Wie lange braucht der Zug von Amsterdam nach Enschede?

Prominente Niederländer erweisen sich bei solchen Fragen nicht als einwanderungstauglich - Zuwanderer sollten es besser wissen, denn das Nachbarland wird strenger

von JEANNETTE GODDAR

Spätestens seit dem Mord an dem islamkritischen Filmemacher Theo van Gogh ist der Verweis auf die Niederlande ein beliebter Beitrag in jeder Integrationsdebatte. Viel zu lange, heißt es häufig, hätten die liberalen Holländer eingewanderte Minderheiten neben der Mehrheit herleben lassen, ohne auf die Vermittlung von Sprache und Kultur Wert zu legen.


Molukker lernten Fahrradfahren

Tatsächlich aber haben die Niederländer bereits in den 50er-Jahren mit Integrationskursen experimentiert: Um sie in ihrer Heimat keiner Gefahr auszusetzen, schifften die Niederlande nach der indonesischen Unabhängigkeit 1952 christliche Molukker ins Land, die auf der Seite Den Haags in Asien gekämpft hatten. Nach ihrer Ankunft wurde den Indonesiern in einem kleinen Kurs typisch Holländisches und Praktisches beigebracht: Fahrradfahren zum Beispiel und wie man Kartoffeln schält: mit der Schneide des Messers zu sich hin und nicht andersrum.


Welche Rolle spielt dei Königin?

In den 60er-Jahren gelangte man zu der Überzeugung, derartige Heimatkunde sei paternalistisch und stellte sie wieder ein. 1994 einigte sich die Zweite Kammer über einen "Einbürgerungsvertrag". In einem Kurs sollten Einwanderer die Sprache sowie Gepflogenheiten der Gesellschaft lernen: Wofür sind die einzelnen Ämter zuständig, welche Rolle spielt die Königin, wie viele Streifen stemple ich ab, wenn ich mit der Straßenbahn zum Bahnhof fahre? Und in Rollenspielen lernten sie, dass man sich am Telefon nicht mit "Hallo", sondern mit dem Namen meldet, und wie sie einen Antrag auf Kindergeld ausfüllen müssen.


600 Stunden Sprache und Kultur

Seit 1998 sind Integrationskurse verpflichtend für alle Neuankömmlinge, die nicht aus der EU, der Türkei, Polen oder den USA stammen und dauerhaft im Land bleiben wollen. 600 Stunden lang vermitteln Kursleiter Sprache und Kultur, organisiert von den Kommunen und ausgerichtet von Anbietern des Bildungsmarktes. Im Vergleich zu Deutschland, wo pro Teilnehmer und Stunde zwei Euro investiert werden, ist das holländische Vorbild prächtig ausgestattet: Sechs Euro kostet jeder Kursteilnehmer den niederländischen Staat in jeder Stunde. Nur bei konsequentem Nichterscheinen sollen die Teilnehmer zur Kasse gebeten werden. Der Erfolg, fand im vergangenen Jahr eine Kommission heraus, ist mäßig: Weniger als 40 Prozent können nach Kursende selbstständig ein einfaches Gespräch auf Niederländisch führen.


Tests schon in der Heimat

Künftig soll gegenüber Neueinwanderern, die zumeist im Rahmen einer Heirat oder eines Familiennachzugs ins Land kommen, ein anderer Ton angeschlagen werden: In ihrem dritten Amtsjahr hat die rechtsliberale Integrationsministerin Rita Verdonk (siehe Foto) durchgesetzt, dass jeder Einwanderungswillige schon in der Heimat getestet wird. Möglichst schon ab März sollen die niederländischen Botschaften einen Test durchführen, der Sprache wie Landeskunde abfragt. Nur wer besteht, bekommt ein Visum. Nach der Einreise soll in den Niederlanden ein weiterer Kurs folgen, der mit einer Sprachprüfung abschließt. Wer daran scheitert, bekommt künftig keine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung mehr.


Prominente nicht einwanderungskompatibel

Um einmal zu gucken, wie die Chancen auf Einreise so stehen, hat ein Fernsehsender dem für die Tests zuständigen Institut kurz vor Neujahr ein paar Testfragen entlockt und niederländische Prominente getestet. Sie mussten einige für Holland so unverzichtbare Dinge wie die Bedeutung Wilhelm von Oraniens oder der Königin wissen - und zahllose überraschende Details: Die Frage nach der Dauer einer Zugfahrt von Amsterdam nach Enschede war ebenso darunter wie jene, in welchen Müll das Frittierfett gehört. Kaum einer der Prominenten erwies sich als einwanderungskompatibel.


Zivilgesellschaftlicher Kodex

Der Test im Ausland ist aber nur ein Teil der Neuerungen, die Rita Verdonk zurzeit betreibt. Zusätzlich versucht sie durchzusetzen, dass in den Niederlanden nicht nur auf dem Schulhof, sondern allerorten Niederländisch gesprochen wird. Verdonk setzt sich deshalb für die Einführung eines zivilgesellschaftlichen Kodex ein, der jeden - allerdings ohne gesetzliche Bindung - verpflichtet, Holländisch zu sprechen. In Rotterdam, wo der populistische Rechtsaußenpolitiker Pim Fortuyn Anfang des Jahrtausends mit großem Erfolg seine politische Karriere begann, gibt es so etwas schon: "Wir Rotterdamer sprechen Niederländisch", heißt es im so genannten "Rotterdamcode" - "in der Schule, bei der Arbeit, auf der Straße und im Nachbarhaus."


Die Autorin ist Freie Journalistin in Berlin.


Letztes Update: 2. März 2006


http://www.uni-muenster.de/HausDerNiederlande/Zentrum/Projekte/NiederlandeNet/Dossiers/05/einbuergerungstest.html