Tunesien

Big Brother Ben Ali is watching

"Ich werde buchstäblich zur Strecke gebracht. Sie wollen mich zum Schweigen bringen. Und sie werden nicht eher aufhören, bis es keine unabhängige Journalisten mehr in Tunesien gibt." So beschreibt Taufik Ben Brick, Tunesienkorrespondent für die französische Tageszeitung La Croix und die französische Nachrichtenagentur SYFIA die seit Monaten gegen ihn geführte Einschüchterungskampagne. Anonyme Anrufe, Unterbrechung der Telefonleitungen, polizeiliche Überwachung, Zerstörung seines Wagens, Beleidigungen und Drohungen während Vernehmungen, Beschlagnahme seines Reisepasses - und vieles mehr. Am 20. Mai wurde er auf offener Straße zusammengeschlagen - die Angreifer identifizierte er als Zivilpolizisten. Vier Tage später wurde er verhaftet, seine Wohnung durchsucht; er selbst wurde nach einem dreistündigen Verhör wieder entlassen.

In den letzten zehn Jahren wurden unabhängige Journalisten von der Regierung des tunesischen Präsidenten Ben Ali systematisch unter Druck gesetzt. Zurück blieben Frustration und Ohnmacht. "Der Chefredakteur erlaubte sich, in meinem Manuskript zensierte Passagen durch Lobeshymnen zu ersetzen, selbst wenn das die Nachricht auf den Kopf stellte", kommentiert einer von ihnen die gängige Praxis. So geben viele eher ihren Beruf auf als sich einer Selbstzensur zu unterwerfen. Die Behörden haben mit einem feingesponnenen Netz quer durch alle Gesellschaftsbereiche ein Klima von Terror und Inkriminierung geschaffen.

Bei ihrer Untersuchungsmission vom 14. - 19. Juni in Tunesien machten auch die Mitarbeiter von Reporter ohne Grenzen die Erfahrung mit dieser schwierigen Atmosphäre: Beschattung und Telefonüberwachung, Zeugen, die aus Angst vor Bespitzelung nicht öffentlich reden wollten - acht von neun Mitgliedern der tunesischen Journalistenverbands gehören der Regierungspartei RCD an. Korruption blockiert das Informationssystem. Dieser Druck richtet sich auch gegen Menschenrechtler, Studenten, Rechtsanwälte und Gewerkschafter.

Alle Medien unterliegen behördlicher Kontrolle. Eines von vielen Beispielen: Sämtliche Zeitungsausgaben vom 18. Juni veröffentlichten das gleiche Foto des Präsidenten auf der Titelseite. Die staatlichen Medien scheuen auch vor Diffamierungskampagnen gegenüber Andersdenkenden nicht zurück. Die Zensur greift auch im Internet: Zugang gewähren nur zwei staatliche Provider, die kritische Webseiten sperren und alle aufgerufenen Seiten speichern - so ist niemand vor dem "big brother" in Tunis sicher.

Auch die Auslandspresse ist betroffen. 1998 wurden 40 verschiedene Publikationen verboten und beschlagnahmt, in denen über die Situation der Menschenrechte in Tunesien berichtet worden war. Seit Anfang dieses Jahres traf es je sieben Ausgaben der französischen Tageszeitungen Le Monde und Libération.