|
|
|
|
|
"Ist Tunesien noch ein Rechtsstaat?"
#151580
26/09/2005 20:26
26/09/2005 20:26
|
Joined: May 2001
Beiträge: 44,033 Gera
Claudia Poser-Ben Kahla
OP
Moderatorin
|
OP
Moderatorin
Mitglied***
Joined: May 2001
Beiträge: 44,033
Gera
|
WSIS: Scharfe Kritik an Gipfelgastgeber Tunesien 22.09.2005 17:17 Unter dem Titel "Ist Tunesien noch ein Rechtsstaat?" haben gestern mehrere Nichtregierungsorganisationen (NGO) in Genf eine Konferenz über die Einschränkung der Versammlungs-und Meinungsfreiheit in Tunesien, Gastgeberland des bevorstehenden Weltgipfels der Informationsgesellschaft (WSIS) veranstaltet. Die Antwort der Journalistin und Autorin und Sprecherin des tunesischen Council for Liberties in Tunisia (CNLT) Sihem Bensedrine und verschiedener Mitstreiter auf die Frage der Gastgeber ist ein klares Nein. "Tunesische Bürgerrechtsorganisationen hatten ursprünglich mit der Ausrichtung des Gipfels die Hoffnung verbunden, dass sich ihr Bewegungsspielraum vergrößert", sagte Bensedrine gegenüber heise online. "Tatsächlich ist ihre Situation heute viel schlechter." Versammlungs- und Meinungsfreiheit seien praktisch nicht mehr vorhanden, wie die Verbote der Konferenzen der tunesischen Menschenrechtsliga (Tunisian League of Human Rights, LTDH) und des in Gründung befindlichen Journalistenverbandes (Tunisian Journalists' Syndicate, SJT) Anfang September zeigten. Mahnungen des EU-Parlamentspräsidenten gegen die Verbote prallten bislang demnach am tunesischen Regime ab. Die Repressionen richteten sich laut Bensedrine nicht nur gegen Journalisten und Regimekritiker, sondern auch gegen Richter und Anwälte, die sich für die Grundrechte einsetzten. Laut einer Erklärung verschiedener tunesischer und internationaler NGOs wurde der Richterverband (Association of Tunesien Judges, AMT) wegen seiner Appelle zur Unabhängigkeit der Justiz aus seinem eigenen Büro ausgesperrt. Der Anwalt Mohamed Abbou, Mitglied des National Council for Liberties in Tunesia (CNLT), wurde wegen der Veröffentlichung eines kritischen Web-Artikels zur Situation in den tunesischen Gefängnissen, die er mit der in Guantanamo verglich, zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Einen ausführlichen Bericht (derzeit nur über Googles Cache-Funktion erhältlich) zu der "Belagerungssituation", in der sich Menschenrechtler nach ihrer Meinung befinden, lieferte kürzlich Seán Ó Siochrú, der Tunesien für die CRIS Campaign besuchte. Mohamed Abbou war die gestrige Veranstaltung in Genf gewidmet, die die Organisatoren von Communica-ch, des Dachverbandes International Freedom of Expression Exchange (IFEX), der Cris-Kampagne und der Schweizer Mediengewerkschaft bewusst abseits der offiziellen WSIS-Vorbereitungskonferenz veranstalteten. "Die Erfahrung mit früheren Veranstaltungen dieser Art hat uns gelehrt, dass wir ohne Vorsichtsmaßnahmen mit einer Störung durch Claqueure des tunesischen Regimes rechnen müssen", sagte Wolf Ludwig von Communica.ch. Bei der Vorbereitungskonferenz im Februar wurde die Verteilung des von IFEX erstellten kritischen Berichts zur Menschenrechtssituation unterbunden. Trotzdem haben die tunesischen NGOs die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben. Einen Boykott des Gipfels in Tunesien möchten sie nicht. "Wir hoffen immer noch, dass wir mit einem Alternativgipfel auf unsere Situation aufmerksam machen können." Von Regierungsdelegationen aus aller Welt erhoffen sie sich dann aber "nicht nur höfliche Worte für Präsident Ben Ali, sondern eine deutliche Stellungnahme gegen die Repression". Der Weltgipfel der Informationsgesellschaft ist eine von der UNO ausgerufene Weltkonferenz. Sie soll zu einem gemeinsamen Verständnis der Informationsgesellschaft beitragen. Ein Gipfel fand bereits 2003 statt. Gastgeber des WSIS im November ist Tunesien. Diesem Gipfel gingen Vorbereitungskonferenzen voraus. Siehe zum Thema auch: a.. Streit beim Auftakt zu WSIS-Verhandlungen b.. USA für einen Gipfel ohne Folgen c.. Maulkorb für zivilgesellschaftlichen Vertreter beim WSIS d.. Internet Society: Das Netz muss weltweit offen bleiben e.. Die Regierungen, die UNO und das Internet f.. Mehr Regierungseinfluss in der Internet-Verwaltung g.. US-Regierung gibt Kontrolle über DNS-Rootzone nicht her h.. WSIS-Konferenz zur "digitalen Kluft" und zu mangelnden Inhaltsangeboten i.. Meinungsfreiheit in Tunesien kein Thema für den Informationsgipfel (Monika Ermert) / (anw/c't) Source: http://www.heise.de/newsticker/meldung/64193
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Re: "Ist Tunesien noch ein Rechtsstaat?"
