Leben mit der Angst

Die Bedrohung durch den Terror ist Teil des Alltags geworden
– und der alltäglichen Politik

Von Peter Münch

Am Anfang war die Angst. Ein neuer, unsichtbarer Feind hatte
zugeschlagen am 11. September, und nichts, so schien es, würde
jemals wieder so sein wie es war. Überall lauerte die Gefahr, und
gewiss ist auch die Angst selbst bedrohlich, denn sie führt und verführt
bisweilen zu extremen Reaktionen: Es droht gefährliche Lähmung oder
gefährlicher Aktionismus. Inzwischen aber ist vieles wieder so, wie es
immer war. Die Angst hat sich – auch wenn es jederzeit Ausschläge
geben kann – eingependelt. Besonders deutlich wird dies an jenen
Tagen, an denen irgendwo auf der Welt ein neues Komplott aufgedeckt
wird oder ein potenzieller Anschlag womöglich sogar mit einer
schmutzigen Bombe. Dann zeigt sich nämlich, wie sehr die Bedrohung
schon ein Teil des Alltags geworden ist – und ein Teil der alltäglichen
Politik.

Im Krieg gegen den Terror scheinen mittlerweile politisch wie
psychologisch einige jener Mechanismen zu greifen, die noch vom
Kalten Krieg her bekannt sind. Psychologisch war damals aus dem
Gleichgewicht des Schreckens auch eine gewisse Gleichgültigkeit
gegenüber dem Schrecken erwachsen. Die Bedrohung durch die
Atomarsenale der Supermächte war real, doch man hatte gelernt, mit
der Bombe zu leben. Nun lernt man, mit der Terrorgefahr zu leben.
Zum einen hat das gewiss die Natur so vorgesehen. Der Mensch richtet
sich ein in der Bedrohung. Doch auch die Politik hat ihren Anteil daran.

Denn der Feind vom 11.September hat mittlerweile einen Namen, wenn
er auch viele Gesichter hat. Die Krake al-Qaida ist zwar weiterhin
unheimlich, aber sie ist nicht mehr gänzlich unentdeckt. Der gewonnene
Krieg gegen die Taliban ebenso wie die weltweiten Fahndungserfolge
gegen Zellen des fundamentalistischen Terrors haben zumindest einen
Teil jenes bedrohlichen Ungleichgewichts, jener Asymmetrie
aufgehoben, die im Westen das Gefühl des Ausgeliefertseins ausgelöst
hatte. Es wird etwas getan gegen die Terrorgefahr, und selbst die
peinlichsten Pannen, die bei den US-Geheimdiensten aufgedeckt
werden, lassen immerhin den Gedanken zu, dass vielleicht sogar etwas
hätte getan werden können, um den Wahnsinn vom 11.September zu
verhindern. Das ist Medizin gegen das verheerende Gefühl der
Hilflosigkeit, und so – paradoxerweise – auch ein Schlag gegen die
Terroristen. Denn die Angst, die sie verbreiten können, ist ihre
schärfste Waffe.

Wenn der Angstpegel sinkt – was natürlich im relativ sicheren Europa
ungleich leichter ist als in Amerika– ist das auch ein Erfolg der Politik
und ein Vertrauensbeweis für die Politiker. Umso mehr müssen sie sich
vor dem Verdacht hüten, die Bedrohung zu instrumentalisieren.
Bisweilen jedoch erwecken die US-Behörden diesen Eindruck – mit
ständigen Warnungen und auch mit dem Timing ihrer Berichte über den
vereitelten Anschlag mit einer „dirty bomb“. Das könnte alltäglicher
Zynismus sein in der Politik. Dies jedoch wäre hochgefährlich. Denn ein
Übermaß an Warnungen stumpft ab – obwohl die Bedrohung sehr real
ist.

Artikel aus der Süddeutschen Zeitung vom 12.6.02