Aus Ausgabe 50/04 | Diese Woche
Volk ohne Unterleib
Von Thomas Widmer

Der muslimischen Kultur war einmal nichts Sinnliches fremd, selbst Mohammed schätzte die Frauen sehr. Heute jedoch versuchen Imame auch den leisesten Schrei des Fleisches zu ersticken. Das gelingt natürlich kaum. Die Unruhe wächst. Der Islam hat ein: ***problem.

Was tun, wenn es im Leben nicht rund läuft? Der Muslim kontaktiert, wenn er Probleme hat, einen Religionsgelehrten seiner Wahl. Im Computerzeitalter tut er dies gern auch per Mail und formuliert zum Beispiel folgende Frage: «Von Berufes wegen muss ich viel auf dem Internet surfen, wobei auf meinem Computerschirm immer wieder Werbung auftaucht, von halbnackten Frauen etwa oder von Traumferienresorts. Manchmal laden mich Damen ein, sie durch ihre Webcam zu betrachten. In der Regel kann ich mich beherrschen aus Furcht vor Gott, doch bisweilen übernimmt Satan, worauf ich solche Sites besuche. Ist unter diesen Umständen Masturbation erlaubt, weil sie mich davor abhält, die Nacktbilder noch länger zu betrachten, und also unzüchtiges Treiben verhindert?»

Sidi Faraz Rabbani in Amman, Jordanien, weiss Rat. Er kann dem Mann allerdings nicht die erhoffte Lizenz zur Selbstbefriedigung erteilen: «Es handelt sich um eine falsche Fragestellung. Masturbation, die streng verboten ist, darf nicht die Lösung des Problems sein, dass du das Unerlaubte betrachtest. Sondern die Lösung muss sein, dass du aufhörst, diese Bilder zu betrachten. Da du dich mit Computern auskennst, weisst du ja, dass es Methoden gibt, solche Bilder am Auftauchen zu hindern.»

«Cyber-Fatwas» wie diese, auf dem Internet abgelegt, geben in ihrer Häufung zuverlässig Aufschluss über die Seelenlage der muslimischen Gemeinschaft. Sichtet man die gesammelten Gutachten, frappiert die Fülle von Fragen zu Anrüchigkeiten wie Online-*****grafie und per Post bestellbarem ***zubehör, zu Bodytrends wie dem Trimmen weiblichen Schamhaares und der Rasur männlichen Brusthaares, zu Gendertendenzen wie Bi***ualität oder freiwilligem Singletum. Auch die Anhänger des Islams können sich nicht vor den Verwirrungen der Moderne drücken.

Frage einer Muslima: Sind ***spielzeuge zulässig? Antwort eines Gelehrten: Nur jene Objekte, die nicht in den Körper eingeführt werden, also keine Dildos und dergleichen. Denn solche Objekte dürfen den Geschlechtsakt nur unterstützen, nicht aber ihn ersetzen. Es ist einem Mann auch nicht erlaubt, in eine künstliche Vagina zu onanieren.

Frage einer Muslima: Darf ich mir den Nabel piercen lassen? Antwort eines Gelehrten: Der Koran und das Beispiel des Propheten verbieten es, die Ungläubigen zu imitieren. Ohnehin gehört Piercing zum Niedrigsten, was es unter den Ungläubigen gibt. Gott hat uns in der besten Art geschaffen, wir sollten unsere Körper darum in ihrer Erscheinung nicht verändern.

Frage einer Muslima: Darf ich im Internet-Séparée mit einem muslimischen Bruder einen schriftlichen Chat führen? Antwort eines Gelehrten: Solche Gespräche tendieren in die Verführung. Es ist wesentlich, dass du streng mit dir selber bist. Vermeide es!

Frage eines Muslims: Darf ich Nacktfotos meiner Frau anfertigen? Antwort eines Gelehrten: Eheleute sollen beim *** nicht ganz nackt sein. Aischa, die Frau des Propheten, sagte: «Nie sah ich die Genitalien des Gesandten Gottes.» Daher: Nein!

Eine Abwehrschlacht gegen die Dauerattacken der Geschlechtlichkeit. Der Islam beharrt darauf, sämtliche Fragen des Lebens aus einem heiligen Buch abzuleiten, das vor 1400 Jahren einem Kaufmann am Rand einer Wüste durch einen Engel diktiert worden sein soll. Findet sich im Koran keine Antwort, ist die zweite Rechtsquelle Mohammed selber und dessen Lebenspraxis (Sunna), die in voluminösen Spruch- und Anekdotensammlungen überliefert ist.

