Der Wärter des Goldenen Käfigs
Tunesiens Staatschef Ben Ali lässt sich im Amt bestätigen - wohl wieder mit 99 Prozent der Stimmen
Oliver Meiler
ROM, 22. Oktober. Der tunesische Poet Ouled Ahmed beschrieb sein Land einmal so: "Tunesien ist ein Zoo, in dem sich die Internierten von ihren Wärtern ernähren und beherbergen lassen." Und wer sich schon in der Medina von Tunis unter den Jugendlichen umgehört hat, die von nichts mehr träumen als von Flucht, dem bleibt ein Begriff hängen, der die gleiche Idee wiedergibt: "Goldener Käfig".
Tunesien hat ein Postkartenimage. Die Strände von Hammamet, Monastir und Djerba ziehen jährlich fünf Millionen Touristen an. Die Gastgeber sind ausnehmend freundlich, die Preise unschlagbar tief. Die wirtschaftlichen Daten sind durchwegs gut, jährliche Wachstumsraten von fünf Prozent die Regel. Tunesien wird denn auch gern als die Schweiz Afrikas bezeichnet. Nirgendwo in der arabischen Welt haben Frauen mehr Rechte als in Tunesien, nirgends ist die Mittelschicht größer. Doch die Postkarte hat eine Kehrseite. Sie trägt das Konterfei jenes 68-jährigen Mannes mit fein nachgefärbten Haaren, dem alle Frontseiten der nationalen Presse gewidmet sind - jeden Tag.
Drei Alibi-Kandidaten
Zine al-Abidine Ben Ali regiert Tunesien seit 1987. Am Sonntag lässt sich der allmächtige Staatschef bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zum vierten Mal im Amt bestätigen, für weitere fünf Jahre. Drei Gegenkandidaten ließ er diesmal zu. Zwei von ihnen bestimmte er selber, den dritten, Mohamed Ali Halouani von der postkommunistischen Partei Ettajdid, duldet er vermeintlich großmütig. Die Teilnahme des Oppositionellen dient dem Regime nur als Alibi: Alle drei Kontrahenten sind Figuren einer Farce. Gespannt ist man in Tunesien nur auf die Dezimalstellen nach der vorgegeben "99". Bei der letzten Präsidentenwahl gewann der frühere General Ben Ali mit offiziell 99,46 Prozent. 1994 waren es 99,91 und 1989 vergleichsweise bescheidene 99,27 Prozent.
Möglich wurde die neuerliche Wahl nur dank einer vorsorglichen Verfassungsänderung. Ben Ali befragte dazu vor zwei Jahren das Volk und ließ sich eine Zustimmung von 99,52 Prozent gutschreiben. Höhnisch grotesk mutet auch die Bestimmung an, wonach der legalen Opposition 20 Prozent der 182 Sitze im faktisch machtlosen Parlament zustehen. Ben Ali versteht die Regel als hehres Eingeständnis an den Pluralismus. Und so sitzen im Parlament 34 zum ewigen Dank verpflichtete Oppositionelle, deren Parteien offiziell nur zwischen 0,1 und 0,2 Prozent der Stimmen gewonnen haben. Der Rest geht automatisch an die Präsidenten-Einheitspartei RCD: 2,4 Millionen eingeschriebene Mitglieder, unfreiwillige mit eingerechnet. Jeder vierte Tunesier hat einen Parteiausweis des RCD, jeder neunte, so schätzt man, wurde als Zuträger des Regimes verdingt, kontrolliert sein Wohnviertel, sucht für das RCD-Politbüro nach Regimekritikern. Der Artikel 25 des Parteiengesetzes aus dem Jahr 1988 lautet: "Wer eine Partei gründet oder einer Partei als Führungsmitglied angehört, welche ... einen Akt der Demokratisierung der Nation anstrebt mit dem Ziel, die innere Sicherheit zu gefährden, wird mit einer maximal fünfjährigen Haftstrafe bestraft."
"Innere Sicherheit" ist ein dehnbarer Begriff in einem Polizeistaat. Ben Ali, selber einst Innenminister und Polizeichef, gängelt und zermürbt die Opposition. Den ehedem mächtigen Gewerkschaftsverband UGTT setzte er mit einigen Personalrochaden schachmatt. Menschenrechtler, Intellektuelle und unbequeme Journalisten lässt er am Flughafen abfangen, beschlagnahmt ihren Reisepass für ein paar Jahre, lässt sie verprügeln und ihre Autos sabotieren. Viele von ihnen wurden so ins Exil gezwungen.
Der Westen gratuliert
Wer im streng kontrollierten Internet auf regimekritischen Seiten surft, dem drohen hohe Haftstrafen. Die kleine verbotene islamistische Bewegung Ennahdha, die einst mit ihrem Einsatz für soziale Randgruppen in den großen Vorstädten von Tunis Popularität erreicht hatte, hat Ben Ali mit summarischen Prozessen klein gekriegt. Vor allem dazu gratuliert ihm der Westen. Tunesien ist nicht nur ein angenehmer Handelspartner, weil er mit einer Stimme spricht - der Stimme von Ben Alis Familienclan. Das Land gilt auch als Ruhepol in Arabien.
Tunesiens Nachbarn, der frühere "Schurkenstaat" Libyen und das vom Bürgerkrieg zerrissene Algerien, bereiteten dem Westen stets mehr Sorgen. Da mochte man in Paris, der Metropole der früheren Kolonialmacht, und in Washington nie kleinlich sein und genauer hinsehen. Vor allem seit den Attentaten vom 11. September 2001 und dem Selbstmordanschlag gegen eine Synagoge auf der Insel Djerba am 11. April 2002 galt die innere Repression in Tunesien als ein kleines, vernachlässigbares Übel.
Ben Ali schwang sich - wie andere arabische Autokraten auch - zu einem angesehenen Partner im internationalen Kampf gegen den Terror auf, zu einer Art Musterschüler. Er empfängt regelmäßig hohen Staatsbesuch aus dem Ausland, lässt sich umgarnen und geht seinerseits mit den modernen gesellschaftlichen Errungenschaften seines Vorgängers hausieren, des von ihm aus dem Amt geschassten "Vaters der Unabhängigkeit" Habib Bourgiba. Ben Ali zeigt den geblendeten Gästen nur das Gold. Der Käfig interessiert ohnehin niemanden.
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