Themen in dieser Ausgabe:

1. Die EU ist kein Demokratie-Professor
Von: Stéphane Carrara, Sarah Wolff & Vanessa Witkowski

2. Journalistin Ben Sedrine

3. Die Kehrseite des Paradises

4. Infos zu Tunesien 01.12.05

5. Nordafrikas Despoten zerstören die Demokratie-Träume

6. Portraet Sihem Ben Sedrine

7. Informationsgipfel in Tunis? Das ist absurd


Nachricht: 1
Datum: Tue, 29 Nov 2005 22:57:49 +0100
Von: Stéphane Carrara, Sarah Wolff & Vanessa Witkowski
Betreff: Die EU ist kein Demokratie-Professor

Stéphane Carrara, Sarah Wolff & Vanessa Witkowski - Bruxelles - 28.11.2005 Hélène Flautre « L'UE n'est pas le professeur en matière de démocratie » Menschenrechte "Die EU ist kein Demokratie-Professor"Werden die Menschenrechte in der Euromed-Zone eingehalten? Hélène Flautre, Präsidentin des Unterausschusses "Menschenrechte" im Europaparlament in Straßburg, zieht eine zwiespältige Bilanz. Hélène Flautre (Europa-Parlament) Die französische Europaparlamentarierin Hélène Flautre, 47, ist Mitglied der Fraktion der Grünen. Sie beschäftigt sich regelmäßig mit Menschenrechtsfragen. Sie bedauert, dass die europäische Politik im Demokratisierungsprozess mit zweierlei Maß misst und besteht darauf, dass wirkungsvolle Druckmittel eingerichtet werden müssten.

Die Euromed-Partnerschaft jährt sich zum zehnten Mal. In der Erklärung von Barcelona, die die Partnerschaft besiegelte, werden auch Ziele in der Menschenrechtspolitik formuliert. Wie fällt die Bilanz in diesem Gebiet aus?
Es nützt nichts, eine vorschnelle Analyse vorzunehmen. Man kann natürlich feststellen, dass die Bilanz in weiten Teilen, vor allem in Bezug auf die Umsetzung der Grundrechte, zwiespältig ausfällt. Die Pressefreiheit, die Unabhängigkeit der Justiz, die Demokratisierung des politischen Systems oder auch die Versammlungsfreiheit lassen zu wünschen übrig.

Gleichwohl hat der Prozess Gelder freigesetzt und mittels des politischen Dialogs Beziehungen mit NGOs und der Zivilgesellschaft aufgebaut. Im Kern des "Euromed"-Programms findet man zwei wichtige europäische Probleme: Die Lenkung der Flüchtlingsströme und der Kampf gegen den Terrorismus. Leider sind unsere Parlamentarier und die Zivilgesellschaft nicht ausreichend in die Bewertung des Prozesses eingebunden. Die Politiker und die zivilgesellschaftlichen Akteure der Region müssen stärker vernetzt werden. Nur so können alle mitwirken.

Ist da die neue "Europäische Nachbarschaftspolitik" (ENP) anspruchsvoller? Ermöglicht die Strategie des " Benchmarking" die gesteckten Ziele zu erreichen?
Die neue Europäische Nachbarschaftspolitik fasst nationale Aktionspläne und deren Ziele in Bezug auf Demokratie und Grundrechte präziser. Diese Aktionspläne sind in der Tat operationell. Aber ihre Ziele sind noch nicht vollständig im Kreis unserer Unterausschuss "Menschenrechte" bewertet worden, weil die EU die Bitte Israels akzeptiert hat, keine Unterausschuss zur Bewertung zu stellen.

Seitdem betreibt Europa eine Politik, die mit zweierlei Maß misst. Dadurch verliert sie ihre Glaubwürdigkeit gegenüber anderen Partnern, wie zum Beispiel Marokko, Jordanien oder Tunesien. Die Idee, die Menschenrechtssituation Fall für Fall zu studieren, muss noch diskutiert werden. Eine solche individuelle Bewertung bleibt essentiell, wenn in diesen Ländern die Verteidiger der Menschenrechte ihrer Arbeit nicht zufriedenstellend nachgehen können.

Warum nutzt die EU nicht ihre Sanktionsmacht, wenn die Menschenrechte in den Mittelmeerstaaten mit Füßen getreten werden?
Die EU ist unfähig, Druck aufzubauen. Tunesien ist ein Beispiel hierfür: Es war das erste in der Region, dass das Assoziierungsabkommen unterzeichent hat. Doch trotz einer bedeutenden Wachstumsrate in der Wirtschaft und dem Zugewinn an Freiheiten für Frauen in den letzten zehn Jahren: Tunesien fällt hinsichtlich wichtiger Grundrechte zurück.

Die Behauptung, die wirtschaftliche Entwicklung sei das "Baby" der Demokratie ist, erwies sich als unzutreffend. Seit 1987 wurde nicht ein neuer Verband in Tunesien gegründet; die Regierung blockiert die dafür notwendigen Gelder und bringt so die tunesische Zivilgesellschaft in Gefahr. Das bekannteste Beispiel ist die "Tunesische Liga der Menschenrechte" (LTDH), die überhaupt keine Subventionen erhält. Es ist darum wichtig, dass die EU ein Druckmittel findet, um zu verhindern, dass ihr Ruf in der internationalen Politik leidet.

