...Ich denke aber, dass mein Freund in der Hinsicht eine Ausnahme ist. Viele Männer denken so wie dein Freund und es ist egal ob sie in Europa leben, das ändert nichts daran...
Nach meinem Eindruck beschränkt sich dies auf den Bereich, den man in Deutschland auch als "Kleinbürgertum" bezeichnet, nämlich eine konservative Schicht, die etwa von der oberen Unterschicht bis hinauf zur oberen Mittelschicht reicht, und die oft, neben religiösen, auch bestimmte gesellschaftliche Normen sehr streng befolgt und akzeptiert (nicht nur in Tunesien, sondern in fast allen Ländern, auch in Deutschland bis in die 80er Jahre hinein und verstärkt wieder seit etwa 2000).
Die darüberliegenden Schichten verhalten sich anders, weil sie es sich "leisten" können, und die darunterliegenden haben auch bei einem Fehlverhalten keine Verschlechterung ihres Status zu befürchten.
Ich kenne diverse tunesische Mädchen mit Piercings (auch in der Öffentlichkeit getragen), mit bauchfreien Tops und Spaghettiträgern, es gibt in den großen Städten Jugendcafes moderner Einrichtung, die sehr gut besucht sind und bei denen die Besucher beider Geschlechter absolut europäisch gekleidet sind - und ich habe sogar Eltern kennengelernt, die es kategorisch ablehnen, daß ihre Kinder einmal Tunesier heiraten und welche, die nichts dagegen einzuwenden haben, wenn ein Europäer Ihre Tochter zum Stadtbummel, Essen oder gar zum Schwimmen oder Spazierenfahren ausführt (nur bitte nicht im demselben Wohnviertel...).
Und ich glaube sogar, daß die Hinwendung zum Westen gar in einem ganz erstaunlichen Tempo abläuft, und die man sogar wahrnehmen kann, wenn man nur kurze Zeiträume betrachtet (zumindest in den größeren Städten).
Daß man sich im Ausland gerne auf die erlernten Werte und Vorstellungen beruft, ist nichts neues, und jeder, der mal im Ausland gelebt hat, wird dies mehr oder weniger selbst bestätigen können - wenn aber in der Heimat sich die Verhältnisse rapide ändern, ist man womöglich schon nach einem Jahr nicht mehr "auf dem laufenden", oder man beharrt gerade dann auf dem Althergebrachten, weil der ständige, enge Kontakt zur Heimat und damit die Möglichkeit des ständigen Sozialkorrektivs fehlt bzw. man die Änderungen nicht gutheißt und eher froh ist, sich in einer "Exklave" althergebracht einzumauern.
Wer noch keine Tochter hat, der kann wohl einer kommenden Entwicklung gelassen entgegensehen, denn in 10 Jahren, wird die Welt, besonders in Tunesien, erheblich anders aussehen, als jetzt.
Das Problem liegt dann (und auch jetzt schon) eher darin, welche Einstellung die KONKRETE Person, also meist der Ehemann, hat, und weniger darin, wie und was in Tunesien dann "normal" ist, oder nicht.