Westen, Babylon

Doch während die Interpretatoren des Islams tapfer in die Vergangenheit blicken, bewegt sich ihre Klientel in die Zukunft – und dieser Spalt klafft immer weiter auseinander. Umso hilfloser klingen die Geistlichen im Einzelfall. Ebrahim Desai aus Camperdown, Südafrika, zum Beispiel. Als er mit einem von trans***uellen Anflügen gepeinigten Glaubensbruder konfrontiert ist, antwortet er: «Nimm an genuin männlich orientierten Aktivitäten teil und enthalte dich weiblich konnotierter Aktivitäten. Werde dir deiner Anomalität bewusst. Und suche ernsthaft den Beistand Gottes, um dich dieses Problems zu entledigen.»

Ein Opus-Dei-Mann würde in etwa dasselbe sagen. Der Unterschied ist bloss: Im christlich geprägten Westen, zumindest in Europa, hat sich eine Mehrheit vom Einfluss der Religion einigermassen emanzipiert. Herrscht Konsens darüber, dass Kirche und Staat getrennte Sphären sind. Muss sich die Religion damit bescheiden, auf die Politik nur sehr beschränkt wirken zu dürfen. Wohingegen der Islam vom totalisierenden Anspruch nicht lassen will, in allen Belangen des Lebens das Leitmedium seiner Anhänger zu sein. Die Scharia, das islamische Gesetz, ist alles andere als entmachtet – in vielen Ländern wirkt sie in alter Frische auf die Rechtsprechung und besonders auf das Familien- und Eherecht.

Wenn der islamische Geistliche dem frisch verheirateten Mann exakte Tipps zum ***uellen Vorspiel mit der Gattin gibt inklusive zu rezitierender Koranstellen, zu stimulierender Körpergegenden und zu vermeidender Positionen («auf keinen Fall in der Gebetsrichung nach Mekka»), so mutet das einen Europäer kurios an – soll die Theologie im Intimsten mitreden? Die amerikanischen Sozialwissenschaftler Pippa Norris und Ronald Inglehart versuchten die Divergenz von Ost und West zu vermessen, indem sie Menschen beider Zivilisationen auf ihre Weltanschauung testeten. Das Resultat ist bemerkenswert: Geht es um die Meinung zur Demokratie, so sind sich Morgen- und Abendländer praktisch einig: Fast gleich gross ist in beiden Welten die Mehrheit, die demokratische Werte befürwortet. Und diese «unité de doctrine» erstreckt sich auf alle politischen Fragen. Geht es hingegen um Geschlecht und ***ualität, ist der Unterschied der Werthaltungen durchgehend gross. Huntingtons berühmter Clash of Civilizations ist also bei genauer Betrachtung – ein ***ual Clash of Civilizations.

Stichwort Gleichberechtigung von Mann und Frau: 82 Prozent der Menschen im Westen befürworten sie, aber nur 55 Prozent im islamisch geprägten Raum. Stichwort Abtreibung: 48 Prozent Ja hier, 25 Prozent dort. Stichwort Homo***ualität: 53 Prozent Ja hier, 12 Prozent dort. Feiner nach Ländern aufgeschlüsselt, zeigt sich: In Deutschland lehnen 19 Prozent der Leute Homo***ualität ab, in Ägypten, dem bevölkerungsreichsten arabischen Land, 99 Prozent.

Umso drastischer können Ägyptens Behörden vorgehen, wenn ihnen wieder einmal eine Kampagne angebracht scheint. 2001 stürmten Polizisten in Kairo das «Queen Boat», einen schwimmenden Nachtklub auf dem Nil, und nahmen über fünfzig Männer fest. Der folgende Prozess, in dessen Vorfeld viele der Angeklagten gefoltert wurden, mutet wie eine Farce an: Weil es im ägyptischen Recht keinen Paragrafen gegen Homo***ualität gibt, wurden als Straftatbestände Unzucht, Verbreitung perverser Ideen und Geringschätzung der Religion angeführt. Und natürlich stellten die Autoritäten Schwulsein als Unkulturgut aus dem Westen dar. Abd al-Hadi Misbah von der medizinischen Fakultät der Al-Azhar-Universität: «Bekanntlich beschädigt ***uelle Perversion den Anus, der von Gott empfindlich geschaffen wurde, damit die Dinge passieren können, die den Körper verlassen. Während des perversen Akts kommt es zur Übertragung von Mikroben im Blut aus dem Anus. Wir, Männer der Medizin und Religion, müssen unsere Verteidigung der Religion auf die Wissenschaft abstellen, weil der Westen unsere Religion zu zerstören sucht und solche Akte mit der Wissenschaft zu rechtfertigen trachtet.»