Welche Lösungsvorschläge haben Sie?
Ich könnte mir eine Europäische Kommission vorstellen, die die Probleme klar anspricht und einen einen Europäischen Rat, der harte Forderungen stellt. Der tunesische Präsident Ben Ali, sehr auf sein Image bedacht, wäre gezwungen zu handeln. Man müsste zum Beispiel bestimmte Gelder verwehren, natürlich ohne die wirtschaftliche Entwicklung des Landes zu gefährden. Denn Tunesien stellt eine Herausforderung für die Glaubwürdigkeit des euro-mediterranen Prozesses dar.

Kann die EU ein guter Demokratie-Professor sein, wenn ihr selbst ein "demokratisches Defizit" angelastet wird und ihr « Plan D » zur Behebung dieses Defizits nur stotternd anläuft?
Man muss die Idee aufgeben, dass die EU ein "Professor" in Sachen Demokratie ist und keine neo-kolonialistische Haltung zu beschönigen. Es geht vielmehr darum, über einen internationalen Pakt die Basis für gemeinsames demokratisches Engagement zu schaffen. Die Zivilgesellschaft der Drittweltländer teilt unsere Werte, wie Vereinigungs- und Pressefreiheit oder die Unabhängigkeit der Justiz. Außerdem wäre die EU nicht glaubwürdig, würde sie für sich selbst nicht mehr Demokratie einfordern. Ich beobachte auch, dass Forderungen, die mit dem Kampf gegen den Terrorismus zusammenhängen, die Stärkung der Demokratie und die positive Entwicklung der Menschenrechte gefährden. Wenn die EU tatsächlich die Geldmittel für das Grenzgebiet Libyens, der Heimstätte des Terrorismus, in Frage stellt, wird ihre Glaubwürdigkeit auf die Probe gestellt.
Stéphane Carrara, Sarah Wolff & Vanessa Witkowski - Bruxelles - 28.11.2005 | Übersetzung: Julia Wehner

Nachricht: 2
Datum: Thu, 01 Dec 2005 11:52:55 +0100
Betreff: Journalistin Ben Sedrine

Bensedrine, Sihem
Die Journalistin Sihem Bensedrine ist seit 1980 in einer tunesischen Menschenrechtsorganisation aktiv. Als Galionsfigur des Widerstands gegen die Diktatur Ben Alis ist sie vielfältigen Repressionen ausgesetzt; 2001 wurde sie nach Publikationen über Korruption und Folter inhaftiert. 2002 erhielt sie den Johann Philipp Palm-Preis für Meinungs- und Pressefreiheit.

Besiegte BefreiteEine arabische Journalistin erlebt den besetzten Irak
Antje Kunstmann Verlag, München 2004
ISBN 3888973627,
Gebunden, 127 Seiten, 12,90 EUR

Klappentext
Aus dem Französischen von Ursel Schäfer. Zwei Monate nach dem - offiziellen - Ende des Kriegs reist die tunesische Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Sihem Bensedrine in den Irak. Sie will ihre Freundin Nacera wiederfinden, eine irakische Ingenieurin, die ihr zwölf Jahre zuvor die Augen über das Regime Saddam Husseins geöffnet hatte. Aber im "befreiten" Irak bleibt Nacera verschwunden. Was westlichen Berichterstattern verschlossen bleibt, erfährt die arabische Journalistin im Gespräch mit den Irakern selbst. Erst durch die "Befreiung" wird für sie sichtbar, dass die irakische Gesellschaft durch eine 24-jährige Diktatur bis in ihre Tiefenschichten zerstört ist. Doch die Eindrücke einer Reise in eine von Krieg und Diktatur versehrte Gesellschaft führen Sihem Bensedrine auch zu einer Konfrontation mit sich selbst. Was ist aus dem Traum von einer "Renaissance der arabischen Welt" geworden, wie stellt sich die Zukunft anderer arabischer Staaten - wie Syrien oder Tunesien - im Griff einer brutalen Diktatur dar?
Rezensionen - Neue Zürcher Zeitung vom 13.07.2004
Als "nüchtern-kunstvoll komponierte Reportage" lobt Renate Wiggershaus diesen Bericht der tunesischen Journalistin Sihem Bensedrine über ihre Reise in den besetzten Irak kurz nach dem offiziellen Ende des zweiten Golfkriegs. Dort suchte die Autorin nach einer "verschwundenen" Freundin, die ihr bei ihrem Besuch 1993 die Augen über das wahre Gesicht des Baath-Regimes geöffnet hatte. Bensedrine schildere den alltäglichen Überlebenskampf der Menschen in Bagdad. Für die meisten Frauen und Männer, mit denen sie gesprochen habe, berichtet Wiggershaus, habe heute ein "Terror des Chaos" die "Ordnung des Staatsterrors" abgelöst. Die Kriege, die Diktatur und das Embargo hätten den ausgeprägten Bürgersinn ausgehöhlt, für den die Iraker einmal bekannt waren. Den "eigentlichen Schrecken" dieser Reise sieht die Rezensentin - symbolisiert durch die unauffindbare irakische Freundin - in der "Unauffindbarkeit demokratischer Perspektiven" im Irak.

