1. Vertagter Streit um die Macht
Von: Thomas H. Wendel
3. Weltgipfel zur Informations-Gesellschaft endet mit gemischter Bilanz
Von: Klaus Boldt
4. Auch in Genf beenden tunesische Oppositionelle ihren Hungerstreik
5. Uno soll Übergriffe bei Weltgipfel untersuchen
Nachricht: 1
Datum: Sun, 27 Nov 2005 10:04:31 +0100
Von: Thomas H. Wendel
Betreff: Vertagter Streit um die Macht
WORLD WIDE WEB
Vertagter Streit um die Macht
Thomas H. Wendel
BERLIN. Es sollte ein Signal des Aufbruchs von dem Weltgipfel in Tunis ausgehen. Die rund 12 000 erwarteten Teilnehmer aus 120 Ländern sollten sich einigen in ihrem Bemühen, allen Menschen der Welt den Zugang zum Internet zu ermöglichen.
Statt dessen gibt es in der tunesischen Hauptstadt vor allem eins: Streit. Streit um die Macht der USA im Internet. Und um die Politik des Gastgeberlandes Tunesien. Dessen Präsident Zine el Abidine Ben Ali zeigte jedenfalls, dass er unabhängige Berichterstattung in seinem Land nicht goutiert: Journalisten verschwanden im Gefängnis; einzelne für den Gipfel angereiste Pressevertreter wurden verprügelt. Die Gefangenenhilfsorganisation Amnesty International brandmarkte die Gastgeber: In Tunesien sei "Pressefreiheit praktisch nicht vorhanden". Versammlungsfreiheit ebenso nicht: Einem Gegengipfel von Nichtregierungs-Organisationen wurde in Tunis der Veranstaltungsort gekündigt. Protest gab es zudem in Berlin: Tunesier demonstrierten am Mittwoch mit einem Hungerstreik vor dem Auswärtigen Amt gegen Zensur in ihrem Land.
Auch unter den Besuchern der UN-Konferenz ist kaum Feierlaune aufgekommen. Ursprünglich wollten die Teilnehmer vor allem darüber debattieren, wie den armen Ländern ein Anschluss ans Internets verschafft werden kann. Bis 2015 möchte UN-Generalsekretär Kofi Annan die Hälfte der Menschheit mit Internet-Zugängen versorgt sehen. Für dieses Ziel wurde beim ersten UN-Informations-Gipfel 2003 in Genf die Einrichtung eines digitalen Solidaritätsfonds beschlossen. Doch das einstige Hauptanliegen ist in den Hintergrund getreten. Verantwortlich dafür ist die Machtfrage, die den USA in Sachen Internet gestellt wird.
Bislang verfügt das US-Handelsministerium über die Oberaufsicht im Web. Es kontrolliert die private Organisation Icann, welche die so genannten Root-Server für das Internet verwaltet. Das sind Computer, die als Lotsen für alle Datenpakete im Netz fungieren. Wenn Internetsurfer die Adresse
www.berliner-zeitung.de eingeben, sorgen Icann-Computer dafür, dass die Anfragen beim Rechner mit der Adresse 217.111.22.106 richtig ankommen. Die damit verbundene Möglichkeit, ganze Länder durch Ausschalten ihrer Internet-Adressen vom Welt-Datenstrom abzuhängen, sorgt für Argwohn. China und Iran fordern, die Adressverwaltung den USA und Icann ganz zu entziehen. Die EU wiederum setzt sich für eine gleichberechtigte Aufsicht aller Staaten über Icann ein. Beides Vorschläge, die von der US-Regierung abgelehnt werden.
Um einen diplomatischen Eklat zu vermeiden, hat man sich unter Mühen auf einen Kompromiss verständigt: Es bleibt vorerst alles beim Alten. Die Amerikaner wollen aber nun wenigstens über eine neue Struktur der Internet-Verwaltung mit sich reden lassen.
Donnerstag, 17. November 2005
Nachricht: 3
Datum: Sun, 27 Nov 2005 10:12:34 +0100
Von: Klaus Boldt
Betreff: Weltgipfel zur Informations-Gesellschaft endet mit gemischter Bilanz
Weltgipfel zur Informations-Gesellschaft endet mit gemischter Bilanz
Von Klaus Boldt 19.11.2005 Tunis (epo). - Mit der Verabschiedung der "Tunis Agenda für die Informationsgesellschaft" und einer Verpflichtungserklärung zur Förderung der Informationstechnologien in den Entwicklungsländern ist am Freitag der Weltinformationsgipfel in der tunesischen Hauptstadt zu Ende gegangen. Während die Vereinten Nationen und das Konferenz-Sekretariat eine positive Bilanz zogen, waren die Reaktionen unter den anwesenden Organisationen der Zivilgesellschaft gemischt. Vor allem die Einschränkung der Meinungsfreiheit in Tunesien, Übergriffe auf Journalisten und Menschenrechtler während des Weltinformationsgipfels und die weiter bestehende Dominanz der US-Regierung bei der Verwaltung des Internet stiessen auf Kritik.
