E R K E N N T N I S
Ein Traum von einem Mann

Frauen, die der Liebe wegen an ferne Strände reisen, gelten als Sextouristinnen. Doch ihre Lust segelt unter
romantischer Flagge, Heirat nicht ausgeschlossen. Ein Report aus Tunesien
Kresta
Kennen Sie mich nicht?«, fragt der junge Mann in Jeans, blau−rotem Plastik−Shirt und Badelatschen im
Zentrum Hammamets. »Ich arbeite doch als Kellner in Ihrem Hotel.« Mag sein, dass er in schwarzer Hose,
dezenten Schuhen und weißem Hemd anders, vielleicht auch vertrauenerweckender aussieht als in schnittiger
Freizeitkluft. Spätestens jedoch nach dem fünften Versuch eines Unbekannten, auf diese Art Kontakt zu
knüpfen, ist klar: Die vermeintlichen Bekannten wollen Touristen Souvenirs aufschwatzen, einfach nur ins
Gespräch kommen oder oft ganz zielgerichtet mit einer Frau anbandeln.
Hammamet ist neben Sousse und Monastir die touristische Hochburg Tunesiens. Mit langen Stränden und
einer überschaubaren Medina direkt am Meer. Trotz der riesigen Hotelanlagen, wo die Strandcharmeure
flanieren, ist Hammamet ein beschauliches Nest geblieben. Touristische Freizone mit deutscher Brauerei und
bevorzugter Ferienort der tunesischen Mittel− und Oberschicht: offen, freizügig, europäisch mit orientalischer
Kulisse. »Hammamet ist der liberale Vorort von Tunis«, sagt Lamia. »Anders als in Tunis kann man hier
ungestört in Shorts durch die Straßen laufen.« Die Versicherungsexpertin aus Tunis − Mitte 30, unverheiratet,
eine selbstständige, moderne Frau − verbringt hier viele Wochenenden mit Freunden, zu denen auch Raouf
gehört.
Professionelle Anmache
Raouf ist ein diskreter Plauderer. Sein Frisiersalon liegt mitten im Zentrum. Roter Plüsch und warme
Brauntöne. Hier schneidet der Chef noch selbst. Raouf kennt sich aus in Hammamet, wo man französische
Modeschöpfer und Starlets neben dauerurlaubenden deutschen Rentnern und Kleinfamilien in den
Sommerferien trifft. Und er kennt viele Geschichten, die von Strandcasanovas handeln und einsamen
Touristinnen, die besonders gern an Tunesiens Küsten reisen. Zum Beispiel die der 60−jährigen Deutschen
und ihres viel jüngeren tunesischen Liebhabers, den sie mit nach Berlin nahm und heiratete. Eine Story ohne
Happy End: Der schöne 20−Jährige wurde schnell flügge, erzählt Raouf, und ging nach dramatischer
Trennung seine eigenen Wege.
Raoufs Herzgeschichten gehören zum Urlaubsalltag − nicht nur in Tunesien. Ob in Kenia oder auf Jamaika,
im Senegal, in der Türkei oder auf Kuba: in Diskotheken und Bars südländischer Urlaubsländer, meist
Männergesellschaften mit großem ökonomischen und sozialen Gefälle, funktioniert die Anmache zwischen
einheimischem Mann und ausländischer Frau glänzend und oft professionell. Der Südmann lockt. Die Zahlen
sprechen für sich: Allein 1500 deutsche Frauen informieren sich jedes Jahr in der Botschaft in Tunis über die
Formalitäten von Ausreise und Eheschließung mit einem tunesischen Partner. Manche Paare verwirklichen
ihren Traum vom gemeinsamen Leben an den Gestaden des Mittelmeers; bei den meisten besteht jedoch der
Wunsch, in Deutschland zu heiraten und zu leben.