Donnerstag 21. Oktober 2004, Ausland
Wo der Sieger vor der Wahl feststeht
Tunesien steht vor der Wiederwahl von Präsident Ben Ali. Kritische Stimmen sprechen von einer Wahlmaskerade.
von hanns-jochen kaffsack
tunis - Der tunesische Staatspräsident Zine El Abidine Ben Ali ist seit 17  Jahren an der Macht und wird regelmässig mit mehr als 99 Prozent der Stimmen bestätigt. Bei der Präsidentenwahl vom nächsten Sonntag hätte der 68-jährige Autokrat nicht mehr antreten dürfen. Doch Ben Ali hat sich durch ein Referendum zu einer Verfassungsänderung im Mai 2002 - erneut mit 99,5 Prozent Zustimmung - den Weg ebnen lassen, jetzt und auch noch das nächste Mal wieder sich selbst nachfolgen zu dürfen.
Wie klein die Schritte zu einer echten Demokratie sind, zeigt der Vergleich mit den Wahlen im Oktober 1999. Denn damals hatten die Tunesier erstmals in der Geschichte ihres seit 1956 unabhängigen Landes die Wahl - zwischen drei Kandidaten. Fünf Jahre später sind es vier. Drei Kandidaten der Opposition mit dem Motto: Du hast keine Chance, also nutze sie. Kritische Stimmen sprechen von Wahlmaskerade und Fassadenpluralismus in einem Land der Repression bei gleichzeitigem technischem und wirtschaftlichem Aufstieg.
Selbst gewählte Gegner
Ben Ali suche sich selbst seine «Gegner» für die Präsidentenwahl und auch die Abgeordneten der «Opposition» aus, weil er den Verfassungsrat mit seinen Gefolgsleuten besetzt habe, bemängelte der tunesische Journalist Kamel Labidi in der Zeitschrift «Le Monde diplomatique». Denn dieser Rat entscheidet, welche Kandidaten ins Rennen gehen. Zu befürchten hat Ben Ali wenig. Schon ein Ergebnis unter 90 Prozent für den Amtsinhaber wäre eine Überraschung, stehen doch die legalen Gewerkschaften und die allmächtige Regierungspartei RCD (Rassemblement Constitutionnel Démocratique - Demokratische Verfassungspartei) hinter ihm. Auch deren Sieg bei den gleichzeitigen Parlamentswahlen in den 26 Bezirken steht vorher fest - trotz der fünf Oppositionsparteien auf den Wahllisten. Mit ihren nach Parteiangaben zwei Millionen Mitgliedern bei zehn Millionen Einwohnern kontrolliert die RCD das Land bis in den kleinsten Weiler.
Hoher Lebensstandard
Ben Ali war durch einen unblutigen Staatsstreich ans Ruder gekommen. Nach der Amtsübernahme von dem damals 80-jährigen Habib Bourgiba bugsierte er Tunesien mit sozialen und wirtschaftlichen Reformen in die Modernität. Die Tunesier geniessen einen für Afrika bemerkenswert hohen Lebensstandard, Investoren die technologische Aufgeschlossenheit bei politischer Stabilität und Millionen Urlauber die Sandstrände mit weit gehend sicherer Umgebung und billigen Hotels.
Nicht ins Bild eines sicheren Landes passte der Anschlag des Terrornetzes Al Kaida im April 2002 auf der Ferieninsel Djerba, bei dem 21 Menschen starben. Ben Alis Politik ist es, mit allen Mitteln ein Bollwerk gegen radikale Islamisten zu sein, ein Verbündeter Washingtons im Kampf gegen den Terror und ein immer engerer Wirtschaftspartner der EU. Was noch erheblich stört, das sind die Verstösse gegen Menschenrechte. Wer danach fragt, erhält oft zur Antwort: «Wollen Sie, dass unser Land im Chaos, in der Anarchie versinkt, wie Algerien?» Trotz einer steigenden Inflation und des erheblichen Mangels an Arbeitsplätzen weht der Konjunkturwind günstig. Und für die Frauen hat Ben Ali schon immer viel getan. Bei den Parlamentswahlen muss jetzt erstmals jeder vierte Kandidat weiblich sein.
(dpa)
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Anhänger von Präsident Ben Ali feiern ihr Idol. Eine Aufnahme von vor den Wahlen von 1999.
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