Mehr als 19.000 Teilnehmer aus 174 Ländern hatten am dreitägigen World Summit on the Information Society (WSIS) teilgenommen, dessen erste Phase im Dezember 2003 in Genf stattgefunden hatte. Das eigentliche Gipfelthema - die ärmeren Länder des Südens bei der Nutzung moderner Informations- und Kommunikationsmittel technisch und finanziell zu unterstützen - wurde jedoch vor allem in den Medien überschattet von Bestrebungen der US-Regierung, ihr Monopol bei der Internet-Aufsicht zu behalten. Repressive Maßnahmen der tunesischen Behörden gegenüber Kritikern in der Zivilgesellschaft und den Medien taten ein Übriges, um die Überwindung der "digitalen Kluft" zwischen Industrie- und Entwicklungsländern in den Hintergrund treten zu lassen.
Hinsichtlich der umstrittenen Frage, wer die Aufsicht über die Vergabe der IP-Adressen und Domain-Namen ausüben soll, wurde ein Kompromiss verabschiedet, der die Gründung eines Forums zur Netzpolitik vorsieht. Damit soll der Einfluss von Regierungen auf die Internet-Administration begrenzt werden. Die Kontrolle über die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) bleibt jedoch bei der National Telecommunications and Information Administration (NTIA) der USA angesiedelt. Die US-Regierung hat damit das letzte Wort, wenn es um strittige Fragen der Internet-Verwaltung geht.
Die Internet Society (ISOC) begrüsste den Ausgang des Gipfels und betonte dennoch, alle Versuche, die Verwaltung des weltweiten Netzes stärker von Regierungen abhängig zu machen, seien abgeschmettert worden.
Mit Blick auf die 122 Punkte umfassende "Tunis Agenda" sagte der Generalsekretär der Internationalen Telekommunikations-Union (ITU), Yoshio Utsumi, Tunis sei "ein Gipfel der Lösungen" gewesen. Man sei einen großen Schritt voran gekommen".
Die in Tunis verabschiedeten Dokumente wiederholen jedoch zum größten Teil Absichtserklärungen zur Unterstützung der ärmeren Länder bei der Nutzung moderner Informations- und Kommunikations-Technologien (IKT), die bereits in der ersten Phase des Weltinformationsgipfels im Dezember 2003 in Genf verabschiedet worden waren. Viele Redner auf dem Tunis-Gipfel beklagten die geringen Finanzmittel zur Unterstützung von Entwicklungsländern. Weitere Zusagen wurden jedoch nur in geringem Umfang gemacht.
Das internationale Forum zur Diskussion der Internet-Politik, das im Frühjahr von UN-Generalsekretär Kofi Annan "in einem offenen und alle einschließenden Verfahren" erstmals einberufen werden soll, wurde von den USA lediglich deshalb nicht abgelehnt, weil es keinerlei Aufsichtsrecht hat und sich weder in technische Fragen noch in das Tagesgeschäft der Internet-Administration einmischen darf.
Die Delegation Chinas und auch Malaysias Kommunikationsminister rechtfertigten staatliche Einmischung in die Internetverwaltung mit dem Argument, kriminelle Machenschaften wie Spam oder Phishing nähmen Überhand und Regierungen müssten die Sicherheit im Cyberspace gewährleisten dürfen.
Scharfe Proteste lösten die Übergriffe tunesischer Sicherheitskräfte auf Journalisten und Kritiker aus den Reihen der Zivilgesellschaft aus. Neben den USA verurteilten auch die EU, die deutsche und die schweizerischen Bundesregierung die Einschränkung der Meinungsfreiheit im Gastgeberland Tunesien. Die tunesischen Regierung hatte Versammlungen kritischer Organisationen verhindert und noch während des Gipfels unerwünschte Internetseiten durch Filterung blockiert. Die US-amerikanische OpenNet Initiative fand heraus, dass von 2000 getesteten Websites zehn Prozent blockiert waren.
Der Präsident der Menschenrechtsorganisation "Reporter ohne Grenzen", Robert Ménard, war von den tunesischen Behördn an der Einreise gehindert worden, obwohl er eine gültige Akkreditierung zum Gipfel besass. Ein Meeting zur Vorbereitung des Civil Society Information Summit (CSIS) im deuschen Goethe-Institut in Tunis wurde durch Polizisten in Zivil teilweise mit Hilfe von Tätlichkeiten verhindert.
