Störende Folter im Urlaubsparadies 
Journalistin Bensedrine kritisiert tunesisches Regime 
Von unserem Redakteur 
Rainer Kabbert 
Bremen. Das rosige Image von Tunesien als heiler Urlaubsidylle hat schon lange Kratzer. Nicht erst seit dem blutigen Anschlag auf Djerba. Auch die Lage der Bürgerrechte in dem sonnigen Land reizt zur Kritik. Die tunesische Journalistin Sihem Bensedrine klagt indes nicht nur das Regime von Präsident Ben Ali an. Auch Deutschland und die EU scheinen eine zwiespältige Rolle in dem Land zu spielen. 
Während sich an den Stränden die Urlauber in der Sonne räkeln, geht bei vielen Tunesiern die Angst um. Meint Sihem Bensedrine. Sie kennt das Gefühl, verhaftet und von Polizisten verprügelt zu werden, das Gefängnis mit Prellungen und Rippenbrüchen zu verlassen. Die Klage gegen ihren Peiniger verlief im Sande. Für das Regime in Tunis war sie schon länger eine unerwünschte Person. Während ihres Studiums in Toulouse hatte sie die Partei Progressiver Sozialisten gegründet und vom damaligen Präsidenten Habib Ben Ali Bourguiba Demokratie eingefordert. Der ließ die Dissidentin 1985 das erste Mal verhaften. 
Nicht besser wurde es, als zwei Jahre später Ben Ali den alten Präsidenten für amtsunfähig erklärte, aufs Altenteil schickte und sich selbst im Präsidenten-Palast einquartierte. Die rustikalen Umgangsformen der Sicherheitskräfte änderten sich ebenso wenig wie die Verfolgung oppositioneller Gruppen. Sihem Bensedrine wurde die Erlaubnis zum Druck einer Zeitung verweigert, also startete sie eine Online-Zeitung im Internet. 
Doch die Informationspolizei im Ministerium für Kommunikation war ihr auch hier auf den Fersen: Die Daten-Leitungen wurden gekappt, der Internetzugang gesperrt. Big Brother kennt kein Pardon, auch nicht gegen ihre Mitarbeiter. Verhaftungen, Verhöre, Bedrohungen. Ihre Hoffnungen zerschlagen, in einem Land ohne freies Fernsehen, Radio oder Pressewesen kritische Informationen zu vermitteln. 
Inzwischen hat Sihem Bensedrine die Regierung in Tunis erheblich irritiert, so sehr, dass ihretwegen gar ein neues Gesetz verabschiedet wurde: Danach darf niemand gleichzeitig Funktionen in einer Partei und einer Menschenrechtsorganisation ausüben. Bensedrine entschied sich, aus dem Vorstand der Menschenrechtsliga auszuscheiden. Preise für ihr mutiges Engagement hat sie dennoch bekommen: Den Johann-Philipp-Palm-Preis für Menschenrechte, und auch Amnesty International ehrte die Tuneserin. 
Nach der letzten Konfrontation mit der Polizei im Juli 2002 hat sich die 52-Jährige entschlossen, eine Einladung aus Deutschland anzunehmen. Für ein Jahr ist sie Gastder Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte. Von hier aus setzt sie ihre Arbeit fort, informiert online über die Situation in ihrem Land, wirkt weiter als Sprecherin des Nationalen Rats für Freiheit in Tunesien.Sie sucht Kontakt zu Medien und Politikern. 
So ist sie auch nach Bremen gekommen,auf Einladung des Bremer Informationszentrums für Menschenrechte und Entwicklung und anderer Organisationen. Lobbyarbeit in Sachen Menschenrechte nennt sie das. 
Warmherzige Menschen hat sie in Deutschland kennen gelernt. Viel Hilfsbereitschaft erfahren. Das Bild vom kühlen Deutschen revidiert. Doch wenn sie von Diplomaten und Politikern redet, ändert sich ihre Haltung. Die deutsche Botschaft in Tunis ist nach Erfahrungen von Frau Bensedrine auf Beschwichtigung gepolt und in „Komplizenschaft mit dem Regime“ gefangen. 
Anders die diplomatischen Vertretungen der USA, Englands und der skandinavischen Länder, die Folter auch Folter nennen. „Und warum“, fragt die Journalistin, „haben die Politiker die Ausbildung tunesischer Folterer an einer Münchener Polizeischule akzeptiert?“ 
Kritische Fragen auch an die Europäische Union. Im Assoziierungsabkommen mit Tunis – Ziel: Freihandelszone bis 2009 – fordert Artikel 2 die Beachtung von Demokratie und Menschenrechten. „In Tunesien aber werden diese Rechte nicht respektiert, und die EU weiß das, ohne das Regime zu kritisieren. Wann befreit sich die Europäische Union von der Komplizenschaft mit Tunis?“ 
Dabei will sie die Argumentation nicht gelten lassen, es gehe schließlich um die Bekämpfung von Terrorismus: „Im Gegenteil, Ben Ali schafft neue Terroristen, wenn er alle Möglichkeiten beschneidet, sich frei öffentlich zu äußern. Für viele bleibt nur noch die Wahl zwischen Gefängnis, Exil – oder Gewalt. Mir macht es Angst, dass meine Kinder Terroristen werden könnten.“ Vor allem junge Leute sieht sie in einer verzweifelten Lage, abgeschnitten von freier Kommunikation und bedroht von Verhaftungen. 
Reiseland Tunesien – ein zynisches Märchen? Nein, einen Tourismus-Boykott will sie nicht. Viele Menschen leben vom Fernweh der Europäer. Und Ben Ali hat andere Finanzierungsquellen. „Die Menschen sollen weiterhin in unser Land kommen, aber sie sollen mit offenen Augen reisen und auch die vielen Gitter sehen!“ 
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