Wie viel Demokratie dürfen sie zulassen, ohne sich zu gefährden? - Unmut ihrer Bevölkerung wächst
von Anthony Shadid, Alia Ibrahim

Kairo - - Auch nach einem halben Jahrhundert der Unabhängigkeit bleibt die Demokratie in der arabischen Welt fremd. Doch die etablierte politische Ordnung gerät zunehmend unter Druck. Wirtschaftliche Verbesserungen und mehr Offenheit werden eingefordert. Nur wenige Beobachter sagen eine Demokratisierung in der arabischen Welt voraus. Und noch weniger meinen, dass die USA diesen Wandel herbeiführen werden oder dass ein Krieg im Irak dabei helfen wird. Sie sagen vielmehr, dass die Lage in der arabischen Welt noch immer verzwickt ist wegen unbeantworteter Fragen nach Herrschern und Beherrschten: Ob Regierungen, die von der Idee der Stabilität besessen sind, bewusst der Opposition Raum geben werden, welche Kompromisse sie mit dem islamistischen Mainstream, der einzig wirklichen Opposition, eingehen und welche Rolle die USA spielen werden.

Vom Atlantik bis zum Persischen Golf vereint die arabische Welt Monarchien in Marokko, Saudi-Arabien, den Golfstaaten und in Jordanien, Ein-Parteien-Regierungen im Irak, in Syrien und Ägypten und Staaten mit pluralistischer Herrschaft wie der Libanon. Aber Forscher sagen, dass ihre 280 Millionen Einwohner eines teilen: einen Mangel an Demokratie, der jetzt deutlicher zu Tage tritt, da Reformen anderswo in der Welt zu greifen beginnen.

"Die Welle der Demokratie, die in den achtziger Jahren die Regierungsformen in großen Teilen Lateinamerikas und Ostasiens verändert hat und in den frühen Neunzigern Osteuropa und einen Teil von Zentralasien, hat die arabischen Staaten kaum erreicht", so der Bericht zur Entwicklung der Menschenrechte in den arabischen Staaten, letztes Jahr herausgegeben vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen. Doch auch in dieser Region, die in dem Bericht als die mit den wenigsten Freiheiten beschrieben wird, gibt es Zeichen des Wandels. Seit seiner Gründung 1996 hat der panarabische Satellitensender Al Dschasira der arabischen Welt eine neue Diskussionskultur vermittelt. Indem er islamistischen und anderen Oppositionsführern eine Stimme verliehen hat, hat er Zuhörer gefesselt, die undurchsichtige Berichte in den staatseigenen Medien gewohnt sind.

In Nordafrika, Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien gehen die Regierungen gegen ihre islamistischen Oppositionen vor. Jordanien hat zwei Mal die Parlamentswahlen verschoben, erwartet werden sie später in diesem Jahr, und die Presse und Gewerkschaften eingeschränkt, die von islamistischen Aktivisten dominiert werden. Ägypten hat Kader der Moslembruderschaft versammelt und ihre Führungen davor gewarnt, sich die Unzufriedenheit über die US-Politik und den sinkenden Wert des ägyptischen Pfunds zu Nutze zu machen. Mit einem letztes Jahr verabschiedeten Gesetz, das Aktivisten als einen Schlag gegen die schwache Zivilgesellschaft des Landes bezeichnen, wird verlangt, dass ägyptische regierungsfremde Organisationen sich bis Juni beim Ministerium für Soziale Angelegenheiten anmelden müssen wenn sie nicht riskieren wollen, aufgelöst zu werden. Die Regierung behält sich vor, Anträge abzulehnen und Vorstandsmitglieder zu bestimmen.

"Es ist schockierend, dass es so wenig politischen Raum gibt", meint Hani Shukrallah, Verlagsleiter von "Al Ahram Weekly". "Es gibt all diese Wut und gleichzeitig keine Möglichkeit, sie zum Ausdruck zu bringen."

Welche Rolle die islamistische Opposition in Ländern wie Tunesien, Marokko, Jordanien und Ägypten spielen wird, ist ungewiss. "Wenn man einer wirklichen Demokratie die Türen öffnet, könnten Fundamentalisten an die Macht kommen. Was machen die Amerikaner dann mit ihnen?", fragt Mostafa Faki, Leiter des außenpolitischen Komitees der ägyptischen Nationalversammlung.

Gleichzeitig sagen in der gesamten arabischen Welt viele Beobachter, dass die islamistische Opposition eine zu bedeutende Kraft ist, um sie zu ignorieren. Bei einer beeindruckenden Demonstration ihrer Stärke brachte die Bruderschaft im November anlässlich des Todes ihres 81-jährigen Anführers Mustafa Mashour etwa 100.000 Menschen auf die Straßen Ägyptens. Dabei hatten Staatsradio, Fernsehen und Zeitungen es "versäumt", dessen Tod zu erwähnen.

Antiamerikanische Ansichten werden im gesamten politischen Spektrum der arabischen Welt vertreten, und viele weisen auf die schwierige Aufgabe der Bush-Administration hin, zu beweisen, dass es ihr Ernst ist mit der Förderung der Demokratie. "Die arabische Welt braucht Demokratie und Modernisierung", meint Mohammed Kamal von der Kairoer Universität. "Aber wenn man es mit militärischer Besetzung versucht, wird es nach hinten losgehen."

© Washington Post

Artikel erschienen am 6. Mär 2003