Ein Fall, zwei Seiten
"Welt am Sonntag"-Autor Bruno Schirra traf in Amman zwei Geheimdienst- mitarbeiter, die an der Befreiung Susanne Osthoffs mitgewirkt haben. Ihre Aussagen unterscheiden sich in wesentlichen Punkten. Ein Bericht

Susanne Osthoff
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"Stille Nacht, Heilige Nacht", so tönt es dezent und stilgerecht auf deutsch. Doch die friedliche Botschaft hindert den Sicherheitsbeamten nicht, während die Musik spielt, einen Mord zu begehen. Zugegebenermaßen nur einen Rufmord - was die Sache allerdings nicht einfacher macht. Es ist der frühe Morgen des 23. Dezember, einen Tag vor dem Heiligen Abend. Und einer aus der Riege der Deutschen, die seit Wochen aus der jordanischen Etappe heraus bemüht waren, alles zu tun, um das Leben einer Frau zu retten, gibt jetzt sein Bestes, ausgerechnet dieses endgültig zu ruinieren.


Er sitzt in einer Ecke der Lobby des "Hotel Intercontinental" im jordanischen Amman und rät dem Reporter: "Gehen Sie mit Ihrem Computer online heute nacht. Wenn Sie sich über die Hintergründe informieren wollen." Und lächelt, sehr fein.


Dann führt er an, was anderntags im "Spiegel" zitiert werden wird: "Es ist eine Plage mit ihr." Und Frau Osthoff "möge doch bitte nach Alaska gehen oder sonstwohin, nur nie wieder nach Bagdad". Er lehnt sich zurück und fragt nach den "Millionen, die dieser Selbstverwirklichungstrip den Steuerzahler gekostet hat". Er nennt den genauen Preis, den Deutschland gezahlt hat. Aufschreiben darf man ihn nicht, aus Angst, Nachahmern damit Informationen zu liefern.


Susanne Osthoff lebt. Sie ist frei. Diese frohe Botschaft hätte die Weihnachtsnachricht dieses Jahres sein können, doch schon wird mit eiligster Beflissenheit gestreut, was das Leben der Frau, die - unverschuldet - 23 Tage lang als Geisel in Lagerhaft hat überleben müssen, künftig ruinieren wird. Naiv sei sie gewesen, unverantwortlich. Zudem habe sie nicht mehr zur Solidargemeinschaft der Deutschen gehört, habe sich, da zur Muslima geworden, quasi selbst ausgebürgert.


Der Beamte, der von sich sagt, er sei südlich von München beheimatet, und damit die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Pullach meint, geht in dieser Nacht in der weihnachtlich geschmückten Lobby in Amman noch ein Stück weiter und füttert den Reporter damit, was in Zeitungen schon in der Nacht und anderntags als Verdachtsberichterstattung zu lesen sein wird. Sie habe "Kontakte gehabt". Solche der unanständigen Art. Susanne Osthoff sei schließlich entführt worden, weil sie für eine Spionin gehalten worden sei.


"Für wen sie gearbeitet hat?" Der Mann neigt den Kopf zur Seite, schaut sich angestrengt das Lebkuchenhaus an. "Lesen Sie keine Zeitungen?" fragt er. "Sie ist abgegriffen worden, weil man geglaubt hat, daß sie abgeschöpft worden ist." Selbstverliebt hängt er dem eigenen Wortspiel nach und legt beflissen nahe, daß, wer als westlicher Ausländer im Irak unterwegs ist, ja nicht wissen könne, "mit wem er redet". Eine Informantin ohne böse Absicht also soll Osthoff gewesen sein.


Susanne Osthoff lebt. Ist weg aus dem Irak und sucht jetzt Ruhe. Fernab wohlfeiler Bedürfnisse der westlichen Medienwelt. Wer sich dieser Tage in Amman und im Irak auf Spurensuche nach ihr und all den Umständen, die ihr Leben auseinandergerissen haben, begibt, der kann auch anderes hören als die harten Worte aus dem Munde des Deutschen.


