Urgent Action
UA-Nr: UA-290/2005
AI-Index: MDE 30/022/2005
Datum: 15.11.2005
DRANGSALIERUNGEN / SORGE UM SICHERHEIT
Tunesien:
Christophe Boltanski, französischer Journalist
Frau Radhia Nasraoui, Rechtsanwältin
Mokhtar Trifi, Rechtsanwalt
und weitere Menschenrechtler, Journalisten und internationale Beobachter
Ein französischer Journalist und zwei tunesische Menschenrechtler sind in den vergangenen Tagen in der tunesischen Hauptstadt Tunis tätlich angegriffen und drangsaliert worden. Da in Tunis vom 16. bis 18. November 2005 der Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (World Summit on the Information Society - WSIS) stattfinden wird, sind weitere Journalisten und zivilgesellschaftlich engagierte Bürger in Gefahr, ebenfalls angegriffen zu werden.
Am 8. November 2005 wurde Mokhtar Trifi, Rechtsanwalt und Vorsitzender der „Ligue Tunisienne des Droits de l’Homme – LTDH” (Tunesische Menschenrechtsliga), von Männern in Zivilkleidung überfallen, bei denen es sich um Sicherheitskräfte gehandelt haben soll. Die Angreifer versetzten ihm Schläge auf den Kopf, warfen ihn zu Boden und traten ihn. Bislang ist nach Kenntnis von amnesty international keine Untersuchung dieses Überfalls eingeleitet worden.
Am 11. November 2005 wurde der französische Journalist Christophe Boltanski, der für die Tageszeitung „Libération“ arbeitet, von Unbekannten mit Pfefferspray angesprüht, geschlagen und mit Fausthieben in den Rücken traktiert. Zudem stahlen die Angreifer seine Unterlagen. Dies alles geschah in der Nähe mehrerer ausländischer Botschaften, aber obwohl der Journalist um Hilfe gerufen haben soll, kam keiner der Wachposten der Botschaften ihm zu Hilfe. Am selben Tag hatte „Libération“ einen Artikel von Christophe Boltanski veröffentlicht, in dem dieser die jüngsten Angriffe auf tunesische Menschenrechtler, darunter Mokhtar Trifi, kritisiert hatte. Die tunesischen Behörden haben eine Stellungnahme veröffentlicht, in der sie eine Untersuchung des Überfalls auf den Journalisten ankündigten. Aus mehreren Quellen ist der Verdacht geäußert worden, dass die Angriffe von tunesischen Sicherheitskräften oder mit deren Duldung verübt wurden.
Am 14. November 2005 umstellten tunesische Zivilpolizisten das Goethe-Institut in Tunis, um ein Treffen verschiedener internationaler und tunesischer zivilgesellschaftlicher Organisationen zu verhindern, die ein Paralleltreffen zum WSIS-Gipfel, den „Citizen Summit“ (Bürger-Gipfel), vorbereiten wollten. Die Sicherheitskräfte verweigerten mehreren tunesischen Menschenrechtlern und internationalen Beobachtern den Zugang zu dem Gebäude, und in einigen Fälle gingen sie gewaltsam gegen die Teilnehmer vor. Laut Angaben eines Augenzeugen umstellten mehrere Dutzend Polizisten das Fahrzeug der tunesischen Menschenrechtsverteidigerin Radhia Nasraoui, als sie zusammen mit zwei belgischen Journalisten am Goethe-Institut eintraf. Die Polizisten sollen ihr auf die Hände geschlagen und sie beschimpft haben. Dann griffen sie in das Fahrzeug und entrissen einem der Journalisten, der das Geschehen gefilmt hatte, die Kamera. Die Kamera wurde ihm später ohne die Filmkassette zurückgegeben.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN
Die Internationale Telekommunikationsunion (International Telecommunication Union – ITU), eine Teilorganisation der Vereinten Nationen (UN), hat Tunesien als Gastgeberland der WSIS-Gipfels für November 2005 ausgewählt, obwohl das Land aufgrund seiner Menschenrechtssituation vor allem im Hinblick auf strikte Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung immer wieder in der Kritik steht. Mit der Wahl Tunesiens als Austragungsort des Gipfels wurde die Hoffnung verbunden, dass die tunesische Regierung umfassende Freiheitsrechte gewähren und die Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit lockern werde. Diese Erwartungen wurden jedoch nicht erfüllt, und in den vergangenen Wochen sahen sich tunesische Menschenrechtler zunehmend Drangsalierungen ausgesetzt. Die Behörden schränkten immer wieder die freie Meinungsäußerung und den Zugang zu Informationen und den Austausch ein – und damit genau die Rechte, die durch den WSIS-Gipfel gefördert werden sollten.