Despoten vor Europas HaustürWarum der Sicherheitswahn den Extremismus schürt


Antje Kunstmann Verlag, München 2005
ISBN 388897397X,
Gebunden, 224 Seiten, 16,90 EUR

Klappentext
Aus dem Französischen von Ursel Schäfer. Freiheit und Demokratie in den arabischen Ländern zu fördern, die Menschenrechte und die Wirtschaft dazu - das ist seit der Erklärung von Barcelona 1995 deklarierte Politik der EU. Doch inzwischen ist mehr von Auffanglagern für Asylsuchende in Nordafrika die Rede als von Demokratie und wirtschaftlicher Entwicklung. Aus Angst vor Einwanderung und islamistischem Terror unterstützt die EU südlich des Mittelmeers autoritäre Regimes: Stabilität um jeden Preis ist die neue Politik. Europa hält sich Despoten vor der Haustür und damit die Probleme vom Hals - ist das nicht eine bewährte Politik? In Wahrheit fördert sie Hass, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit bei den Unterdrückten und führt immer tiefer in den Teufelskreis extremistischer Gewalt, vor der sich Europa doch gerade schützen will. Es ist an der Zeit und in unserem ureigensten Interesse, die politische Heuchelei und eine hochgefährliche "Sicherheitspolitik" zu beenden.
Rezensionen - Die Tageszeitung vom 19.10.2005
Eine "längst fällige Rechnung" präsentieren die beiden tunesischen Autoren Sihem Bensedrine und Omar Mestiri mit diesem Buch der Europäischen Union, meint Rezensent Rudolf Walther. Sehr überzeugend legen die beiden Autoren seiner Ansicht nach dar, wie sich unter dem Deckmantel des Anti-Terror-Kampfes die autoritären Regime in Nordafrika mit europäischer Hilfe stabilisierten. Besonders deutlich werde dies am Beispiel Tunesiens, dessen Sicherheit auch dem deutschen Innenminister am Herzen liegt, schließlich ist es mittlerweile eines der beliebtesten deutschen Urlaubsziele. Nur zu bereitwillig haben die tunesischen Behörden Terrorismus-Paragrafen erlassen, die gleich jede oppositionelle Tätigkeit strafbar werden lassen. Gern haben sie auch der europäischen Forderung nachgegeben, die staatseigenen Betriebe zu verkaufen - meist an regierungsnahe Clans, wie Walther berichtet. Ein wenig besser, aber nicht wirklich gut sieht es in Marokko und Algerien aus, die sich für die Autoren zu "weichen" Diktaturen gemausert haben. Was das bedeutet, erklärt Walther so: Hier werden Zeitungen nicht verboten, sondern in den finanziellen Ruin getrieben. Für Walther ein wichtiges, überzeugendes Buch.
Rezensionen - Frankfurter Rundschau vom 12.10.2005
Ein "Geschenk des Himmels" sei der 11. September für die diktatorischen Regime in Nordafrika gewesen, referiert Rezensentin Renate Wiggershaus die erschreckende Bestandsaufnahme des Bandes. Zehn Jahre nach der "Erklärung von Barcelona" zu einer "gemeinsamen Friedens- und Stabilitätszone" habe die EU ihre Prioritäten mitsamt des Geldes verschoben von einer Demokratisierung der nordafrikanischen Länder zugunsten einer undemokratischen "Kontrolle des Migrantenstroms". Die aus Tunesien stammenden Autoren dokumentierten mit vielen Beispielen, wie die Quasi-Diktaturen in Tunesien, Algerien und Libyen den so genannten "internationalen Kampf gegen den Terrorismus" für ihren Terror gegen Oppositionelle benutzten. Von der Kontrolle des Internets bis zur Gründung von Schein-NGOs reiche das strukturelle Instrumentarium der Regierungen, die die Autoren als "Diktaturen mit demokratischen Fassaden" bezeichneten. Im Falle Libyens würde sich die "Zusammenarbeit" von EU und Staat geradezu auf ein Projekt "Bollwerk" beschränken, eine italienisch-libysche Polizeieinheit sei bereits aufgestellt. Als schlichtweg "eindrucksvoll" bezeichnet Wiggershaus die kritische Analyse der Autoren Sihem Bensedrine und Omar Mestiri.

