Themen in dieser Ausgabe:
1. Tunesien muss Menschenrechte und Informationsfreiheit garantieren
Von: Comunica-ch
2. DLF: Tunesien: Der Traum von Meinungsfreiheit
Von: Deutschlandfunk 12.11.2005
3. Entwicklungsmodell Tunesien
Von: german-foreign-policy.com
4. Sorge um die Meinungsfreiheit
Von: Zeitschrift "Das Parlament"
Nachricht: 1
Datum: Tue, 22 Nov 2005 19:02:33 +0100
Von: Comunica-ch
Betreff: Tunesien muss Menschenrechte und Informationsfreiheit garantieren
Tunesien muss Menschenrechte und Informationsfreiheit garantierenDruckversion
16. Februar 2005
Tunesien ist in der westlichen Welt vornehmlich als attraktive Tourismus-Destination bekannt. Das Land gilt als vergleichsweise liberal, modern, pro-westlich, frauenfreundlich, nicht-integristisch und bietet ausserdem favorable Bedingungen für ausländische Investoren.
Hinter dieser freundlichen PR-Fassade der Tourismus-Broschüren verbirgt sich jedoch ein völlig anderes Bild. Tunesien gehört zu jenen Ländern, wo Menschenrechte mit Füssen getreten werden, Meinungs- und Pressefreiheit in den letzten Jahren zunehmend eingeschränkt wurden und Menschen mit oppositionellen Meinungen verfolgt und eingesperrt werden. Berichte unabhängiger Beobachter über gravierende Menschenrechtsverletzungen wie die systematische Unterdrückung von Medien- und Meinungsfreiheit füllen inzwischen diverse Aktenordner: Amnesty International (AI), die Internationale Journalisten-Föderation (IFJ), Reporters sans frontières (RSF), die
IFEX-Tunisia Monitoring Group sowie unabhängigen Organisationen der tunesischen Zivilgesellschaft haben diese Sachverhalte wiederholt dokumentiert.
Wer glaubte und hoffte, dass Tunesien als Gastgeber des nächsten Weltgipfels zur Informationsgesellschaft (WSIS 2) im November 05 sich in ein besseres Licht rücken oder sich zumindest den Anschein geben würde, elementare Grundrechte zu achten, sieht sich getäuscht. Tunesien unternahm keinerlei eigene Anstrengungen und ignorierte bislang alle Appelle der internationalen Gemeinschaft, von Menschenrechts-organisationen und der Zivilgesellschaften.
Damit sich die skandalösen Vorgänge und die Repressionen während der PrepCom1 in Hammamed/Tunesien vom Juni 04 nicht wiederholen, fordern wir nunmehr Garantien seitens der tunesischen Regierung. Diese muss:
- die Menschenrechte und Meinungsfreiheit (gemäss Art. 19 AEMR) achten;
- Organisations-, Versammlungs- und Redefreiheit gewährleisten;
- jedwelche Schikanen gegenüber der unabhängigen Zivilgesellschaft unterlassen;
- die Bewegungs- und Ausdrucksfreiheit für die internationale Zivilgesellschaft garantieren;
- die Blockierung kritischer Websites und Publikationen aufheben;
- die inhaftierten JournalistInnen und Internauten unverzüglich freilassen.
Nur durch solche Garantien kann Tunesien als Gastgeberland des nächsten Weltinformationsgipfels seine verlorene Glaubwürdigkeit wieder herstellen.
Um unseren Appellen Nachdruck zu verleihen, wird Comunica-ch - die Schweizer Plattform zur Informationsgesellschaft - während der bevorstehenden PrepCom2 hier in Genf eine Partnerschaft mit der unabhängigen tunesischen Zivilgesellschaft eingehen. D. h., wir werden über eine enge Kooperation mit unseren tunesischen Kolleginnen und Kollegen diese unterstützen und alle Behinderungen seitens der Regierung mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln anprangern.
Dabei sind wir insbesondere auch auf die Unterstützung der Medien angewiesen. Wenn es um die Verteidigung von Menschenrechten, Medien- und Meinungsfreiheit geht, haben Presse, Radio und Fernsehen - die klassischen Medien - eine besondere Verantwortung. Helfen Sie daher mit, die tunesischen Verantwortlichen davon zu überzeugen, dass eine Informationsgesellschaft ohne Informationsfreiheit einer der eklatantesten aller Widersprüche ist. Helfen Sie mit, dass der nächste Weltinformations-gipfel im November 05 in Tunis nicht zur Farce und zur Blamage der Weltgemeinschaft wird.