#151583
27/09/2005 07:29
27/09/2005 07:29
|
Joined: Jun 2004
Beiträge: 5,235 Süden
Karmoussa
Mitglied*
|
Mitglied*
Joined: Jun 2004
Beiträge: 5,235
Süden
|
aus den im o-text angebenen links fände ich diesen ausschnitt dazu noch interessant:
Meinungsfreiheit in Tunesien kein Thema für den Informationsgipfel Bei der Vorbereitung zum zweiten Weltgipfel der Informationsgesellschaft (WSIS) waren Informationen über die Situation der Meinungs- und Medienfreiheit im Gastgeberland Tunesien unerwünscht. Ebenso wurden Informationen über verhaftete Blogger, staatliche Webfilter und Gesetze, die tunesische Internet Service Provider für Inhalte verantwortlich machen, nicht gern gesehen. Der 60-Seiten-Bericht des Dachverbandes International Freedom of Expression Exchange (IFEX) mit dem Titel "Tunesia -- Freedom of Expression under Siege" durfte nicht vor dem Tagungssaal im Genfer Palais der Vereinten Nationen ausgelegt werden.
Der Bericht enthält neben Informationen zu nach dem 11. September 2001 nochmals rigoros verschärften Gesetzen zur Äußerungs- und Versammlungsfreiheit Details zur Filterung per Smartfilter3 und Informationen über die zahlreichen verhafteten Blogger und Journalisten. Er ist das Ergebnis von Gesprächen der IFEX Tunesia Monitoring Group mit verschiedenen Dissidenten, Verbänden und Regierungsvertretern in Tunesien im Januar. Vertreter von IFEX, in dem 64 Bürgerrechts- und Presseorganisationen zusammengeschlossen sind, forderten inzwischen in einer Erklärung zu einer offenen Debatte über die Meinungsfreiheit im WSIS-Gastgeberland auf.
Charles Geiger, Direktor des WSIS-Sekretariats, sagte gegenüber heise online: "Sicher kann man unsere Entscheidung als Rücksichtnahme gegenüber Tunesien auffassen. Aber der Bericht beschäftigt sich mit der Meinungsfreiheit in Tunesien und nicht mit der Weltinformationsgesellschaft, und dies ist kein Gipfel über Tunesien." Es sei den IFEX-Vertretern freigestellt, den Bericht individuell jedem der knapp 900 Regierungsdelegierten zu überreichen. Man verfolge die gleiche Politik im Blick auf die Reaktion der tunesischen Regierungsdelegation auf den Bericht. Doch dem widerspricht die IFEX-Gruppe: "Am Tag der Veröffentlichung des Berichts", so die Pressemitteilung, "wurde eine Stellungnahme der tunesischen Agentur für Öffentlichkeitsarbeit beim UN-Treffen verbreitet."
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Re: "Ist Tunesien noch ein Rechtsstaat?"
#151584
27/09/2005 07:35
27/09/2005 07:35
|
Anonym
Nicht registriert
|
Anonym
Nicht registriert
|
Hat sich bei mir leider ein kleiner Tippfehler, der aber den Inhalt etwas verfälscht, eingeschlichen: Zitat: Ich verstehe das "noch" so, dass in Frage gestellt wird, ob man Tunesien "noch" als Rechtsstaat bezeichnen kann, oder ob es eben schon keiner mehr ist.
Muss heißen: Ich verstehe das "noch" so, dass in Frage gestellt wird, ob man Tunesien "noch" als Rechtsstaat bezeichnen kann, oder ob es eben schon keiner (mehr) ist. Also das (mehr) sollte in Klammern stehen, da man sonst ja annehmen könnte, dass ich meine, dass es früher mal einer war......