Das Bild vom *****grafischen Invasor ist im Orient allgegenwärtig. Fromme Muslime sehen den Westen als ein grosses Babylon, als Dekadenzpfuhl, als eine sich von Jahr zu Jahr radikalisierende ***bedrohung, als eine in Sittendingen verkommene Welt, die kraft ihrer wirtschaftlichen und technischen Macht den Rest der Welt infiziert. Dabei ist das pure Heuchelei – gerade auf dem Gebiet der Homo***ualität, die auch auf islamischem Boden ganz eigenständig wuchs. Bester Beleg ist der Koran selber: Da mehr als dreissig Verse die Homo***ualität verdammen, muss sie logischerweise ein Phänomen schon der altarabischen Gesellschaft gewesen sein und kann kein neumodischer Import aus dem bösen Westen sein.

In einer Gesellschaft der Geschlechtertrennung sind homo***uelle Akte mindestens als Ausweichvariante programmiert. Dem arabischen Mann ist in der ***ualität ohnehin vor allem seine Dominanz wichtig. Auf keinen Fall darf er der «maf’ul bihi» sein, derjenige, dem es gemacht wird. Sondern er muss der «maf’ul» sein, derjenige, der es macht. Ein «maf’ul» empfindet sich keineswegs als schwul – umso mehr, als er seinen passiven ***partner gern als «Frau» bezeichnet. Jener wird über seine Rolle schweigen. Die wahre Provokation sind Schwule, die Händchen halten und sich küssen und also das Dominanzschema in Frage stellen – diese Art von Zweisamkeit wird nicht toleriert. Auch kein Thema sein soll die lesbische Liebe («sihaq»): Die Geistlichkeit treibt nicht einmal den Aufwand, sie regelmässig zu verdammen. Im Koran ist sie nicht erwähnt. Jene Gelehrten, die sich mit ihr befassen, versuchen sie mit einer ****ogie zur Männerliebe abzutun. Sie ziehen jene Koranstelle heran, in der homo***uelle Männer mit den dekadenten Einwohnern der Stadt Lots verglichen werden, zu denen Lot sprach: «Wollt ihr euch denn mit Menschen männlichen Geschlechts abgeben und vernachlässigen, was euer Herr euch in euren Gattinnen geschaffen hat? Nein, ihr seid verbrecherische Leute.»

Ein schwuler Mann wird als «luti» bezeichnet, als einer aus der Stadt Lots eben, die auf grässliche Weise unterging. Ein wertfreies Wort gibt es im Arabischen nicht. Bekennende Schwule benennen sich selber mit dem englischen Wort «gay». Auf gayegypt.com kann man ihre Kontaktwünsche nachlesen. Gibt es Tipps, wo in den grossen Städten sich die Schwulen treffen. Wird auch ein Arabisch-Guide geliefert:

«Kann ich hier sitzen? mumkin aglis huna?

Nur ein Kuss! wahda bosa bass!

Ist deiner gross? hayyak kabira?

Kann ich ihn sehen? mumkin aschuf?

Willst du einen ***** kucken? titfarag ala film ***?»

99 Prozent der Ägypter verdammen die Homo***ualität? Die Zahl ist faul. Wäre die ägyptische Gesellschaft ein Mensch, müsste man von Schizophrenie reden oder gar von multipler Persönlichkeitsstörung. Das gilt für die islamische Welt generell. Laut Behördenstatistiken leben in Iran 1,7 Millionen Frauen auf der Strasse, viele von ihnen prostituieren sich, nach offiziellen Schätzungen sind es 300000. Verschämt nennt die Alltagssprache sie «Strassenfrauen» oder «besondere Frauen». Wie in den grossen Städten Pakistans gibt es auch in denen Irans Strassenstrich und Bordelle, Pardon: «Anstandshäuser». Von «*** und Drugs in der Islamischen Republik» sprach die Frankfurter Rundschau. Sie zitierte auch eine Meldung, wonach die Polizei in einer theologischen Hochschule ein Lager für *****videos entdeckt hatte. Und zwar ausgerechnet in Ghom, Hochburg der Schiiten und früherer Wirkensort Ajatollah Chomeinis.