Wolf Ludwig, für Comunica-ch
Nachricht: 2
Datum: Tue, 22 Nov 2005 19:19:27 +0100
Von: Deutschlandfunk 12.11.2005
Betreff: DLF: Tunesien: Der Traum von Meinungsfreiheit
DLF: Tunesien: Der Traum von Meinungsfreiheit
Heute Nachmittag lief folgender Beitrag auf dem Deutschlandfunk: Tunesien: Der Traum von Meinungsfreiheit.
Hier mal ein paar Notizen, die ich zugeschickt bekam:
große Polizeipräsenz in Tunis dieser Tage, Überwachung der Oppositionellen, der sich ausweitende Hungerstreik der Menschenrechtsorganisationen
Die Geheimpolizei schwärmt aus und terrorisiert Menschenrechtler - die Nerven liegen blank
Zitat eines regimetreuen Journalisten: "Wir denken, dass es sich dabei
um eine Strategie handelt, die darin bestehen soll, den UNO Gipfel von seinen weltumspannenden Themen abzulenken. Diese Oppositionellen werden von gewissen ausländischen Nichtregierungsorgansiationen unterstützt. Gruppen, denen es nur darum geht, den Gipfel in einen Anti-Tunesien-Gipfel umzumodeln."
Nachricht: 3
Datum: Tue, 22 Nov 2005 18:01:38 +0100
Von: german-foreign-policy.com
Betreff: Entwicklungsmodell Tunesien
Zu den besonderen Beziehungen zwischen Berlin und Tunis ein Bericht von German Foreign Policy
Drei Tage stand Tunesien als Gastgeber der UN-Weltkonferenz zur Informationsgesellschaft im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Selten mischten sich hier zu Lande in die Berichte über die Konferenz auch Hinweise auf die äußerst kritische Menschenrechtssituation in dem nordafrikanischen Staat. Im Folgenden dokumentieren wir einen Bericht und ein Interview - beides enthalten auf der Website von
www.german-foreign-policy.com/deEntwicklungsmodell Tunesien
TUNIS/BERLIN/KÖLN, 18.11.2005 (Eigener Bericht) - Trotz internationaler Kritik an staatlichen Repressionsmaßnahmen in Tunesien hält die Bundesregierung ihre Kooperation mit dem nordafrikanischen Staat aufrecht. Anlässlich des Weltgipfels zur Informationsgesellschaft, der am heutigen Freitag in Tunis zu Ende geht, sind neue Vorwürfe laut geworden, denen zufolge die Regierung in Tunis die Pressefreiheit! massiv missachtet und für schwere Folter verantwortlich ist. Berlin enthält sich "jedes eigenen Kommentars" zu entsprechenden Berichten, die seit Jahren bekannt sind, erklärt der Journalist Marc Thörner im Gespräch mit german-foreign-policy.com. Deutschland kooperiert seit Jahrzehnten mit den Repressionsapparaten des nordafrikanischen Landes, deutsche Wirtschaftskreise loben den Staat als "sehr stabil". Deutsche Unternehmen nutzen Tunesien wegen des dort üblichen geringen Lohnniveaus und des Ausbleibens sozialer Proteste als zuverlässige Billig-Produktionsstätte. Observationskommandos
Anlässlich des Weltgipfels zur Informationsgesellschaft, der am heutigen Freitag zu Ende geht, werden neue Vorwürfe gegen die Regierung Tunesiens laut. Experten der Vereinten Nationen berichten von "zahlreichen Fällen" in dem nordafrikanischen Land, bei denen Journalisten, Menschenrechtsaktivist! en und Richter körperlichen Angriffen, Geldstrafen und Inhaftierungen ausgesetzt waren, weil sie "sich öffentlich zu Menschenrechtsfragen geäußert und ihre Meinung ausgedrückt haben".[1] Mehrere tunesische Journalisten sitzen derzeit im Gefängnis ein, mehrere ausländische Journalisten, die über die Menschenrechtslage in dem nordafrikanischen Land berichten wollten, sind in den vergangenen Tagen tätlich angegriffen worden. Dass dies ohne Kenntnis staatlicher Organe möglich gewesen ist, kann als zweifelhaft gelten: In Tunesien bekommt grundsätzlich "jeder Journalist ein Observationskommando", berichtet Marc Thörner, der dort recherchiert hat, im Gespräch mit german-foreign-policy.com - "ein ganz direkter, sinnlicher erster Eindruck" von der Überwachung durch den Staat, den die UNO schon im Jahr 2000 der Folter anklagte. Im von den Vereinten Nationen herausgegebenen Arab Human Development Report rangiert Tunesien gemeinsam mit Saudi-Arabien an der Spitze der repressivsten Regime der Region.
