(Fortsetzung)
Insofern ist es also ein Unterschied, wie man sich als "Mann" verhält und wie man als Mann denkt bzw, sich zu verhalten trachtet.
Ich habe in den letzten Jahren in Tunesien eine Menge gelernt, auch und besonders darüber, wie man sich richtig als "Mann" verhält - das geschieht insofern automatisch, als daß jeder männliche Familienangehörige einer tunesischen Frau (und darüberhinaus ungefragt generell jeder Mann, der es mitbekommt) sich dazu berufen fühlt, den "Fremdling" darüber aufzukären, was er tun muß und wie er sich zu verhalten hat.
Da ich solchen "guten Tips" erst einmal mißtraue, habe ich natürlich alle gehört, doch viele nicht befolgt und mich mehr oder weniger im "Selbstudium" gebildet <g>. Das war zwar um ein vielfaches teurer, als wenn ich den Lehrern gefolgt wäre, doch dafurch habe ich auch wertvolle Erkenntnisse darüber gewonnen, WARUM etwas so ist, wie es ist, bzw. WARUM etwas nicht funktioniert.
Ich bin heute in vielen Dingen ebenfalls paranoid, zumindest wenn ich in Tunesien bin - man läßt seine Frau nicht mehr in der Dunkelheit alleine auf die Straße, tief ausgeschnitten und mit kurzem Rock sowieso schon mal gar nicht, man beginnt damit, bei einem Anruf (auch mitten in der Nacht) als erstes zu fragen, wo jemand gerade ist und man erhält im Laufe eines Tages von wohlmeinenden Bekannten telefonische Hinweise darauf, wo die Frau mit wem gerade gesehen wurde - oder angeblich, was sogleich eine Kaskade von Anrufen, Unterstellungen und Ausreden oder Entschuldigungen auslöst (und natürlich - man revanchiert sich dann auch). Man kann sich dem einfach nicht entziehen, und wenn man nicht die Möglichkeit hätte, ab und an eine "Auszeit" fern von Tunesien zu nehmen, würde man darin versinken bzw. könnte dies - und sich selbst - überhaupt nicht mehr "von außen" beurteilen.
Was ich damit sagen will, ist, daß die Gesellschaft/Kultur dort ein extremes, unheimliches Potential zur Vereinnahmung hat, und zwar hauptsächlich deshalb, weil wirklich fast jeder am selben Strick zieht und dasselbe denkt, aller vorgeblichen Individualität zum Trotze. Das macht es aber nicht automatisch "richtig" - und das heißt auch nicht daß man sämtliche dortige Ansichten und Verhaltensweisen akzeptieren, noch nicht einmal tolerieren muß, und deshalb wehre ich mich energisch gegen die absolute Toleranz jedweder Fragwürdigkeit gegenüber. "Verständnis" zu haben bedeutet, daß man Beweggründe versteht - und nicht, daß man sie auch für gut oder richtig hält. Im Gegenteil - je größer das Verständnis, umso qualifizierter kann auch Kritik vorgetragen werden und umso sachkundiger kann man für sich selbst entscheiden, ob oder ob nicht das Verständnis in Akzeptanz mündet.