Mohammed, der Womanizer

Ob Prostitution, vor- und ausserehelicher *** oder Homo***ualität: Der Ausgleichsfaktor im Widerstreit von Trieb und Moral ist die Diskretion. Indem man nicht genau hinsieht, lässt sich mit den Widersprüchen leben und wird das kollektive Sittenempfinden nicht übermässig strapaziert. Mit dem Aufkommen des modernen Islamismus aber fallen theoretische Striktheit einerseits, praktische Laschheit anderseits aus der Balance. Die islamische Welt verliert die Gelassenheit, die sie in ihren besten Zeiten auszeichnete. Es entbrennt, so die französische Publizistin Martine Gozlan, die «furiose Schlacht zwischen dem *** und dem Heiligen, dem Schlafzimmer und der Moschee». Die islamische Welt sieht sich dabei in der Defensive: Freizügige Bilder sind kaum zu bremsen, da sie auf allen technischen Kanälen eindringen, durchs Internet, das Fernsehen, das Kino, die CD-ROM, die bildtaugliche Mobiltelefonie. Ein Beispiel aus den achtziger Jahren in Tunesien: In einer kleinen Moschee in der Habib-Bourguiba-Strasse wird gebetet, und hernach strömen die Gläubigen ins Café und verfolgen am TV-Schirm das per Satellit empfangbare italienische «Tutti Frutti»-Vorbild «Colpo Grosso», in dem junge Damen ihre Brüste herzeigen. Damals schien jene pragmatische Koexistenz möglich, die bald danach durch einen erbitterten Kulturkampf abgelöst wurde.

«Es handelt sich um einen Kalten Krieg, die Herzen der Araber zu infiltrieren und vor allem die Herzen der jungen Erwachsenen», schreibt die Journalistin Fawziya Raschid. Und Yusuf el-Qaradawi, der einflussreiche TV-Imam, poltert gegen «Fernsehprogramme, die nicht den Charakter unserer Nation reflektieren, ihr wahres Bild nicht repräsentieren und eine echte Invasion sind». Beide meinen «Big Brother Arab», jene nach europäischem Muster konzipierte, freilich wesentlich züchtiger gestaltete Reality-Container-Show, welche diesen Frühling auf der bahrainischen Insel al-Amwadsch gedreht wurde – bis der Druck der Moralisten zu stark und die Sendung gekippt wurde. Hauptärgernis: ein dezenter Wangenkuss zwischen Mann und Frau.

Die Fundamentalisten machen unislamisches Treiben geltend. Sie bemühen die Frühzeit des Islams als ihr Stück ideale Welt. Und sie verweisen auf das Exempel des Propheten. Doch war Mohammed, 570 bis 632, wirklich ein Sittenstrengling, war der Verkünder des Islams quasi dessen erster Fundamentalist?

Die Quellen zeichnen vielmehr das Bild einer dem anderen Geschlecht innig zugetanen Sinnennatur; man braucht darob nicht in den Fehler zu verfallen, ihn wie die christlichen Polemiker vergangener Jahrhunderte als Lüstling darzustellen. Mohammed liebte die Frauen. Seine erste war Chadidscha, eine reiche, gut 15 Jahre ältere Witwe und Kauffrau, die er heiratete, als er noch ein armer junger Mann war. Sie stand zu ihm, als ihn die Mekkaner verlachten, denen er um das Jahr 610 von seiner Begegnung mit dem Erzengel Gabriel berichtete. Sie stützte ihn durch all die Anfechtungen der fragilen ersten Jahre des Islams. Und er blieb ihr treu, bis sie starb. Und danach? Stellte er, dessen körperliche Schönheit und virilen Habitus die Tradition zu betonen nicht müde wird, sich einen Harem zusammen? War dies wirklich nur Stammespolitik durch gezieltes Heiraten, wie einige Historiker behaupten?