Nachricht: 3
Datum: Thu, 01 Dec 2005 12:49:55 +0100
Betreff: Die Kehrseite des Paradises

Die Kehrseite des Paradises<!-- Text: [begin] -->
"Ihr habt keine Rechte hier, aber Willkommen in Tunesien." Mit diesen Worten hat ein tunesischer Polizist in Zivil eine Delegation von Reporter ohne Grenzen im Juni in Tunis davon abgehalten, an einer öffentlichen Anhörung im Gericht teilzunehmen. Dieser Satz zeigt, wie paradox die Situation in Tunesien ist: Mit dem Tourismus als inzwischen wichtigste Einnahmequelle ist das Mittelmeerland auf ein positives Image angewiesen. Zwar hat Tunesien alle intentionalen Vereinbarungen zur Wahrung der Menschenrechte unterzeichnet, doch bietet sich hinter der schönen Fassade aus Meer, Stränden und Märkten ein erschreckendes Bild: Grundlegende Menschenrechte wie Meinungs- und Informationsfreiheit sowie eine pluralistische Demokratie existieren nicht.

Präsident Ben Ali hat seit seiner Machtübernahme im November 1987 eine Propagandamaschine par exellence aufgebaut: Schlagzeilen sind immer die Tätigkeiten der Regierung. Kritische Journalisten werden mundtot gemacht; die "Schere im Kopf" hat sich bei vielen etabliert. Hunderte Webseiten sind gesperrt, Journalisten und Internetnutzer sind hinter Gittern. Aus Sicht von Reporter ohne Grenzen ist es daher völlig unverständlich, wie die Vereinten Nationen einen Gipfel, der der dem Austausch von freier Meinung und Information diesen soll, in einem Land stattfindet, das zu den weltweit repressivsten zählt und auf der aktuellen Rangliste von Reporter ohne Grenzen zur weltweiten Situation der Pressefreiheit Rang 147 von 167 einnimmt.

Die Medienlandschaft in Tunesien ist stark dezimiert: Neben den vorwiegend von der Regierung finanzierten Tageszeitungen La Presse (franz.) und Essahafa (arabisch) gibt ein Dutzend weiterer regierungsnaher Tages- und Wochenzeitungen. In den Schlagzeilen sind so gut wie immer Ben Ali und Regierungsmitglieder zu finden. Zwei landesweit erscheinende oppositionelle Publikationen - die monatliche Attariq aljadid sowie die Wochenzeitung Al-Maoukif - nehmen zwar einen überraschend unabhängigen Blickwinkel ein. Doch die Zeitungen, die von der Regierung anerkannten politischen Parteien gehören, haben mit ihrer geringen Auflage von 3.000 bzw. 5.000 Stück einen sehr geringen Einfluss, verglichen mit den 55.000 Exemplaren, die täglich von La Presse erscheinen.

"Die Regierung würde uns gerne schließen - aber auf der anderen Seite nutzt sie uns als Feigenblatt für eine freie Presselandschaft in Tunesien. Jegliches Vorgehen gegen uns würde den internationalen Ruf schädigen", sagt Rashid Kashana, Chefredakteur von Al-Maoukif.

Auch die audiovisuellen Medien sind so gut wie komplett unter staatlicher Kontrolle. Radio (mehrere landesweite Sender) und Fernsehen (Canal 7 und Canal 21) unterstehen der Regierung von Ben Ali und senden vor allem staatliche Propaganda.
Der einzige private TV-Sender ist Hanibal TV. Doch hier empfängt der Zuschauer keine Nachrichten sondern Unterhaltungsprogramme, Komödien und Koch-Programme. Mit Mosaique FM existiert ein offiziell unabhängiger Radiosender, der neben Musik auch Nachrichten bringt. Doch er ist - auch nach eigenen Angaben - sehr regierungsnah.

Neugründung von Publikationen: Zensur mittels Quittung

Offiziell hat zwar jeder das Recht, eine Publikation in Tunesien herauszugeben. Es ist keine Zulassung notwendig; lediglich eine "einfache" Registrierung im Innenministerium, für die es dann eine Quittung gibt. In der Praxis sieht es jedoch ganz anders aus: Der Beleg wir oft nicht ausgehändigt, und ohne ihn darf etwa eine Druckerei nicht drucken. So hat die tunesische Menschenrechtlerin und Journalistin Sihem Bensedrine seit 1999 dreimal vergeblich versucht, ihre Zeitschrift Kalima zu registrieren. Mittlerweile veröffentlicht sie sie vom Ausland aus im Internet. Der frühere Universitäts-Professor und Regierungskritiker Mohammad Talbi wartet schon seit 1989. Ohne Beziehungen zu hochrangigen Politikern ist es offensichtlich nicht möglich, eine Publikation neu zugründen; auch nicht zu Architektur-, Kultur- oder Technologiethemen. Auch der international anerkannte Tunesische Journalistenverband mit 160 Mitgliedern darf in Tunesien nicht offiziell tätig sein.

Journalisten hinter Gittern
Das Pressegesetz erlaubt Haftstrafen von ein bis drei Jahren für die Verleumdung von u.a. Behörden- und Regierungsmitgliedern, von fünf Jahren, wenn der Präsident, und von sechs Monaten wenn eine Privatperson verleumdet wird.
Zwar heißt es offiziell, dass seit 1987 kein Journalist wegen seiner Arbeit verhaftet wurde, doch ergaben die Recherchen von Reporter ohne Grenzen: Mindestens sechs Journalisten sind in den vergangenen Jahren verhaftet und wegen "Diffamierung" und dem "Verbreiten falscher Nachrichten" verurteilt worden. Derzeit ist mit Hamadi Jebali, Herausgeber der Wochenzeitung Al-Fajr, noch ein Journalist hinter Gittern. Er ist 1991 wegen "Diffamierung" und "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" verurteilt worden und kommt voraussichtlich 2008 frei. Der Rechtsanwalt Mohammad Abou ist für mehrere Jahre im Gefängnis, u.a., weil er auf der Website Tunisnews die Folter von Gefangenen in Tunesien mit den Misshandlungen im irakischen Gefängnis Abu Ghraib verglichen hat.