Verbindungsbeamte
Trotz der schweren Vorwürfe, die seit Jahren gegen Tunis erhoben werden, arbeitet Berlin eng mit den Repressionsapparaten des Landes zusammen. Die Bundesregierung hat der tunesischen Polizei allein zwischen 1985 und 1995 Ausbildungs- und Ausstattungsmaßnahmen im Umfang von mehr als 10 Millionen DM zukommen lassen.[2] Die bilaterale Polizeikooperation dauert bis heute an. In der Hauptstadt des nordafrikanischen Staates ist ein Verbindungsbeamter des Bundeskriminalamts (BKA) stationiert. Der Bundesinnenminister und sein tunesischer Amtskollege haben im April 2003 ein Abkommen zur "Bekämpfung der Organisierten Kriminalität" unterzeichnet (darunter so genannte "Schleusungskriminalität"); die tunesische Marine hat im vergangenen Jahr deutsche Marine-Schnellboote erhalten, um die Küstenüberwachung zu intensivieren. Die deutsch-tunesische Repressions-Kooperation gilt in Berlin als unentbehrlich, um unerwünschte Migration aus den afrikanischen Elendsstaaten in die europäischen Wohlstandszentren zu verhindern.
Sehr erfolgreich
Wie Marc Thörner berichtet, ist angesichts der engen polizeilichen und militärischen Zusammenarbeit die "offizielle Haltung der deutschen Außenpolitik (...): Folter in Tunesien ist nicht nachgewiesen." Der Journalist hat für seine Rundfunk-Reportage "Tausendundeine Macht" deutsche Regierungsstellen und Wirtschaftsvertreter befragt, die mit dem Land befasst sind. Man dürfe "nicht der Versuchung unterliegen, den Lobbyisten in der Menschenrechtsarbeit (...) jede Nuance unbesehen abzunehmen", erklärt demnach ein Ministerialrat aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Die von der UNO bestätigten Foltervorwürfe würden "von der Opposition sehr stark politisiert".[3] Tunesien ist dem Ministerialrat zufolge vielmehr "ein sehr erfolgreiches Entwicklungsmodell".
Großer Vorteil
Die Einschätzung aus dem deutschen Entwicklungsministerium wird von Wirtschaftsvertretern geteilt. "Tunesien ist (...) ein sehr stabiles Land", berichtet der stellvertretende Geschäftsführer des Hamburger Afrika-Vereins, Walter Englert: "(D)as ist (...) für den ausländischen Investor natürlich ein großer Vorteil."[34] Wegen des in Tunesien üblichen geringen Lohnniveaus und des Ausbleibens sozialer Proteste nutzen deutsche Unternehmen insbesondere der Textilbranche das Land, das spätestens im Jahr 2010 Freihandelspartner der Europäischen Union werden soll, als zuverlässige Billig-Produktionsstätte ("verlängerte Werkbank"). Für die kommende Woche kündigt der deutsche Afrika-Verein in Köln eine bilaterale Kontaktbörse der Textilindustrie an ("Tunisia Fashion Days"). Dort soll die enge deutsch-tunesische Zusammenarbeit mit Hilfe staatlicher tunesischer Stellen weiter ausgebaut werden.
