Kati allein dieser Bericht zeigt, das es Frauen einfach mal so von der Straße weggenommen und verurteilt werden.

Scharia in Indonesien (Einfalt gegen Vielfalt)

Seit Einführung der an die Scharia angelehnten Regionalgesetze in einigen Provinzen Indonesiens hat sich das gesellschaftspolitische Klima in dem bevölkerungsreichsten muslimischen Land verschärft. Doch es regt sich auch Widerstand, wie Christina Schott aus Jakarta berichtet.

Eigentlich wollte Lilies Lindawati am Abend des 27. Februar dieses Jahres einfach nur von der Arbeit nach Hause fahren. Die 35-jährige Fabrikarbeiterin hatte Spätschicht und wartete wie jeden Abend in der Industriestadt Tangerang – vor den Toren der indonesischen Hauptstadt Jakarta – auf den Anschlussbus zu ihrem Heimatort.

Wenige Tage zuvor jedoch hatte die Stadt Tangerang ein neues Anti-Prostitutionsgesetz erlassen, nachdem Frauen, die bei Dunkelheit allein unterwegs sind, beweisen müssen, dass sie keine Prostituierten sind. Die Polizei verhaftete die zweifache Mutter, angeblich weil sie Lippenstift trug, und hielt sie fest, ohne ihre Angehörigen zu informieren.

Erst nach drei Tagen fand Lilies Ehemann heraus, wo sie war – nachdem sie gerade trotz aller Unschuldsbeteuerungen zu 300.000 Rupiah (rund 26 Euro) Strafe wegen Prostitution verurteilt worden war. Das entspricht fast einem halben Monatslohn eines Arbeiters in Tangerang.

Lilies teilt ihr Schicksal mit rund zwei Dutzend anderen Frauen, die sich aus Scham nicht an die Öffentlichkeit gewagt haben. Allerdings ist dies nur ein Beispiel von vielen im Land mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt.

Scharia-Bylaws

In Makassar, der Hauptstadt von Süd-Sulawesi, dürfen Schülerinnen seit diesem Schuljahr nur noch lange Röcke tragen, und in einer Kleinstadt in West-Sumatra dürfen selbst Nicht-Musliminnen nur noch mit Kopftuch aus dem Haus: Seit der Einführung der regionalen Autonomie im Jahre 2000 haben 22 Kommunen und Bezirke in 16 der 32 Provinzen des Landes so genannte Bylaws mit Teilen der Scharia eingeführt.

Fast immer geht es dabei vor allem um einen intensivierten Koranunterricht für Schulkinder, den Kopftuchzwang für Frauen oder schwere Strafen bei unehelichem [~~~~], starkem Alkoholmissbrauch und Glücksspiel.

Nur in der Provinz Aceh, deren Küsten Ende 2004 vom Tsunami zerstört wurden, sind Teile der Scharia tatsächlich auch von der Zentralregierung verabschiedet worden. Seit vergangenem Jahr laufen unverheiratete Liebespärchen oder unvorsichtige Pokerrunden in der ehemaligen Bürgerkriegsregion Gefahr, öffentlich vor einer Moschee mit Rattanstöcken verprügelt zu werden.

Widerstand gegen Umsetzung der Scharia

Entgegen offizieller Umfragen zeigen sich allerdings große Teile der acehnesischen Bevölkerung nicht einverstanden mit einer derartigen Umsetzung der Scharia. "Das liegt daran, dass immer nur einfache Leute für kleine Delikte auf diese Weise bestraft werden, aber zum Beispiel nie jemand in einer hohen Position für Korruption", erklärt die Menschrechtlerin Azriana Rambe Manalu.

Um die Verfassungsmäßigkeit der Scharia-Bylaws in den übrigen Provinzen streiten sich im nationalen Parlament zurzeit 156 Gegner mit 134 Befürwortern. Die 1945 gegründete Republik Indonesien ist nach wie vor ein säkularer Staat, der sich auf die fünf Säulen der Staatsphilosphie Pancasila stützen, die sowohl verschiedene Religionen als auch verschiedene Sprachen und Kulturen zu integrieren versucht und auf das Motto "Einheit in Vielfalt" baut.

Glaubt man den Umfragen, dann ist der überwiegende Teil der indonesischen Muslime nach wie vor moderat eingestellt. Doch hält sich die große Masse beim Konflikt zwischen Pancasila und Islam zurück – genauso wie die übrigen 260 Parlamentarier und viele hochrangige, indonesische Politiker, die es sich nicht mit dem religiöseren Teil der Bevölkerung verderben wollen.

Anders die Nadhlatul Ulama (NU): Die größte muslimische Organisation des Landes hat sich eindeutig gegen die Einführung der Scharia-Bylaws ausgesprochen. Die hochrangigen Islamgelehrten haben auf der NU-Jahresversammlung Ende Juli bekräftigt, dass sie den Pluralismus des Vielvölkerstaats Indonesien genauso hochhalten wollen wie die Pancasila. "Der Staat riskiert seinen Zerfall, wenn einige Gruppierungen weiterhin versuchen, Indonesien in einen islamischen Staat zu verwandeln", sagte der NU-Vorsitzende Hasyim Muzadi.

Sittenwächter und radikale Schlägertrupps

Nichtsdestotrotz spricht sich die NU für strengere Gesetze gegen Pornographie und unmoralische Handlungen aus, die vor allem bei jungen Leuten zu einem hedonistischen Lebensstil führen könnten. Damit spielen sie Gruppierungen wie der Islamischen Verteidigungsfront (FPI) oder der Partei für Gerechtigkeit und Wohlfahrt (PKS) in die Hände.

Meist ungehindert von der Staatsmacht, organisieren die radikalen Schlägertrupps der FPI immer wieder Übergriffe auf ihrer Meinung nach unmoralische Einrichtungen – sei es eine Kunstausstellung mit Aktbildern oder die Redaktion des indonesischen Playboy.

Die PKS dagegen mobilisiert seit Anfang des Jahres die Massen, um einen viel umstrittenen Entwurf für neue Anti-Pornographie-Gesetze durchzusetzen. Danach würden für Frauen im ganzen Land neue Kleidervorschriften gelten und der freie Ausdruck in Kunst und Medien stark eingeschränkt. Öffentliche Küsse könnten Gefängnisstrafen nach sich ziehen.

Das größte Potential zur Radikalisierung der Muslime in Indonesien liegt nach Ansicht des Islamwissenschaftlers Farhan Effendi in der mangelhaften Ausbildung. Die meisten Schulen Indonesiens leiden an notorischem Geld- und Lehrermangel, und im Religionsunterricht lernen Schüler häufig einfach nur den Koran auswendig, ohne Arabisch oder den historischen Kontext des Islam zu verstehen.

Da sich den jungen Leuten heute kaum alternative Werte-Muster bieten, an denen sie sich orientieren könnten, ist die Gefahr groß, dass sie sich fanatischen Gruppen anschließen. "Solche Leute halten sich später an reinen Formalien fest und kauen alles nach, was ihnen jemand anders vorhält", so Effendi. "Und solange ihnen bei ihren Aktionen niemand Einhalt gebietet, glauben sie sich natürlich im Recht."

Christina Schott
© Qantara.de 2006
http://www.qantara.de/webcom/show_article.php/_c-638/_nr-16/_p-1/i.html?PHPSESSID=.

Ich weiß diese Artikel sind lang, aber kürzen bringt recht wenig. Ich finde es sehr hart und kann es nicht verstehen, wie man dies gut heißen kann.

Hier noch ein Artikel: http://www.im.nrw.de/sch/595.htm

Claudia