Sachlicheres. Informationen von den Menschen, die viel näher dran waren an der Befreiung. Einer, der seinen Schreibtisch beim GID hat, dem jordanischen Geheimdienst, weist Spekulationen, Osthoff sei eine Spionin gewesen, zurück: "Die Frau ist sauber, und ist es immer gewesen."

Der Mann ist wütend. Darüber, daß als Faktum kolportiert würde, daß der Fahrer von Susanne Osthoff verdächtigt wird, Komplize der Entführer gewesen zu sein. Darüber, daß "Scheich Dschamali vom Stamm der Duleimi der Drahtzieher hinter ihrer Entführung sein soll". Darüber, daß über all dies "in Deutschland als Tatsachenbehauptung berichtet wird".


Der Ärger, mit dem er sich darüber ausläßt, bricht sich bahn. Er gibt Namen, Dienstrang und Dienststellen deutscher Beamter preis, mit denen er und seine Kollegen, wie er behauptet, engen Kontakt gehabt hatten. Während der Zeit der Verhandlungen. Beamte des Bundeskriminalamts (BKA), des BND und deutsche Diplomaten, die eigens aus Berlin eingeflogen wurden, seien dies gewesen. Jordanische Dienste waren eine der Anlaufstellen für die deutschen Kollegen. Hier holten sie sich Hintergrundwissen ab.

Der Duleimi-Stamm, dem der verdächtigte Scheich Dschamali angehören soll, ist nicht nur im Irak, sondern auch in Jordanien ansässig. Er war eine der Machtstützen von Saddams Regime. Viele Angehörige von Saddams Terrorstaat sind Angehörige dieses Stammes und heute im Entführungsgeschäft aktiv. Auf mehr aber als auf diesen Zusammenhang stütze sich der Verdacht gegen den Scheich nicht.


Deutschen Zeitungsberichten zufolge soll Dschamali Osthoff den Fahrer vermittelt haben, mit dem sie am 25. November von Bagdad zu einer Reise in den Norden Iraks aufgebrochen war. Bereits beim Verlassen der Stadt sei der Mann auffällig langsam gefahren und dann in einen Seitenweg abgebogen, wo Osthoff von Bewaffneten aus dem Auto gezerrt worden sei.


Der jordanische Geheimdienstmann hält nicht viel von dieser Version. Er zählt die Namen der deutschen Beamten auf, die seit Jahr und Tag auf "Dienstreisen in den Ländern der Region" unterwegs gewesen seien und es besser wissen müßten.


Warum macht er das? "Wegen einer gewissen Verlogenheit von eurer Seite", meint er kühl. "Ihr habt in diesem Fall eine Menge Geld bezahlt. Und selbstverständlich werdet ihr auch den politischen Preis zahlen. Und stellt euch dennoch als das ewig gute Weltgewissen dar", sagt er. "Gleichzeitig gebt ihr zwei Leute, den Fahrer von Susanne Osthoff und Scheich Dschamali, den Mann, dessen Gastfreundschaft sie genossen hat, zum Abschuß frei. Ohne Beweise. Über eure Medien."


Die Zahlung von Berlin an die Entführer sei über eine dritte Partei gelaufen, vergleichbar mit der Zahlung bei der Entführung der Wallerts aus Göttingen, als Libyens Staatschef Mohammed Gaddafi das Geld weiterleitete.


Das Gerücht eines politischen Preises hat das Auswärtige Amt selbst in die Welt gesetzt. Dafür hat das heftige Dementi gesorgt, wonach die Freilassung des libanesischen Hisbolla-Terroristen Mohammad Ali Hammadi Anfang der Woche nichts mit der Befreiung Osthoffs zu tun habe. In Amman hat man aber wenig Zweifel, daß das genaue Gegenteil wahr ist.


Der Grund, warum beide, Susanne Osthoffs Fahrer und der Scheich, sich bis zum heutigen Tag nicht gemeldet hätten, so erklärt der Geheimdienstler dann, sei einfacher. "Sie sind jetzt schon wegen des Verdachts gegen sie so gut wie tot. Egal ob sie etwas mit der Entführung zu tun hatten oder nicht."


Artikel erschienen am 25. Dezember 2005