Ich habe in den 90er Jahren diverse Beziehungen in andere Länder/Kontinente durch das Internet begonnen, mich allerdings nie in den einschlägig bekannten Chaträumen aufgehalten, man traf sich eben sozusagen zufällig mal irgendwo. Aber ebenso, wie man Beziehungen bei Geschäftstreffen, Familienfeiern, etc. beginnt, sieht es auch bei denen aus, bei denen man die Personen über das Medium Internet zu erstenmal "trifft" oder mit ihnen spricht.
In Tunesien kann es z.B. auch vorkommen, daß man Beziehungen übers Telefon beginnt, sich erst viel und lange unterhält, und sich dann erst zum erstenmal "in persona" trifft - da sehe ich nur wenige Unterschiede zum Kennenlernen per Schreibtastatur...
Prinzipieller Nachteil ist halt, daß man die andere Person nicht wirklich sieht, und Fotos meist geschönt oder veraltet sind <g>, zudem entfällt eine wesentliche biologische Filterfunktion (pheromonbasierte Partnerwahl), die auf das Partnerwahlverhalten einen sehr hohen Einfluß hat. Hinzu kommt, daß man zwar in persona, doch nicht per Internet oder Telefon kommunizieren kann, wenn es an gemeinsamer Sprache und intellektuellen Voraussetzungen fehlt.
Der Vorteil besteht andererseits darin, daß man ohne Zeitdruck handelt, eine andere Person ohne Einfluß der physischen Attraktivität und optischen Balzverhaltens einschätzt und kennenlernt und die Person sozusagen beim ersten persönlichen Treffen schon "lange" und "genau" kennt (ich setze hier voraus, daß die Beteiligten ehrlich und ernsthaft an einer Beziehung interessiert und zueinander sind). Da kann es dann schon passieren, bzw. es ist sogar wahrscheinlich, daß gleich das erste Date gewollt im Bett endet, und damit dann die bisher fehlenden Informationen physischer Art schnell und geballt erworben werden.
Der "Cyberchat-" und "Telefonsex" und zwar NICHT der gegen Bezahlung, sondern der kostenlose und gegenseitig gewollte zwischen ernsthaften Partnern, entstand übrigens auch in den 90er Jahren Hand in Hand mit dem Voranschreiten der neuen Kommunikationstechnologien und brachte in den Fällen, wo sich die Partner noch nicht persönlich gesehen hatten, sehr interessante neue Aspekte in die Beziehungsfindung hinein, da fanden oft nicht nur die ersten Gespräche, sondern auch die ersten Orgasmen statt, bevor sich die Beteiligten auch nur einmal persönlich begegnet waren.
Heute, glaube ich allerdings, ist die Nutzung der Kommunikationsmittel und die dahinterstehenden Wünsche und Erwartungen sehr entzaubert und degradiert. Wenn ich typische Chaträume betrete, stellt sich bei mir eher Anwiderung als freudige Erwartung ein - und beim Telefon tickt eher der Gebührenzähler, als die Erregungsuhr...