Oder war Mohammed, die Normfigur der Muslime bis heute, ein Womanizer? Aischa, die Tochter seines Gefolgsmannes Abu Bakr, anzüglich «al-Humayyira» geheissen, «die kleine Rote», heiratete er, als sie sieben Jahre alt war, und deflorierte sie, als sie elf war – Courant normal in seiner Gesellschaft. War Aischa anlässlich ihrer ***uellen Initiation gar erst neun? Die Quellen sind sich nicht einig. «Als mein Tag gekommen war, fixierte Gott den Propheten zwischen meinen Brüsten und meinem Hals», wird Aischa zitiert. Und: «Ich bin die einzige Jungfrau, die er hatte.» Weitere Gattinnen Mohammeds waren: die aristokratisch-intellektuelle Umm Salma. Die kluge Jüdin Safiya. Die mütterlich-demütige Sawda. Die Christin Maria. Hafsa, mit deren Heirat Mohammed seinen Kompagnon Omar ehrte, Hafsas Vater. Gut zehn Frauen ehelichte der Prophet insgesamt. Die eine, Zainab, spannte er gar seinem Adoptivsohn Said aus. Nachdem er zuerst gezögert hatte, es zu tun, erschien ihm der Engel Gabriel und erlaubte es ihm. Wie viele andere (allzu) menschliche Vorfälle ist auch dieser in den Koran eingegangen: «Als dann Said sich von ihr geschieden hatte, gaben wir sie dir zur Gattin, damit die Gläubigen sich künftig wegen der Ehelichung der Gattinnen ihrer Nennsöhne, wenn diese ihr Geschäft mit ihnen erledigt haben, nicht bedrückt fühlen sollten.»

Wer sich Mekka bzw. Medina, jene beiden Stätten des Urislams, an dem sich die Gläubigen bis heute orientieren, als Orte früharabischer Libertinage vorstellt, liegt dennoch falsch. Wenn wir das Wirken des Gesandten Gottes, der auch in Geschlechterfragen als Sozialreformer auftrat, die Tötung weiblicher Säuglinge nach der Geburt verbot, Frauen im Erbrecht bessere Konditionen zuschanzte und seine Sinnenfreudigkeit zelebrierte – wenn wir dieses Wirken als «Mohammed-Prinzip» bezeichnen, ist da anderseits (wir folgen den Publizistinnen Fatima Mernissi und Martine Gozlan) das «Omar-Prinzip». Der Gefährte des Propheten und spätere Kalif wäre demnach der erste Finsterling des Islams, der dem Propheten zuredete, in Geschlechterdingen eine härtere Linie einzuschlagen. «Ihr, die Frauen, seid ein Spielzeug; wenn wir euch brauchen, werden wir euch rufen», soll Omar gesagt haben. Zu diesem zweiten, ein Gebrauchsverhältnis zur Frau zementierenden Islam passen Koransprüche wie: «Eure Frauen sind für euch ein Saatfeld. Geht zu eurem Saatfeld, wo immer ihr wollt.» Wie ein Echo Omars klingt, was Chomeini, der Inspirator des iranischen Gottesstaates, anderthalb Jahrtausende später sagte: «Eine in dauerhafter Ehe lebende Frau muss ihrem Mann jede Art von Genuss bereiten, die er von ihr wünscht.» Und Omar hallt in jedem heutigen Imam nach, der die Gehorsamspflicht der Frau bis ins Ehebett postuliert und bei Renitenz Prügel empfiehlt.

Mohammed, der Hedonist, dessen Vorliebe für Parfüm und Wohlgerüche ihn als Geniesser kennzeichnet. Und Omar, der Rigorist. Er soll dem Propheten einen Spruch förmlich aufgenötigt haben, welcher die Frauen zur Verhüllung drängte. Die arabo-muslimische Geschichte bis mindestens zum Fall Bagdads und des Abbasiden-Kalifats 1258 unter dem Ansturm der Mongolen ist dadurch gekennzeichnet, dass sich die beiden Prinzipien die Waage hielten. Tatsächlich gehört das Nebeneinander von Repression und Toleranz, von Regelfixiertheit und Regelübertretung zum Verwirrenden dieser Glanzepoche. Während sich die vier massgeblichen Rechtsschulen formieren, darunter die besonders konservative der Hanbaliten, schwelgt man – präziser: schwelgt die gebildete Oberschicht in erotischen Hammamritualen; im Bagdad des 10. Jahrhunderts gibt es 10000 solcher Bäder. Amüsiert sich an den transvestitischen Einlagen der sogenannten «mu’annathun» («Tunten»). Legt sich immer wieder eine neue Dscharya zu, ein Sklavenmädchen. Und labt sich an den Geschichten aus «Tausendundeiner Nacht», jenem labyrinthischen Märchenbuch indisch-iranischen Ursprunges, in dem sämtliche psychischen Entgleisungen, fetischistischen Abweichungen, Unterleibsaktivitäten abseits der Norm vorkommen: Sodomie, Bigamie, Inzest, Nymphomanie, Nekrophilie, Sadomasochismus, Pädophilie etc.