Zensur betrifft weniger die nationale Presse, denn die sind ohnehin unter staatlicher Kontrolle, sondern vielmehr die ausländische: Zahllose französische, europäische und arabische Publikationen dürfen nicht in Tunesien erscheinen. So werden Lieferungen von Le Monde und Libération immer wieder an der Grenze zurückgehalten oder mit Tagen Verspätung ausgeliefert. Offiziell jedoch heißt es: "Seit dem 7. November 1987 ist keine Zeitung und kein Magazin am Erscheinen gehindert worden."

Auch der das Bild Tunesien außerhalb der Landesgrenzen wird kontrolliert: Die Tunesische Agentur für Außenkommunikation überwacht und koordiniert alle Anfragen ausländischer Journalisten, auch zu Themen wie Wissenschaft, Kultur und Soziales.

Ebenso ist das Internet, von Ben Ali nicht erst anlässlich des Weltinformationsgipfels als wichtiges Medium anerkannt, ist in Tunesien nicht frei von Kontrolle. Zahlreiche Webseiten, etwa von Menschenrechtsgruppen und politischen Parteien, die nicht offiziell anerkannt sind, können in Tunesien nicht aufgerufen werden. Fünf junge Internetnutzer erhielten für den Besuch verbotener Webseiten bis zu 13 Jahren Haft. Und Sihem Bensedrine ist u.a. wegen ihrer journalistischen und Menschenrechtsarbeit im Internet mehrfach in Zeitungen diffamiert, auf offener Straße angegriffen, inhaftiert und misshandelt worden.

Reporter ohne Grenzen hat aus all diesen Gründen die Vereinten Nationen bereits im Juli aufgefordert, das Vorgehen Ben Alis zu verurteilen, um so einige positive Maßnahmen im Vorfeld des Gipfels zu erwirken. Bisher ist nichts dergleichen geschehen.

Nachricht: 4
Datum: Thu, 01 Dec 2005 16:15:50 +0100
Betreff: Infos zu Tunesien 01.12.05

01. Dezember 2005

Durch den UNO-Informationsgipfel in Tunesien wurde die Welt auf die Situation der Menschenrechte in Tunesien aufmerksam. Die Medien in Europa berichteten ungewohnt ausführlich. Der Regierung in Tunesien war es nur sehr unvollkommen gelungen, die Einschränkungen der Rechtsstaatlichkeit geheim zu halten - nicht zuletzt aufgrund des Hungerstreiks. Kaum ist der World Summit for Information Society (WISIS) zu Ende, ist die Situation die alte.

Seit mehreren Wochen sind einige politische Gefangene im Hungerstreik, darunter der Journalist Hamadi Jebali, der sich seit 16 Jahren in Haft befindet, ebenso der Studentenführer Abdelkarim Harouni. Der ehemalige politische Gefangene Hedi Triki wurde in dieser Woche auf offener Straße schwer verletzt; die Täter blieben - wie üblich - unbekannt.

Wir unterstützen die Forderungen aller tunesischen Kräfte und fordern:

- Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, das bedeutet natürlich auch: keine Folter, keine Gewalt;

- Freilassung aller politischen Gefangenen;

- Presse- und Versammlungsfreiheit.

Wir dürfen in Europa nicht die Augen vor den Menschenrechtsverletzungen in Tunesien verschließen. Auch wir sind verantwortlich.

SOS TUNESIEN
Der Vorstand

Nachricht: 5
Datum: Thu, 01 Dec 2005 11:38:59 +0100
Betreff: Nordafrikas Despoten zerstören die Demokratie-Träume

Nordafrikas Despoten zerstören die Demokratie-Träume
Von Claudia Hangen

Hamburg

Die tunesische Dissidentin und Herausgeberin der in Tunesien verbotenen Online-Zeitung "Kalima" (arabisch: Stimme), Sihem Bensedrine, hat ihr Buch "Despoten vor Europas Haustüre" vorgestellt. Bis Anfang nächsten Jahres hat die Schriftstellerin und Regimekritikerin, die in ihrer Heimat verfolgt wird, bei der Stiftung für politisch Verfolgte in Hamburg Obdach. Dann kehrt sie zurück in eine ungewisse Zukunft.

"Tunesien ist eines der größten Gefängnisse dieser Welt", erklärt Sihem Bensedrine. Das Land hält die Einwohner durch Unterdrückung, Folter und die vehemente Einschränkung ihrer Bürgerrechte in Knechtschaft, seitdem Staatspräsident Zine al-Abidine Ben Ali 1987 die Macht an sich gerissen hat. Seit über 15 Jahren könnten weder Bensedrine noch ihr Mann Omar Mestiri oder eines ihrer drei Kinder in Tunis auf die Straße gehen, ohne daß sie von Polizisten verfolgt würden, so Bensedrine.