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Re: "Ist Tunesien noch ein Rechtsstaat?"
#151586
28/09/2005 10:35
28/09/2005 10:35
|
Joined: Jun 2004
Beiträge: 114 Giessen
Gedchicha
Member
|
Member
Joined: Jun 2004
Beiträge: 114
Giessen
|
Zitat: "WAR DAS ÃœBERHAUPT MAL EINER.....???"
Das fiel mir auch direkt ein, als ich das Thema sah.
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Re: "Ist Tunesien noch ein Rechtsstaat?"
#151587
28/09/2005 13:42
28/09/2005 13:42
|
Joined: Jul 2002
Beiträge: 442 Deutschland
cosima
Mitglied
|
Mitglied
Joined: Jul 2002
Beiträge: 442
Deutschland
|
Interessant wie unterschiedlich man das Wort "noch" interpretieren kann. Für mich ist es- vor allem vor dem Hintergrund dessen, was man bis dato über die politische Situation in Tunesien sowohl aus der Vegangenheit als auch aktuell kennt - eindetig. Die Frage bezieht sich nicht auf die Zeit sonder auf die Bedingungen; sie wirft Zweifel auf, ob Tunesien zu denjenigen Staaten gezählt werden kann, die nach den internationalen Regeln der Rechtsstaatlichkeit, solche Bedingungen erfüllt (oder eher, ob es noch in den Rahmen der Toleranzgrenze passt).
Es wundert mich zwar, dass man in diesem Kontext überhaupt vom Rechtsstaat spricht. Allerdings verstehe ich dieses "noch" auch als als eine Art Bereitschaft, die zu erfüllenden Bedingungen, sich als Rechtsstaat definieren zu dürfen, hier etwas großzügiger zu betrachten und zwar aus gutem Grund: Vergliechen mit den Nachbarnländern hat Tunesien unbestritten einen anderen, und zwar fortschrittlicheren politischen und damit in Konsequenz auch wirtschaftlichen Status ( auch bei all den uns bekannten Menschenrechtsverletzungen). Möglicherweise wird hier also ein großzügigerer Maßstab angelegt, als wir dies in und für Europa tun.
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Re: "Ist Tunesien noch ein Rechtsstaat?"
#151590
05/10/2005 06:18
05/10/2005 06:18
|
Joined: May 2001
Beiträge: 44,033 Gera
Claudia Poser-Ben Kahla
OP
Moderatorin
|
OP
Moderatorin
Mitglied***
Joined: May 2001
Beiträge: 44,033
Gera
|
Datum: Fri, 30 Sep 2005 22:28:46 +0200 Von: Tages-Anzeiger (Schweiz) Betreff: Streit um Weltinformationsgipfel in Tunis
Streit um Weltinformationsgipfel in Tunis
Tunesische Menschenrechts-aktivisten tragen eine heftige Fehde aus. Lachender Dritter ist Staatspräsident Zine al-Abidine Ben Ali, demnächst Gastgeber des Weltinformationsgipfels.
Von Marlène Schnieper, Genf
Skeptiker hatten davor gewarnt, einen Uno-Gipfel zur Informationsgesellschaft ausgerechnet in Tunis abzuhalten. Vor zwei Jahren, kurz bevor der erste Teil des Gipfels in Genf über die Bühne ging, wandte sich der frühere Genfer Regierungsrat Christian Grobet an Uno-Generalsekretär Kofi Annan. «Warum», so fragte Grobet damals, «sollte Tunesiens autoritäres Regime den zweiten Teil dieser Veranstaltung übernehmen, warum nicht demokratischere Länder Afrikas wie Südafrika oder Senegal?»
Doch Tunis liess sich nicht mehr aus dem Programm kippen. Am 16. November wird Zine al-Abidine Ben Ali den Informationsgipfel eröffnen. Tunesiens Staatschef ist seit 1987 im Amt, vor einem Jahr erst wurde er mit 94,49 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Die Opposition «diente lediglich dem Dekor», wie die in Paris publizierte Zeitschrift «Le Tunisien» schrieb. Ben Ali beirrt so etwas nicht. «Wir betrachten die Meinungs- und die Pressefreiheit als fundamentale Rechte. Deshalb haben wir Reformen in diesen Belangen angestrengt», liess er im Mai verlauten.