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UN experts call on Tunisia to respect human rights as information summit opens; UN News Centre 16.11.2005 <o:p></o:p>
Bundestags-Drucksache 13/1047
Marc Thörner: Tausendundeine Macht; WDR 5 - Das Feature 13./14.11.2005
Marc Thörner: Tausendundeine Macht; WDR 5 - Das Feature 13./14.11.2005
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Interview mit Marc Thörner
18.11.2005 HAMBURG
Über die deutsche Außenpolitik gegenüber Tunesien sprach german-foreign-policy.com mit Marc Thörner. Thörner ist Journalist, hat in dem nordafrikanischen Land für seine Rundfunk-Reportage "Tausendundeine Macht" recherchiert und deutsche Regierungsstellen zur Berliner Außenpolitik gegenüber Tunis befragt, das als enger Partner Berlins gilt und in wenigen Jahren in die EU-Freihandelszone einbezogen werden soll.
german-foreign-policy.com: Kritiker nennen Tunesien einen Polizeistaat. Entspricht diese Bezeichnung Ihren Erfahrungen?
Marc Thörner: Eindeutig ja. Das beginnt schon damit, dass man, wenn man sich in Tunis als J! ournalist akkreditiert, oft keinen Zugang zu seinen eigenen E-Mails hat - E-Mails von Journalisten werden oft blockiert. Grundsätzlich bekommt auch jeder Journalist ein Observationskommando - ein ganz direkter, sinnlicher erster Eindruck. Ein Journalist wird manchmal schon an der Hotelrezeption und auch dann, wenn er mit dem Fahrzeug unterwegs ist, von einem Verfolgungskommando observiert. Im Gespräch mit tunesischen Oppositionellen erfährt man auch von Foltervorwürfen. Es gibt in Tunesien ungefähr 500 politische Gefangene, die seitens der Regierung dem islamistischen Spektrum zugeordnet werden; sie werden, nach Auskunft ihrer Anwälte, massiv gefoltert. Auch Anwälte, Menschenrechtler und Oppositionelle werden immer wieder von der Polizei verprügelt. Ein Beispiel ist der Fall der Anwältin und Menschenrechtlerin Radhia Nasraoui, die nach Misshandlungen durch die Polizei im Mai 2005 beträchtliche Kopfverletzungen erlitten hat.
gfp.com: Sind staatliche deutsche Stellen über die Verhältnisse informiert?
Thörner: Ja. Allerdings hat man sich dafür entschieden, die Vorwürfe gegenüber der tunesischen Regierung nur auf der Arbeitsebene, nicht aber öffentlich anzusprechen. Das Auswärtige Amt etwa publiziert Länderberichte im Internet. Dort ist das Äußerste, was über die Menschenrechte in Tunesien geschrieben wird: "In der Praxis gibt es Defizite". Es wird dort nichts von Folter erwähnt - und das, obwohl die UNO schon im Jahr 2000 Tunesien in einer Resolution wegen Folter verurteilt hat. Die offizielle Haltung der deutschen Außenpolitik ist immer noch: Folter in Tunesien ist nicht nachgewiesen.
gfp.com: Wie reagiert die Bundesregierung, wenn man sie mit den Foltervorwürfen konfrontiert?
Thörner: Sie wendet ein, dass die tunesische Regierung die Vorgänge anders darstellt. Man sagt: "Oppositionelle behaupten, dass...", man enthält sich aber jedes eigenen Kommentars.
gfp.com: Worin sehen Sie die Ursache dafür?
Thörner: Das hat mehrere Gründe. Erstens hat sich Tunesien außenpolitisch als relativ verlässlicher Partner erwiesen, hat eine relativ konstruktive Position im Hinblick auf den Nahost-Friedensprozess. Dann hat sich Tunesien ja auch als Partner im Kampf gegen den Terror bewährt; die tunesische Regierung verficht offiziell einen sehr, sehr vehementen Kurs gegen den Islamismus. Drittens ist geplant, dass sich Tunesien im Jahr 2008 mit einem Freihandelsabkommen an die Europäische Union anschließt. All das führt dazu, dass man relativ nachsichtig ist - man möchte Tunesien als wichtigen Partner in der arabischen Welt nicht verprellen.
Außerdem glaube ich: Die Haltung der deutschen Außenpolitik gegenüber den arabischen Staaten weicht von der Haltung gegenüber Staaten eines anderen Kulturkreises ab. Wenn man deutsche Offizielle auf Vorwürfe gegenüber Tunesien anspricht, dann hört man oft die Antwort: Sehen Sie das doch vor dem Hintergrund anderer arabischer Staaten. Ist es dort nicht viel, viel schlimmer?
gfp.com: Sie haben selbst Erfahrungen mit der Polizeirepression in Tunesien und den doppelten Standards staatlicher deutscher Stellen gemacht...