Die Grundlage für die undemokratische Entwicklung Tunesiens erörtert sie in ihrem neuen Buch. Darin zeichnet sie zusammen mit ihrem Ehemann Mestiri nach ausgiebigen Recherchen in der Pariser Nationalbibliothek, dem Deutschen Orientinstitut in Hamburg und auf Grund zahlreicher Zeugenberichte von Dissidenten das Bild der Realpolitik in den Maghreb-Staaten nach.

Ihre Bilanz seit der Unterzeichnung des Partnerschaftsvertrages in Barcelona 1995 ist nüchtern. Weder Libyen, noch Marokko, Algerien oder Tunesien sind der Demokratie auch nur einen Schritt nähergerückt. Sinn des EU-Abkommens mit den Mittelmeeranrainern war ursprünglich die Schaffung einer Friedens- und Stabilitätsordnung nach dem Vorbild der Charta der Vereinten Nationen, um "das gegenseitige Verständnis der Kulturen und den Austausch zwischen den Zivilgesellschaften zu fördern".

Doch genau das Gegenteil ist eingetroffen. Vor allem nach den Anschlägen in Casablanca im Mai 2003 wurde nicht nur eine verschärfte Sicherheitspolitik in den Maghreb-Staaten eingeleitet, die dazu führte, daß auch Vertreter von Menschenrechtsorganisationen wie gemäßigte religiöse Vertreter starken politischen Repressalien ausgesetzt wurden. Die Politik der "Sicherheit wurde sogar über alles" gesetzt, kritisieren die Autoren, so daß am Ende innenpolitische Reformen in Richtung Demokratisierung völlig unnötig wurden. Die Sicherheitsdoktrin der Maghreb-Staaten ist nach Ansicht Sihem Bensedrines der Hauptvorwand der autokratischen Machthaber, um gegen Vertreter der Zivilgesellschaft vorzugehen und Grundfreiheiten der Bürger noch weiter einzuschränken.

Dabei haben es die autokratischen Machthaber geschafft, der EU die Fassade einer Demokratie vorzuspiegeln und wortreich über Liberalisierungsprozesse der Wirtschaft zu berichten. Doch gerade das Tunesien unter Ben Ali gilt als bestes Beispiel dafür, daß nie eine liberale Wirtschaftsordnung geschaffen wurde. Statt dessen beherrschen korrupte Familienclans die Wirtschaft. Das führt auch zu Migrationsströmen, da junge Tunesier kaum Hoffnung haben, in der Heimat ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

erschienen am 29. November 2005

Nachricht: 6
Datum: Thu, 01 Dec 2005 12:00:10 +0100
Betreff: Portraet Sihem Ben Sedrine

