Rechts- und Verwaltungsreform im Maghreb“
Kurzbericht zur politischen und wirtschaftlichen EntwicklungBerichtszeitraum Juli-August 2003
Tunesien
Ende Juli kündigte Staatspräsident Ben Ali auf dem Parteitag der regierenden RCD-Partei(Rassemblement Constitutionel Démocratique) seine Präsidentschaftskandidatur für die nächstenWahlen an. Sein von allen Beobachtern erwarteter Sieg würde ihm zu einem vierten Mandatverhelfen.Zu einem für Dezember 2003 in Tunis geplanten Gipfeltreffen hat Präsident Ben Ali alleführenden Staatsoberhäupter der Maghrebstaaten geladen. Dies wäre für die Region wiederumeine Möglichkeit, die aufgrund der Saharafrage konfliktgeladenen Beziehungen zwischen Algerien und Marokko in direkten Gesprächen zwischen dem algerischen Staatspräsidenten Bouteflikaund dem marokkanischen König, Mohammed VI zu entspannen.Ben Ali empfing den palästinensischen Premierminister Abbas zu einem Staatsbesuch. Zum Gespräch kamen die bilateralen Beziehungen und die angespannte Lage in den palästinensischenGebieten.Im Rahmen einer Regierungsumbildung wurden in Tunesien vier Ministerposten neu besetzt.Der Minister- für Industrie und Energie, Moncef Ben Abdallah wird als Botschafter nach Berlinberufen, der bisherige Botschafter Fethi Hermassi wird als Minister für Industrie und Energienach Tunis zurückkehren. In Zusatzverhandlungen zum EU-Assoziierungsabkommen wurdenTunesien von der EU 20 Mio. € Gelder des MEDA – Programms fürStrukturanpassungsmaßnahmen zur Verfügung gestellt.Tunesische Frauenrechtsorganisationen sprachen sich anlässlich des tunesischen Jahrestags der Frau vehement gegen die schleichende Verbreitung des Schleiertragens aus, denn dies sei nochimmer ein nach Außen wirkendes Symbol für Frauendiskriminierung.
Algerien
In Algerien wirft der Wahlkampf für die April 2004 vorgesehenen Präsidentschaftswahlen seine Schatten voraus. Es geht dabei um die Führung der Regierungspartei FLN, die der entlassene Premierminister Ali Benflis dem amtierenden Staatspräsidenten streitig macht. Deraußerordentliche Parteitag der FLN wird voraussichtlich mit Unterstützung der Parteibasis Benflis zum Parteiführer bestimmen. Die FLN als älteste politische Partei Algeriens hat mit ihren Strukturen Kontrolle über die meisten Stadtparlamente und Massenorganisationen wie die der Arbeiter und Bauern. was die Präsidentschaftswahlen entscheidend mit bestimmen wird. Staatspräsident Bouteflika ist sich dieses Einflusses bewusst und versucht, ihn zu abzuschwächen. In diesem Zusammenhang wurden in der jüngsten Regierungsumbildung sieben Minister ihres Postens enthoben, sechs darunter gehörten der FLN an. Im Berichtszeitraum wurde die Pressefreiheit erneut durch die zeitweise Inhaftierung von regimekritischen Chefredakteuren beeinträchtigt. Außerdem wurden mehrere oppositionelle Tageszeitungen zur Schuldenbegleichung in Millionenhöhe aufgefordert, ansonsten könne der staatlich geförderte Druck der Zeitungen nicht mehr garantiert werden. So verschwanden mehrere Printmedien aus der algerischen Presselandschaft.Der aus der Haft entlassene ehemalige Parteiführer des islamistischen FIS, Abassi Madani, riefüber den arabischen Nachrichtensender Al Jazira die militanten islamistischen Gruppierungen in Algerien auf, den bewaffneten Kampf aufzugeben, um den zivilen Frieden zu erreichen.