Zum Beispiel die Geschichte von der jungen Frau und dem alten Bären: «Darauf entkleidete sie sich und legte sich nieder. Der Bär aber erhob sich und warf sich auf sie, und sie gewährte ihm das Beste, was den Menschenkindern gehört.» Zum Beispiel die Geschichte von der Königin und ihrem Diener: «Die Herrin aber rief: Masud! Masud!, worauf ein schwarzer Sklave aus dem Wipfel eines Baumes sprang, mit einem Satz bei ihr war, ihre Waden hob, sich zwischen ihre Oberschenkel warf und sie beschlief.» In seiner Deftigkeit ist dieses Buch nicht Scharia-konform. Kein Wunder, wurde das Original von «Tausendundeiner Nacht» in Ägypten auf Antrag der Muslimbrüder vor gut dreissig Jahren aus dem Verkehr gezogen.

«Ihr Gläubigen! Erklärt nicht die guten Dinge, die Gott euch erlaubt hat, für verboten!», lautet doch aber der Lieblingskoranvers der muslimischen Freigeister. «Let the good times roll» – die Devise galt über Jahrhunderte. Da zu den Vorzügen der Schöpfung auch der Körper und seine Lustmöglichkeiten gehören, zeugte die arabo-muslimische Zivilisation frischen Sinnes ihr eigenes Kamasutra, den «Duftenden Garten» des Tunesiers Scheich al-Nafzawi, ein Werk, das in guter aufklärerischer Absicht die körperlichen Dinge benennt: «Mit diesen Worten legte er sich auf den Rücken, wie es die Frauen für die Männer tun, während sein Penis sich wie ein Zeltpflock nach oben reckte. Sie warf sich auf ihn, nahm seinen Penis in die Hände und bewunderte seine Grösse und Kraft.» Nafzawi ist beileibe nicht der Einzige, der lustvoll ***ualkunde betrieb. Die Titel ähnlicher erotischer Werke wie «Die Aufklärung über die Geheimnisse des Beischlafs» oder «Die Rückkehr des Greises zu seiner Jugend im Hinblick auf die Geschlechtskraft» sprechen für sich. Wenn man dem klassischen Islam eines zugute halten muss, dann dies, dass er jene grundsätzliche Verklemmtheit nicht kannte, wie sie die Erbsünde-Doktrin ins Christentum pflanzte. Der Körper ist dem Muslim grundsätzlich eine Freude. ***ualität und Liebe waren «fester Bestandteil der Diskussionen innerhalb der religiösen Instanzen», schreibt der Islamkenner Malek Chebel.

Im Paradies warten 72 Jungfrauen

Bei jenen, die die Grenzen des Erlaubten überschritten, schaute man in der Regel weg – das Triebwesen blühte. Abu Nuwas, bis heute berühmt-berüchtigt für seine homo***uellen Trinkverse («Ich habe die Mädchen gelassen und mich den Knaben zugewandt. Und ich liess vom klaren Wasser für Wein»), brachte es um 800 zum Vertrauten des grossen Kalifen Harun al-Raschid in Bagdad. Und as-Suyuti, der grosse Obszöniker, durfte, als der Niedergang schon eingesetzt hatte, eine ungewöhnliche Preisung Allahs zu Papier bringen. Ein muslimisches «Make love, not war» sozusagen: «Lob sei Gott, der die Ruten gerade und hart geschaffen hat wie Lanzen, um in den Vaginen Krieg zu führen und nirgendwo anders.»

Doch «der *** im Islam hat eine politische Geschichte» (Gozlan). Mit dem Niedergang herrschaftlicher Herrlichkeit, mit der Ablösung der kollektiven Potenz durch die kollektive Impotenz wird die produktive Spannung von Sittenstrenge und Freizügigkeit getilgt; ein Prozess, der sich über Jahrhunderte erstreckt, bis er in der freudlosen Gegenwart mündet. Der Theologe Ibn Taimiya, sozusagen der erste Fundamentalist, legt um 1300 die theoretische Basis für Wörtlichkeits- und Reinheitsfanatiker. Als die islamische Welt später gegenüber dem erstarkenden Westen immer mehr ins Hintertreffen gerät und dieser als aggressive Kolonialmacht auftritt, nimmt die islamische Welt Zuflucht zu dem simplifizierten, regelfixierten Glauben. Wäre der Islam ein Mensch, würde man sagen, er habe seinen Humor verloren.