Porträt:
Sihem Bensedrine
Tunesien, das bedeutet für die meisten Menschen unbeschwertes Urlaubsvergnügen an endlosen Traumstränden und für die Interessierten vielleicht noch ein bisschen Kultur und Geschichte im Hinterland. Wenn die Journalistin und Autorin Sihem Bensedrine jedoch von ihrer nordafrikanischen Heimat spricht, dann bröckelt die Fassade des Touristenparadieses sehr schnell. Obwohl die Menschenrechte in Tunesien eigentlich verfassungsmäßig garantiert sind, regiert im Land Angst, Verfolgung und Unterdrückung. Das hat auch Sihem Bensedrine, Jahrgang 1950, erfahren müssen.
Mutig gegen das Unrecht
Bereits während sie in Frankreich Philosophie studierte hatte sie sich für die Menschenrechte in Tunesien engagiert, dies später als Journalistin für zahlreiche unabhängige Medien weitergeführt. Keine leichte Aufgabe, denn kritische Stimmen wurden von der Regierung durch Verbote mundtot gemacht. Einen Hoffnungsschimmer bot die Machtübernahme Präsident Ben Alis Mitte der 80er Jahre. Doch statt der versprochenen Freiheit folgte nur noch mehr Unterdrückung und Schikane. "Die Regierung führt das Land nicht gut", klagt Sihem Bensedrine und berichtet von Ungeheuerlichkeiten, die ihr widerfahren sind. Sechs Jahre lang hatte sie beispielsweise keinen Pass, durfte das Land nicht verlassen. Wie ihr erging es vielen Intellektuellen. Aus Angst vor derartigen Sanktionen halten viele lieber still als öffentlich ihre kritische Meinung zu äußern. Nicht so Sihem Bensedrine: Als sie das lang ersehnte Dokument dann endlich in den Händen hielt, reiste sich nach London, wo sie einem arabischen Fernseh-Sender ein Interview gab. Nicht in Hocharabisch, sondern in einem tunesischen Dialekt, den auch die einfachen Leute verstehen konnten. Das passte der Regierung natürlich nicht und bei ihrer Rückkehr wurde Sihem prompt verhaftet. Wie lange sie im Gefängnis war? "Dieses Mal nicht sehr lange", sagt sie. "Nur zwei Monate."
Das Wort als Waffe
Tunesien ist ein Polizeistaat, in dem es sechs Mal mehr offizielle Polizisten gibt als in Frankreich, ganz zu schweigen von der allgegenwärtigen Geheimpolizei. Sihem Bensedrine vergleicht Tunesien mit der ehemaligen DDR: "Die Menschen haben Angst, sie werden systematisch zerstört, indem sie unterdrückt und erpresst werden." Sihem weiß, wovon sie spricht. Sie wurde mehrfach inhaftiert, überfallen und bedroht. Weil sie sagt, wie es ist und sich nicht den Mund verbieten lassen will. Dafür kämpft sie mit bemerkenswertem Mut an allen Fronten. Sie ist Gründungsmitglied und Sprecherin des "Nationalen Rats für Freiheiten" in Tunesien, Generalsekretärin der "Beobachter zur Verteidigung der Pressefreiheit" und Chefredakteurin der in Tunesien verbotenen Online-Zeitung "Kalima", das Wort. Als sie die Zeitschrift 1999 gründet, die von den Menschenrechtsverletzungen in Tunesien, von der Zensur, der politischen Unterdrückung und den alltäglichen Schikanen durch die Polizei berichtet, verweigert ihr die Regierung die Druckgenehmigung. Sihem weicht auf das Internet aus, doch die Seite wurde binnen kurzer Zeit gesperrt.
Arbeiten im Exil
Der Druck auf die Menschenrechtsaktivistin wuchs und wuchs. Als sie zwei Monate nach Ende des zweiten Krieges in den Irak reiste und darüber ein Buch schrieb, folgte eine ungeheure von der tunesischen Regierung lancierte Verleumdungskampagne gegen sie. Deshalb hält sie sich zur Zeit auf Einladung der "Hamburger Stiftung für Politisch Verfolgte" in der Hansestadt auf und versucht, von hier aus etwas zu bewegen. Doch es ist schwer, überhaupt bis nach Tunesien vorzudringen: "Die elektronischen Medien laufen alle über einen Regierungsserver", erklärt Sihem Bensedrine. "Was unerwünscht ist, wird gesperrt. So ist das auch mit Printmedien. Wenn zB. "Le Monde" einen kritischen Artikel über Tunesien enthält, wird die komplette Auflage direkt am Flughafen abgefangen und zurück geschickt. Früher haben sie sogar aus Modezeitschriften einzelne Artikel rausgeschnitten, bis sie gemerkt haben, dass das zu lächerlich ist. Jetzt wird alles zurück geschickt."
Freiheit in der Fremde
Sihem Bensedrine fühlt sich wohl in Hamburg: "Ich bin hier sehr offen aufgenommen worden. Auch die Mentalität der Menschen mag ich sehr. Die Reserviertheit der Leute gefällt mir als mediterranem Menschen sehr." Dennoch ist es ihr größter Wunsch, nach Tunesien zurückzukehren und ohne Arbeitsverbot in einem freien Land arbeiten zu können. Vorerst jedoch wird das nicht möglich sein. Also macht sie das Beste aus ihrem Aufenthalt im fremden Hamburg. "Ich spreche noch nicht sehr viel Deutsch, aber ich verstehe die zwischenmenschliche Sprache sehr wohl", sagt sie und fügt hinzu, dass die Deutschem einem nichts Böses wollen. Für die Zukunft hat sie sich neben ihren vielen Reisen zu internationalen Kongressen und Tagungen, den Buchprojekten und all den anderen Aktivitäten auch vorgenommen, die Sprache zu lernen. Allem voran möchte sie die deutsche Poesie im Original lesen. Die Kraft, ihre Arbeit trotz aller Hindernisse und Schwierigkeiten weiterzuführen, zieht Sihem Bensedrine aus den vielen Menschen, die hinter ihr stehen. "Ich bin nicht nur Opfer der Regierung", sagt sie selbstbewusst. "Ich habe auch sehr viel. Und ich glaube an die Freiheit, das gibt mir einen Lebenssinn."

Text: Annette Riestenpatt

Nachricht: 7
Datum: Thu, 01 Dec 2005 12:31:50 +0100
Betreff: Informationsgipfel in Tunis? Das ist absurd

Tunesische Journalistin kritisiert UN-Entscheidung "Informationsgipfel in Tunis? Das ist absurd"
Ausgerechnet Tunesien wurde zum Austragungsort für einen Weltinformationsgipfel auserkoren: In kaum einem Land kann man sich so schwer informieren wie hier. Tunesien ist ein Polizeistaat mit allmächtiger Zensur, Folter und Korruption.

