KOMMENTAR: TUNESIEN
Ben Alis Demokratie-Theater
VON MARTIN DAHMS
Erstaunlich das Bedürfnis der Diktatoren dieser Welt, ihren Regimen einen demokratischen Anstrich zu geben. Tunesiens starker Mann Ben Ali lässt sich seit 1989 alle fünf Jahre von seinem 10-Millionen-Volk im Amt bestätigen. Er lässt sogar Gegenkandidaten auf die Wahlzettel drucken, damit der Schein umso schöner trügt. Wahrscheinlich hat Ben Alis demokratisches Gewissen ihm dieses Mal auch eingeflüstert, er solle sich mit weniger als den bisher üblichen 99 Prozent zufrieden geben. 94,48 Prozent, das Ergebnis dieses Sonntags, sieht schon fast aus wie ein richtiger Wahlsieg.
Tunesiens geknebelte Opposition weiß, dass die Demokratie in ihrem Land abwesend ist. Ben Ali genießt die Sicherheit, die ihm sein perfekter Überwachungsapparat garantiert. Das wissen auch alle, die sich im Ausland nur ein wenig mit Tunesien befassen. Doch die Welt hat andere Sorgen. Tunesien ist eine Insel der Stabilität, verglichen mit dem unberechenbaren Libyen und dem vom Bürgerkrieg verwundeten Algerien. Die Wirtschaft wächst fast ohne Knick, die Löhne sind höher als in Bulgarien oder Rumänien. Die islamistische Hydra erhob in Tunesien nur ein Mal, 2002 auf Djerba, ihr Haupt. Die Frauen haben mehr Rechte als in jedem anderen arabischen Land.
Ben Ali hält sich zugute, eine Gesellschaft geformt zu haben, "die den Extremismus ablehnt, offen ist für ihr Umfeld und treu ihren kulturellen Wurzeln". Was er wohl nicht mal zu denken wagt: Tunesien braucht kein Demokratie-Theater. Es ist reif für die Demokratie.
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