Die LTDH ist eine der lediglich drei unabhängigen tunesischen Menschenrechtsorganisationen, die eine Akkreditierung für den WSIS-Gipfel erhalten haben. Im September 2005 verhinderte eine Gerichtsentscheidung einen Nationalkongress der LTDH, nachdem einige angebliche LTDH-Mitglieder, die Verbindungen zu den Behörden haben sollen, Beschwerden gegen den Vorstand eingelegt hatten. Sie erhoben den Vorwurf, im Zuge der Umstrukturierung und des Zusammenschlusses verschiedener Zweigstellen der LTDH vom LTDH-Vorstand rechtswidrig aus der Organisation ausgeschlossen worden zu sein. Die tunesischen Behörden untersagten außerdem dem tunesischen Journalistenverband SJT seinen ersten Kongress und ein für den 7. September 2005 geplantes Seminar. An dem Kongress sollten mehrere hundert unabhängige tunesische Journalisten und Vertreter verschiedener internationaler und regionaler Journalistenvereinigungen teilnehmen. Seit der Gründung des SJT ist der Vorsitzende Lotfi Hajii mehrere Male von der Sicherheitsabteilung des Innenministeriums vorgeladen und zu den Aktivitäten des Journalistenverbandes befragt worden. Der SJT setzt sich für die Rechte von Journalisten und die Pressefreiheit ein.
EMPFOHLENE AKTIONEN: Schreiben Sie bitte Telefaxe, E-Mails oder Luftpostbriefe, in denen Sie
Ihre Sorge um die Sicherheit von Menschenrechtsverteidigern zum Ausdruck bringen, die sich im Rahmen des „Weltgipfels zur Informationsgesellschaft“ (World Summit on the Information Society - WSIS) an zivilgesellschaftlichen Aktionen beteiligen, sowie von Journalisten, die über die Aktionen berichten;
die Behörden auffordern, eine umfassende und unabhängige Untersuchung der jüngsten Angriffe auf Menschenrechtler und Journalisten einzuleiten, darunter der LTDH-Vorsitzende Mokhtar Trifi und der französische Journalist Christophe Boltanski, und die Ergebnisse der Ermittlungen zu veröffentlichen sowie die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen;
die Behörden auffordern, die Sicherheit aller Menschenrechtler, Journalisten und internationalen Beobachter, die am WSIS-Gipfel teilnehmen, zu garantieren;
die Behörden auffordern, die Drangsalierung von Menschenrechtsverteidigern einzustellen und die Aktivitäten von Menschenrechtlern und ihr Recht anzuerkennen, diese Aktivitäten ohne Einschränkungen auszuüben, wie es unter anderem die UN-Erklärung zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern festschreibt.
APPELLE AN:
Comité supérieur des droits de l'homme et des libertés fondamtentales, Zakaria Ben Mustapha, 85 Avenue de la Liberté, 1002 Tunis-Belvédère, TUNESIEN
(Vorsitzender des staatlichen Menschenrechtsausschusses)
Telefax: (00 216) 71 796 593; (00 216) 71 784 038
Kanzlei der Botschaft der Tunesischen Republik, S. E. Herrn Moncef Ben Abdallah,
Lindenallee 16, 14050 Berlin
Telefax: 030-3082 0683
Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Französisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 27. Dezember 2005 keine Appelle mehr zu verschicken.
RECOMMENDED ACTION: Please send appeals to arrive as quickly as possible, in English, French, Arabic or your own language:
- expressing concern for the safety of human rights defenders attending civil society activities organized in conjunction with the World Summit on the Information Society (WSIS), and for foreign journalists reporting on these activities;
- urging the authorities to conduct full, impartial and independent investigations into recent attacks on Tunisian human rights defenders and individual journalists, including French journalist Christophe Boltanski and LTDH president Mokhtar Trifi, to make the results public and to bring those found responsible to justice;
- calling on the authorities to take action to guarantee the safety of all human rights defenders, civil society activists, journalists and international observers attending the WSIS;
- calling on the authorities to stop the intimidation of Tunisian human rights defenders, and urging them to recognize the legitimacy of their work and their right to carry out their activities without any restrictions or fear of reprisals, as laid out in international law.-