Gefängnis oder Exil In Genf findet derzeit die letzte Vorbereitungskonferenz zum Gipfel in Tunis statt. Da tönt es anders. Wer in seiner Heimat eine abweichende Meinung vertrete, könne wählen zwischen Gefängnis und Exil, sagt Abdel Wahab Hani, Herausgeber des «Tunisien». Die Grundrechte würden in Tunesien nicht erweitert, sondern zusehends eingeschränkt, findet die Schweizer Plattform zur Informationsgesellschaft Comunica-CH. Die Medien in diesem Land seien mehr oder minder gleichgeschaltet. Selbst die Justiz handle nach Vorgaben der Regierung, leere Anklagedossiers zögen drakonische Strafen nach sich, legten tunesische Anwälte auf dieser Plattform dar.
Die Internationale Juristenkommission (ICJ) fordert die Freilassung des seit März inhaftierten Anwalts Mohamed Abbou. Der Tunesier hatte vor den letzten Wahlen im Internet behauptet, die Haftbedingungen in tunesischen Gefängnissen seien schlimmer als in der Bagdader Anstalt Abu Ghraib. Im Juni ist Abbou in zweiter Instanzzu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden. Die ICJ spricht von Willkür und fordert die tunesische Regierung auf, die Grundrechte in diesem wie in anderen Fällen zu respektieren. Der Zugang zu Informationen sei nur sinnvoll, wenn er einhergehe mit Meinungsfreiheit, wie sie in der Uno-Menschenrechtserklärung verankert sei, mahnt ICJ-Generalsekretär Nicholas Howen.
Zu allem Elend ist jetzt auch noch ein Konflikt innerhalb der Tunesischen Liga für Menschenrechte (LTDH) entbrannt, der ältesten Einrichtung dieser Art in Afrika und der ersten im arabischen Raum. Vom 9. bis 11. September wollte die Liga in Tunis ihren 6. Kongress durchführen. Der Anlass wurde indes gerichtlich suspendiert - auf Begehren von sieben Sektionspräsidenten der Liga selbst. Er sei Anwalt in Tunis, erklärte Chedly Ben Younes, Sprecher der Dissidenten, vor der Presse in Genf. Zu seiner Klientel gehörten «Waisen und kleine Diebe», ein Leben lang habe er die Menschenrechte verteidigt, seit 25 Jahren sei er darum auch in der LTDH aktiv, nie aber einer politischen Partei verbunden gewesen. Trotzdem trachte die Direktion der Liga nun danach, ihn auszuschliessen, weil er angeblich mit der Macht verbandelt sei. «Wie mir geht es vielen altgedienten Kadern, ja ganzen Sektionen. Mit fadenscheinigem Vorwand und unter Verletzung statuarischer Regeln stösst man sie ab. Darum haben wir geklagt», sagt Ben Younes.
Bis vor fünf Jahren hatte die LTDH 41 Sektionen, heute sind es noch 24. Restrukturierung sei nötig, um effizienter arbeiten zu können, pro Gouvernement solle es bloss noch eine Sektion geben, argumentiert Mokhtar Trifi, Präsident der Organisation. Im Gouvernement Sfax habe es schon bisher nur eine einzige Sektion gegeben, doch auch diese werde aufgelöst, «wie andernorts spielen politische Gründe mit», vermutet Ben Younes. Der Journalist Ridha Mellouli, ein weiterer Kläger, wittert eine «verdeckte Säuberung». Trifi sei Mitglied der kommunistischen Partei, sein Vize Slaheddine al-Jourchi Mitbegründer der verbotenen islamistischen Bewegung Ennahdha. «Diese Leute reissen das Erbe der Liga an sich», sagt Mellouli.
Trifi seinerseits legte gegen die Suspension des Kongresses Beschwerde ein, der Appellationsentscheid ist am 1. Oktober fällig. Für den Präsidenten der LTDH steht fest: «Die Gruppe um Ben Younes wird vom Regime instrumentalisiert, um unsere Organisation von innen her zu zerstören. Dagegen müssen wir uns wehren.» Sidiki Kaba, der Senegalese an der Spitze der Internationalen Föderation der Menschenrechte (FIDH), des Dachverbandes der Liga, scheint diese Sicht der Dinge zu teilen. Ben Younes und Konsorten seien «Sprachrohre der Macht», sagt Stephanie David, Afrika-Verantwortliche der FIDH. Die Französin rechtfertigt damit auch die Tatsache, dass ihr Chef bei seinem jüngsten Besuch in Tunis diese Konfliktpartei gar nicht anhörte.
(Source : Tages-Anzeiger (Schweiz), 28. September 2005, Seite 9)
|
|
|
|
|
|
|
|
|