Thörner: Im Februar 2003 fand eine Demonstration verschiedener tunesischer Nicht-Regierungs-Organisationen statt - vor einem Gefängnis, in dem ein junger Internetjournalist wegen angeblicher Präsidentenbeleidigung einsaß. Ich habe die Demonstration beobachtet. Kurz nachdem die ersten Transparente entrollt wurden, riegelte ein Großaufgebot der Polizei den Platz ab, wir wurden alle in unseren Autos festgesetzt. Ein tunesischer Polizist nahm mir mein Aufnahmegerät und meine Kassette ab; das Gerät habe ich wiederbekommen, die Kassette nicht. Als ich wegen dieser Sache bei der deutschen Botschaft vorstellig geworden bin, wurde mir gesagt, ich hätte die Demonstration gar nicht beobachten dürfen, ohne die tunesische Regierung vorher zu informieren. Das ist absurd! , wenn man sich die internationalen Gegebenheiten im Journalismus vor Augen führt. Zweitens hätte ich alles zu tun, was die tunesischen Behörden von mir verlangten. Dazu muss man sagen, dass deren Verhalten auch nach dem tunesischen Presserecht nicht korrekt war: Jeder Journalist hat auch nach tunesischem Presserecht die Möglichkeit, frei zu beobachten. Drittens erhielt ich die Auskunft, man sehe keine Veranlassung, wegen dieser Kassette noch weiter vorstellig zu werden, weil ich ja selber die Spielregeln verletzt hätte.
gfp.com: Hat sich seit Ihrer Recherche für "Tausendundeine Macht" an der deutschen Politik gegenüber Tunesien etwas verändert?
Thörner: Der damalige Presseattaché und auch der damalige Botschafter haben gewechselt, inzwischen wird eine etwas liberalere Haltung vertreten. Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass vor zwei Wochen eine deutsche Delegation, bestehend aus dem Botschafter in Tunis und dem Menschenrechtsbeauftragten des Auswärtigen Amtes, Oppositionelle besucht hat, die sich gerade im Hungerstreik befinden, um gegen die mangelnde Meinungsfreiheit in Tunesien zu demonstrieren.
gfp.com: Sehen Sie darin einen möglichen Kurswechsel?
Thörner: Vielleicht in Nuancen - ich glaube, man öffnet sich ein wenig für Kontakte mit der tunesischen Zivilgesellschaft. Ich glaube aber nicht, dass der grundsätzliche Kurs geändert wird. Ich habe vor kurzem mit dem deutschen Botschafter gesprochen, und auch dabei kam die Haltung klar zum Ausdruck: Keine öffentliche Kritik an der tunesischen Regierung!
Nachricht: 4
Datum: Tue, 22 Nov 2005 17:25:20 +0100
Von: Zeitschrift "Das Parlament"
Betreff: Sorge um die Meinungsfreiheit
Sorge um die Meinungsfreiheit
Sorge um die Meinungsfreiheit
Die Schriftstellervereinigung P.E.N. erinnert an verfolgte Kollegen
Auf dem Weltinformationsgipfel vergangene Woche in Tunis wurde es einmal mehr deutlich: Presse- und Informationsfreiheit sind nicht überall eine Selbstverständlichkeit. Ausländische Journalisten, die nach Tunesien gereist waren, um über den Gipfel und die Menschenrechtslage im Land zu berichten, wurden überwacht, ein französisches Fernsehteam angegriffen. Die Bevölkerung selbst war von Veranstaltungen rund um den Gipfel ausgeschlossen - in Tunesien gibt es kein Versammlungsrecht.
Die Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen" zählt den tunesischen Präsidenten Zine el-Abidine Ben Ali zu einem der 34 "größten Feinde der Pressefreiheit": Es gibt keine unabhängigen Zeitungen im Land, das Internet wird zensiert. Regimekritische Journalisten werden schikaniert, verhaftet und teilweise gefoltert.