Von Rüdiger Maack, ARD-Hörfunkstudio Rabat, vorrübergend in Tunis

Wer aus einer afrikanischen Hauptstadt nach Tunis kommt, bekommt einen Kulturschock: So sauber, so geordnet, so wenige Schlaglöcher in den Straßen und eine Straßenbahn, die nicht nur regelmäßig verkehrt, sondern auch vertauenswürdig aussieht. Tunesien ist kein Entwicklungsland mehr - es gibt zumindest in den Städten eine Mittelklasse, die sich Kleinwagen, Kühlschränke und Urlaubsreisen leisten kann. Der Verkehr in Tunis legt davon Zeugnis ab. Doch dafür zahlen die Tunesier einen hohen Preis. Tunesien gehört zu den Ländern, in denen man mehr Angst vor der Polizei als vor Verbrechern haben muss.
Jagdszenen im Goethe-Institut
Sihem Bensedrine kann ein Lied davon singen. Sie ist Journalistin, hat in Deutschland Asyl gefunden, hat in Tunesien Arbeitsverbot und wird vom Regime des Präsidenten Ben Ali seit Jahren verfolgt. Zusammen mit mehreren internationalen Organisationen wollte sie ein alternatives Spitzentreffen vor dem Weltinformationsgipfel organisieren und ihn bei einem Treffen im deutschen Goethe-Institut in Tunis vorbereiten. Weit kamen sie nicht.

"Wir waren gerade im Institut angekommen, als die Polizei die Jagd auf uns begann", erzählt Bensedrine. "Sie haben uns Gewalt angetan, geschlagen. Nicht nur wir Tunesier wurden zu Boden gerissen und beleidigt. Danach haben sie uns fast drei Stunden durch die Stadt gejagt. Überall, wo wir hinkamen, hieß es, nein, hier bleibt ihr nicht, hier nicht."
Drei Geheimdienste bespitzeln die Bevölkerung
Es gibt keine Versammlungsfreiheit in Tunesien, von Pressefreiheit kann sowieso keine Rede sein. Das Internet wird zensiert: zusammen mit Nordkorea, dem Iran und China gehört Tunesien zu den Ländern, in denen es am wenigsten Freiheit gibt. Rechtstaatliche Prinzipien sind unbekannt, Anwälte werden von der Polizei verfolgt, drei Geheimdienste bespitzeln die Bevölkerung. "Der Weltgipfel soll sicherstellen, dass alle das Recht auf Information haben. Nur wir haben dieses Recht nicht", sagt die Journalistin.

Grafik: Der tunesische Präsident Ben Ali eröffnet den Weltinformationsgipfel in Tunis]
Wer mit Sihem Bensedrine sprechen will, muss durch eine ganze Horde finsterer Zivilpolizisten, denen man nachts nicht auf der Straße begegnen möchte. Tunesier dürfen nicht zu ihr. "Die ganzen Zivilpolizisten rund um dieses Haus. Was soll das? Wenn ich die frage: 'Auf welcher Grundlage hindern Sie meine Gäste am Zutritt? Haben Sie eine schriftliche Anordnung?' Dann sagen die: 'Nein, die kommen hier nicht rein und basta'" Auch den wirtschaftlichen Erfolg des Regimes Ben Ali, der sich vor 18 Jahren an die Macht geputscht hat, bestreitet Bensedrine. "Das war nicht er, der uns das gebracht hat! Was hat er uns gebracht? Er hat uns die Mafia gebracht, er hat die Ressourcen des Landes mobilisiert, um sie in die Taschen der Seinen zu stopfen."

Der lange Arm des tunesischen Regimes reicht auch ins Ausland, berichtet die Journalistin. "Unsere Seite wird im Prinzip seit ihrer Gründung in Tunesien zensiert, wie alle Seiten der Opposition und alle nicht-offiziellen Seiten. Sobald du Informationen publizierst, die nicht von der Regierung autorisiert wurden, wirst du zensiert." Reveil tunisien - Tunesier wacht auf - heißt die regimekritische Website. Hasni, der in Frankreich wohnt, ist einer ihrer Webmaster. Von hier aus kommt auch die Seite. Ihr Webmaster in Tunesien war verhaftet worden und starb kurz nach seiner Freilassung - mit 34 Jahren an einem Herzinfarkt. Jetzt kommt sie von hier. Die Seiten werden immer wieder mit Viren zugemüllt und attackiert. Hasnis Provider wurde von Tunesiern in Frankreich bedroht.
Informationsgipfel in Tunis? "Das ist eine Absurdität"
Die Entscheidung, den Weltinformationsgipfel nach Tunis zu vergeben, kann Bensedrine nicht nachvollziehen: "Das ist eine Absurdität. Ich weiß nicht, was sich die Uno und die Schweiz dabei gedacht haben, einem Diktator, der als einer der größten Zensoren weltweit angesehen wird, die Organisation eines Weltgipfels zur Information anzuvertrauen."

Weil Tunesien sich als stabiler Faktor und Kämpfer gegen den Terrorismus präsentiert, hat es vor allem in Frankreich einen mächtigen Freund - weder die Europäische Union noch die USA versuchen ernsthaft, Reformen im Polizeistaat zu erreichen. Ganz im Gegenteil: Hunderte politische Gefangene, Schauprozesse und allgemeine Folter haben auch Bundesinnenminister Schily nicht davon abgehalten, die demokratischen Fortschritte in Tunesien laut zu loben.

Sihem Bensedrine wird noch lange kämpfen.