Marokko
Ende Juli lief das UN-Sicherheitsmandat in der Sahara ab. Nachdem bisher stillschweigend voneiner Mandatsverlängerung ausgegangen werden konnte, hatte der Sicherheitsrat den Sicherheitsbeauftragten Baker beauftragt, einen Vorschlag auszuarbeiten, auf den die strittigen Parteien sich einigen könnten. Ende Juni wurde der der UN vorgelegte Plan Baker II „Friedensplan zur Selbstbestimmung des sahraouischen Volkes“ für Marokko unerwartet von der Polisario und von Algerien akzeptiert. Dieser sieht, ähnlich der Situation in Palästina, eine größtmögliche Autonomie des Gebietes untereiner autonomen Regierung vor. Die teilautonome Regierung würde nach diesem Plan zunächst nur durch die bei der Volkzählung 1974 erfassten Personen gewählt werden, wozu die zwischenzeitlich zugewanderten Marokkaner aus Nord-Marokko nicht gehören. Nach Ablauf von fünf Jahren ist dann die Durchführung eines Referendums über die zukünftige staatliche Gestaltung vorgesehen, andenen alle in dem fraglichen Gebiet wohnenden Personen teilnehmen können. Nur durch die französische Unterstützung gelang es Marokko einstweilen, diesen UN-Plan nicht akzeptieren zu müssen. Beide Seiten sind aufgefordert, bis Ende Oktober Vorschläge zu einer füralle tragbaren Lösung zu machen. Es dürfte für Marokko schwierig sein, sich alleine der Durchsetzung dieses UN-Planes zu widersetzen. Das neue UN-Sicherheitsmandat ist auf 15.Dezember befristet. Die Strafverfolgung der Selbstmordattentäter des 16. Mai in Casablanca, die für den Tod vonüber 40 Zivilisten verantwortlich waren, und die Fahndung nach potentiellen weiteren Attentätern wird von den marokkanischen Sicherheitsbehörden mit größter Konsequenz weitergeführt. Bisher wurden mehrere Attentäter zum Tod verurteilt, die Urteile wurden jedochnoch nicht vollstreckt. In Zusammenhang mit den Todesurteilen wird in der Öffentlichkeit die
Frage der Abschaffung der Todesstrafe in Marokko diskutiert, ein Vorschlag den der marokkanische Justizminister öffentlich unterstützte. Anlässlich der Gedenktage zur Erringung der Unabhängigkeit und des Thronfestes sprach sich König Mohammed VI in Ansprachen für eine zielgerichtete Öffnung und Demokratisierung des Landes mit einer „kulturellen Renaissance“ aus, die eine Übereinstimmung von marokkanischer Identität und den Anforderungen der Moderne beinhalten soll. Die von der Zivilgesellschaft geleisteten Errungenschaften seit der Unabhängigkeit seien öffentlich wertzuschätzen,des gleichen aber müssten verstärkt Anstrengungen unternommen werden, diesen Weg weiter zubeschreiten und staatsbürgerliches Bewusstsein zu initiieren und zu fördern. In diesem Zusammenhang nannte er die bevorstehende Revision des Familienrechts zur Gleichstellung der Frau, die Förderung der gesellschaftlichen Integration der Jugend und die Frage der territorialenEinheit.Die Wahlkampagne für die am 12. September anstehenden Kommunalwahlen hat begonnen. Dieislamistische Partei PJD hat in den Wahlkreisen, aus denen sich die Selbstmordattentäter rekrutierten, keine Kandidaten aufgestellt und ihrer Kampagne die religiös fundierte Argumentation entzogen. Im Rahmen der Moralisierung des öffentlichen Lebens wurden über 200 Kandidaten unterschiedlicher Parteien aufgefordert, sich wegen Wahlbetrugs in vorausgegangenen Wahlen, nicht mehr aufstellen zu lassen. Mitte August wurde in Nordmarokko ein Drogenring ausgehoben. Dabei kam die Beteiligungvon öffentlich benannten hohen Kommunal- und Zollbeamten, hohen Sicherheitskräften und Justizbeamten zu Tage. Ein Zusammenhang zwischen terroristischen Aktivitäten und Drogengeldern ist in Marokko derzeit noch auszuschließen, die Drogengelder werden vielmehr in das lukrative Geschäft der illegalen Immigration investiert.Anlässlich des Besuchs des französischen Premierministers im Juli wurden mehrereKooperationsvereinbarungen unterzeichnet. Frankreich möchte Marokko in seinen Strukturanpassungsmaßnahmen zur Wirtschafts- und Investitionsförderung unterstützen. Dazugehören Public Private Partnerships für öffentliches Transportwesen sowie Übernahme von Anteilen der staatlichen marokkanischen Autoproduktion durch Renault in Höhe von 26 %.Mauretanien Einen Monat nach dem vereitelten Putschversuch vom 8. Juni 2003 ernannte Staatspräsident Ould Taya Ould M’barek zum neuen Premierminister. Dieser gehört der regierenden Partei PRDS (Parti Républicain Démocratique et Social) an und hatte in vorausgegangenen Legislaturperioden schon acht Ministerposten inne. In der neuen Regierung wurde lediglich die Ministerien für Inneres und für Finanzen neu besetzt. Von den mauretanischen Justizbehörden wurde bestätigt, dass Senegal einen der Putschisten anMauretanien ausgeliefert hat, was bei Menschenrechtsorganisationen im Senegal auf heftige Kritikstieß. Der mit der Anklage betraute Staatsanwalt versicherte dagegen ,dass den Putschisten eingerechter Prozess gemacht würde. Nach sieben weiteren Putschisten wird noch gefahndet.Nach vierjähriger Unterbrechung der militärischen Zusammenarbeit kündigte der französischeBotschafter in Mauretanien die baldige Entsendung zweier Militärberater an, was die effektiveWiederaufnahme der französisch-mauretanischen Militärkooperation unterstreicht. Außerdemwerden demnächst höhere Armeeangehörige in Frankreich weitergebildet.Anlässlich des Mauretanientages besuchte der mauretanische Minister für Industrie und Handwerk die internationale Messe in Rostock.
Prof. Jürgen Theres
http://www.hss.de/downloads/Monatsbericht_August_Maghreb.PDF.