Aber auch in Ländern wie China, Iran oder dem Kongo müssen Journalisten, Autoren und Verleger fürchten, an ihrer Arbeit gehindert zu werden. Mehr noch: Nicht wenige landen im Gefängnis oder werden ermordet. So wurden nach Angaben des internationalen Schriftstellerverbandes P.E.N. weltweit 28 Journalisten allein im ersten Halbjahr 2005 getötet, weil sie gegen Ungerechtigkeit und Gewalt in ihren Ländern angeschrieben hatten. Über 200 wurden inhaftiert, oft aus fadenscheinigen Gründen, rund 100 mit dem Tode oder auf andere Weise bedroht.
Für P.E.N.-Präsident Johano Strasser sind all das "bedrückende Tatbestände". Seine Organisation setzt sich international dafür ein, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung durchgesetzt wird. So in Berlin am vergangenen Dienstag: Auf einer Solidaritätsveranstaltung anlässlich des so genannten "Writers-in-Prison"-Tages lasen im Haus der Kulturen der Welt Autoren wie Christoph Hein, Eva Menasse und Peter Schneider Texte verfolgter Kollegen, um auf die kritische Situation der Schreiber und Publizisten aufmerksam zu machen. Zum Repertoire des Abends gehörte der ungarische Literaturnobelpreisträger und Auschwitz-Überlebende Imre Kertész ebenso wie der nigerianische Schriftsteller und Bürgerrechtler Ken Saro-Wiwa.
Kertész wurde als Journalist einer Tageszeitung 1951 von den Kommunisten entlassen - wegen "mangelnder Gesinnung", wie es hieß. Viele Jahre schlug er sich zunächst als Übersetzer in Budapest durch, bevor er 1975 sein Buch "Roman eines Schicksalslosen" in Ungarn veröffentlichen konnte. Ken Saro-Wiwa dagegen hatte sich in den 90er-Jahren öffentlichkeitswirksam für das Überleben des nigerianischen Ogoni-Stammes eingesetzt und gegen eine industrielle Erschließung des Niger-Deltas durch internationale Öl-Multis gekämpft. 1994 erhielt er dafür den alternativen Friedensnobelpreis. Weltweite Proteste konnten nicht verhindern, dass Saro-Wiwa am 10. November 1995 von der Militärregierung hingerichtet wurde.
Zehn Jahre später erregt wieder ein prominenter Fall die Öffentlichkeit: In der Türkei ist gerade der Schriftsteller Orhan Pamuk wegen "Verunglimpfung des Türkentums" angeklagt. In einem Interview hatte er die Armenier-Frage und die Tötung von Kurden 1985 thematisiert - jetzt droht dem diesjährigen Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels in seiner Heimat eine Haftstrafe von bis zu drei Jahren. "Die türkische Regierung versucht, sich liberal zu verhalten, gerade im Hinblick auf eine Mitgliedschaft in der EU", sagt dazu P.E.N.-Präsident Johano Strasser. "Aber noch sind ältere Gesetze in Kraft, auf die sich die Richter berufen können. Die müssen erst mal beseitigt werden."
Allerdings gilt seine Sorge bei weitem nicht nur Ländern, die ohnehin seit Jahren die Menschenrechte missachten. Selbst gefestigte Demokratien mit vorbildlichen Gesetzen sind nicht gefeit vor einer "schleichenden Aushöhlung der Grundrechte", wie Strasser betont: Besonders in den USA habe die Angst vor dem Terror zunehmend zu einer Einschränkung der Meinungsfreiheit geführt. Und auch hierzulande gebe es "bedenkliche" Entwick- lungen. So wurden erst vor zwei Monaten in Potsdam die Redaktionsräume des Polit-Magazins "Cicero" vom BKA durchsucht; Meldungen, wonach in den 90er-Jahren Journalisten vom Bundesnachrichtendienst beobachtet worden sind, haben die Diskussion um die Freiheit journalistischer Arbeit zusätzlich angeheizt.
Der britische Schriftsteller George Orwell ("1984") hat es einmal so formuliert: "Freiheit bedeutet vor allem das Recht, anderen Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen." Wie es scheint, haben damit nicht nur Individuen ein Problem, sondern auch eine ganze Reihe von Staaten.
Ausdruck aus dem Internet-Angebot der Zeitschrift "Das Parlament" mit der Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte"
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