Sieben oppositionelle Tunesier, die vor dem Gipfel mit einem Hungerstreik auf mangelnde Pressefreiheit und Menschenrechte aufmerksam gemacht hatten, brachen ihre Aktion am letzten Gipfeltag ab und erklärten, sie hätten ihr Ziel erreicht. "Nie mehr sollten die Vereinten Nationen einen Weltgipfel in einem Land abhalten, das internationalen Verpflichtungen zur Einhaltung der Menschenrechte und der Pressefreiheit nicht einhält", kritisierte der Menschenrechsexperte und Leiter der Tunisian Monitoring Group, Steve Buckley die Organisatoren des Gipfels.
Offenbar unbeirrt von den Protesten dankte Tunesiens autokratisch regierender Präsident Tunisian President Ben Ali den Gipfelteilnehmern für ihre "konstruktiven Beiträge für eine Welt, die eine integriertere Informationsgesellschaft erlauben wird".
Nachricht: 4
Datum: Sun, 27 Nov 2005 09:57:27 +0100
Betreff: Auch in Genf beenden tunesische Oppositionelle ihren Hungerstreik
Weltinformationsgipfel in TunisAuch in Genf beenden tunesische Oppositionelle ihren HungerstreikGenf (sda21.11.2005) Der Hungerstreik von zehn tunesischen Oppositionelle in Genf ist beendet. Nachdem der Weltinformationsgipfel in Tunis seine Tore geschlossen habe, werde der Hungerstreik abgebrochen, teilte die Organisation Ezzeitouna am Freitagabend mit.
Die zehn Oppositionellen waren vor einer Woche in Genf in den Hungerstreik getreten. Sie hatten damit auf die Lage der Menschenrechte in ihrem Land aufmerksam machen wollen und sich zudem mit sieben Oppositionellen in Tunis solidarisiert, die bereits Mitte Oktober in den Hungersteik getreten waren.
Auch in Tunis wurde der Hungerstreik nach dem Ende des Gipfels abgebrochen. Gegenüber der Nachrichtenagentur sda erklärte der Präsident von Ezzeitouna (arabisch für "Olivenbaum"), Guesni Larbi, das Ziel der Aktion sei erreicht worden.
"Wir haben die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf das, was in Tunesien passiert, lenken können - vor allem auf die Probleme mit der Presse- und Meinungsfreiheit", sagte er in Genf.
Der Sprecher des Unterstützungskomitees für den Hungerstreik in Genf, Gharbi Anour, lobte die Kritik der Schweizer Regierung an der tunesischen. "Für die Tunesier ist Bundespräsident Samuel Schmid ein Held", sagte er.
Schmid hatte bei seiner Rede am Weltinformationsgipfel die Regierung scharf kritisiert: "Ich erachte es als selbstverständlich, dass hier in Tunis, in diesen Mauern und auch ausserhalb, jeder in völliger Freiheit diskutieren kann", hatte er am Mittwoch erklärt.
Am Freitag war der Weltinformationsgipfels in Tunis zu Ende gegangen. Vertreter von 176 Ländern nahmen daran teil. Die Schweiz war Ehrengast. Sie hatte 2003 den ersten Teil des Weltinformationsgipfels in Genf durchgeführt.
Nachricht: 5
Datum: Tue, 29 Nov 2005 00:32:25 +0100
Betreff: Uno soll Übergriffe bei Weltgipfel untersuchen
Uno soll Übergriffe bei Weltgipfel untersuchen
28. Nov 10:04
Auf dem UN-Weltgipfel wurden mehrfach Delegierte von der tunesischen Polizei behindert. Für Tunesien könnte dies nun ein diplomatisches Nachspiel haben. Mehrere Nichtregierungs- Organisationen haben die Vereinten Nationen aufgefordert, die Übergriffe und Zwischenfälle während des Weltinformationsgipfels in Tunesien zu untersuchen. Sie schrieben in einem Brief an Generalsekretär Kofi Annan, die Uno müsse zudem beobachten, wie sich die Situation nach dem Gipfel in Tunis entwickele.
Auf dem Gipfel hatte es mehrfach verbalen Attacken auf Journalisten, Bürgerrechtsaktivisten und Delegierte gegeben. Teilnehmer wurden daran gehindert, zu Veranstaltungen zu gelangen. Einem Journalisten wurde die Einreise in das Land verweigert.
Die Organisationen fürchten, dass die tunesische Regierung nun massiv gegen Regimekritiker vorgehen wird, die sich während des Gipfels kritisch geäußert hatten. Unter anderem fürchten sieben Anwälte und Richter, die zum Abschluss des Gipfels einen über einmonatigen Hungerstreik beendet hatten, weitere Repressionen. Sie hatten auf dem Gipfel erklärt, sie wollten sich nicht von der weiteren politischen Arbeit in einem neu gegründeten Komitee abhalten lassen.
Protest an der tunesischen Regierung kommt nicht nur von den Nichtregierungsorganisationen. Die EU und die Schweiz haben formellen Protest gegen die Behinderung ihrer Delegierten eingelegt. (nz)