Heutzutage ist die Zensur das Instrument, alles «Unislamische» zu bannen. Gerade zwei Wochen konnte sich 2001 der Roman «Vorher und nachher» von Taufiq Abderrahman in der ägyptischen Öffentlichkeit halten, bis ein Parlamentarier mit einer Einfachen Anfrage dessen Verbot durchsetzte. Die anstössige Passage: «Sie ging ins Bad des Krankenzimmers, um BH und Slip auszuziehen. Ich lag auf dem Rücken, mein Bein im Gips, und durfte mich nicht bewegen. Sie setzte sich auf mich, öffnete die Bluse, hob ihre Brüste heraus und zog den Rock hoch.»

Die ***uelle Fantasie des Durchschnittsarabers ist in etwa die des Durchschnittseuropäers. Und die arabische Gegenwart ist gekennzeichnet durch die üblichen (bloss sparsamer dosierten) globalen Eros-Signale; man nehme die im Zeichen der romantischen Liebe stehenden Filmplakate in den Städten oder die Hitparadenstars mit ihren Schmachtmelodien. Längst ist die herkömmliche Idee der Zweckehe durch jene der Liebesehe in die Defensive gedrängt und sieht man im «Groppi» am Talat-Harb-Platz in Kairo, auf den Wegen durch den Zoologischen Garten von Tunis, in den Ausflugsrestaurants auf dem Qasiyun-Berg über Damaskus junge Leute Händchen halten und flirten. Aber: In den arabischen Ländern wimmelt es von Leuten zwischen 18 und 35, die mangels Geld nicht heiraten können und bei ihren Eltern leben müssen. Es herrscht ***uelles Elend durch wirtschaftliche Frustration.

Im Paradies hätte man es besser. Hätte Mann es besser. Auf die Herren warten dort willige Gefährtinnen: die Huris, jene Jungfrauen mit den «schwellenden Brüsten» (Koran). Diese Verheissung des Fleisches hat as-Suyuti vor Jahrhunderten schön ausgemalt: «Jedes Mal, wenn man mit einer Huri schläft, entdeckt man eine Jungfrau. Die Rute des Erwählten erschlafft nie wieder. Die Erektion ist ewig.» Die Huris sind allzeit bereite islamische ***puppen ohne eigene Persönlichkeit; über diesen ihren Zweckcharakter haben sich die Theologen lustvoll ausgelassen. Wohingegen sie der genaue Status der Frauen wesentlich weniger kümmerte, die ins Paradies eingehen, von Huri-artigen Lustknaben als Frauenbeglückern ist jedenfalls nicht die Rede. Eher verhalten klang der Kommentar von Scheich Jassin, dem (mittlerweile getöteten) Hamas-Führer, zur ersten Kamikazeaktion einer Frau: «Die Frauen, die ein Selbstmordattentat begehen und Juden töten, werden im Paradies belohnt, indem sie noch schöner werden als die 72 Jungfrauen, welche den männlichen Märtyrern versprochen sind.»

Zu den männlichen Selbstmordattentätern in Palästina gibt es im Übrigen Berichte, dass sie schutzeshalber den Penis in eine Art Futteral wickeln, da er gewissermassen den Schlüssel zur himmlischen Seligkeit darstellt.

Liebe zerstört das Herz

Nicht einfach hingegen, im arabischen Diesseits *** zu kriegen. Umso mehr nicht, als *** unter Nichtverheirateten gleich «zina» ist, Unzucht. An der Handhabung der Scharia-Bestimmungen zu Unzucht und Ehebruch lässt sich zeigen, wie göttliches Recht zum Werkzeug menschlichen Willens wird. Ausserehelicher Geschlechtsverkehr bedarf zu einer Verurteilung der Bestätigung der Tat durch vier männliche Augenzeugen. Das kann heissen: Es kommt kaum je zu einer Verurteilung, weil selten vier Zeugen einem Beischlaf beiwohnen. Es kann aber auch heissen: Wenn eine Frau vergewaltigt wird, kann sie mangels Zeugen diese Vergewaltigung nicht beweisen und steht am Ende als Verleumderin da, was ihr achtzig Peitschenhiebe einbringen kann – abgesehen davon, dass sie faktisch als Unzüchtlerin oder Ehebrecherin dasteht (Delikte, deretwegen in Pakistan ein Drittel aller im Gefängnis einsitzenden Frauen angeklagt sind). So schwebt über dem Patriarchat der Segen Gottes. Der ist ganz sicher ein Mann. Denn Allah ist allein im Himmel, seit Mohammed die mekkanische Göttin Allat, das feminine Pendant zu Allah, eliminierte.

