auf, keiner versucht, andere mit dem "besseren" Leben zu überzeugen oder ihnen das "schlechtere" Leben vorzuhalten. Alles verläuft sehr unaufgeregt, es gibt einen lebhaften und gegenseitig akzeptierten Austausch von Ansichten, bei denen jeder weiß, daß der andere nach anderen Regeln lebt und in erster Linie daran interessiert ist, diese kennenzulernen, doch nicht selbst anzunehmen.
Und selbst die "modernen" Menschen übernehmen, anders als ihre Landsleute weit entfernt in Europa denken, nicht alles Schlechte der Welt, sondern dehnen ihren Freiraum spielerisch und experimentell nach und nach weiter und in Teilbereichen aus. Es ist eine Gesellschaft, die sich im Umbruch befindet, und nicht etwa, weil es ihr von außen aufgezwungen wird, sondern weil der Wunsch dazu aus ihr selbst heraus kommt. Die muslimische Gesellschaft ist, ebenso wie die christlich-westliche, keine Insel der Glückseligen, sondern ein Leben zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen übertragenen und erworbenen Werten und zwischen Zwang und Wünschen.
Ich verstehe es, daß man in der Fremde gerne die Traditionen und Sitten des Heimatlandes hochhalten will, daß man sich entweder als Botschafter seiner Welt verhält oder in vorderter Front als Bollwerk gegen die Anderartigkeit versteht - doch man sollte sich dabei sehr genau vorsehen und immer wieder rückversichern, ob das, was man da repräsentieren will, überhaupt noch so besteht, wie man es in seiner eigenen Vorstellung glaubt, oder ob man am Ende nicht zwischen allen Stühlen sitzt und nur noch in seiner eigenen Wirklichkeit, nämlich der, die man sich selbst im Laufe der Zeit so zusammengebaut hat, lebt.
Auch jemand, der erfahren ist und jemand der viele Jahre zählt, wird jeden Tag etwas neues lernen und sehen, es liegt aber an ihm, ob er dies in einen Kontext der sich ständig ändernden Realität oder nur des eigenen, statischen, Weltbildes setzt - ob er Änderungen erkennt, wenn er sie sieht und sein eigenes Leben den dynamischen Änderung anpaßt und in ständiger Rückkopplung den für ihn gangbaren Weg zwischen den Polen sucht, oder ob er sich auf eine radikale und dann unter Umständen zunehmend isolierte Position zurückzieht und diese zu verteidigen sucht.