Der Primat des Jungen über das Mädchen ist in der arabischen Familie traditionell unbestritten. Jungen gelten als so wertvoll, dass sie stets riskieren, den bösen Blick neidischer Fremder auf sich zu ziehen, weshalb sie oft bis ins Alter von fünf Jahren mit Mädchenkleidern getarnt werden. Die höchste Bestimmung einer Ehefrau ist das Gebären eines Jungen; die mit der Lieferung des männlichen Nachwuchses verbundene «emotionelle Gratifikation» (Raphael Patai) prägt ihre Haltung zu dem Kind, das sie mit Liebe und Zuwendung überhäufen wird. Zu dem traditionellen Tun arabischer Mütter gehört es, schreienden Knaben die Genitalien zu massieren und mit dem Penis zu spielen, bis das Kind wieder lächelt. Psycho****ytiker leiten aus dieser Assoziation der ersten Frau im Leben mit einer Verschafferin ***ueller Wohlgefühle die grundlegende Erwartungshaltung des arabischen Mannes gegenüber der Frau ab.

Die Frau ihrerseits soll keine eigenen erotischen Wünsche verwirklichen dürfen. Doch, so Patai, gerade die Geschlechtertrennung, die Verschleierung der Frauen auch, die darin enthaltene Vergeheimnissung weiblicher Körperlichkeit «haben den Effekt, dass der *** zu einer erstrangigen mentalen Fixierung in der arabischen Welt wird». Just der Versuch also, die Triebe auf den Bereich ehelicher Zweisamkeit zurückzustutzen, gesteht diesen Trieben eine ungeheure Wertigkeit zu – die mit der Radikalisierung des modernen Islams noch multipliziert wird. Gerade in seiner ***panik ist der Islamismus ***fixiert. Gerade als Lustbestrafer ist er lüstern.

Der muslimische Mainstream seinerseits fürchtet den *** als anarchische Kraft, welche die Gesellschaft zu unterminieren droht. «Der Prophet hat gesagt: Kein Mann und keine Frau können zusammen allein sein, ohne dass nicht der Teufel ihr dritter Gefährte wäre», sagt Dalil Boubakeur, der als gemässigt geltende Rektor der Pariser Moschee. «Eine muslimische Frau bedeckt ihren Körper, auch zu ihrem eigenen Schutz», sagte jene Tessiner Muslima, die vor Monaten bei einer Gemeindewahl kandidierte. Ein tristes Menschenbild versteckt sich dahinter, welches die Männer als willenlose Tiere schildert, die nur durch strenge Regeln daran gehindert werden können, über die Frauen herzufallen. Arabisch «fitna» heisst deren spezifische Eigenschaft, «Unruhe», «Unordnung», «Chaos» zu stiften. Die Verführerinnen sind auch Bedroherinnen der öffentlichen Ordnung. Ihr ***uelles Containment scheint zwingend, wenn die Gemeinschaft überleben will.

Frage einer Muslima: Ich lebe als Ärztin in einem westlichen Land und habe auch männliche Patienten. Darf ich sie behandeln, da ich ja grundsätzlich alle Patienten ungeachtet ihres Geschlechts behandle? Antwort eines Gelehrten: Eine Frau darf ausserhalb des Hauses in einem angemessenen Beruf arbeiten, solange sie sich nicht Dingen aussetzt, die der Scharia zuwiderlaufen. Die Behandlung männlicher Patienten ist gemäss der Scharia, solange nicht ein absoluter Notfall vorliegt, nicht erlaubt. Sie stellt «fitna» dar.

Frage einer Muslima: Darf ich für meinen Gatten ***y Unterwäsche tragen? Antwort eines Gelehrten: Das darfst du, aber nur für deinen Gatten. Bedenke auch: Grösste Glaubenszierde ist die Bescheidenheit.

Frage eines Muslims: Wer eine Freundin hat, zerstört die Familie und so weiter, ich weiss. Aber was, wenn wir bloss heimlich ein Paar sind und es kein anderer weiss und wir bis zur Heirat auf *** verzichten? Antwort eines Gelehrten: Eine Freundin zu haben, zerstört nicht nur die Familie, sondern auch die Gesellschaft, und die es tun, denen drohen die Strafe und der Zorn Gottes. Liebe ist eine Krankheit, die das Herz zerstört und ins Böse und Unmoralische führt.