"Nimm meine Schuld auf Dich" - oder:
Wie tief ist der politische Riss zwischen Orient und Okzident?

EINE RELIGIONSGESCHICHTLICHE ANTWORT VON MORDECHAY LEWY

Die ungekürzte Fassung findet ihr unter: http://www.israel.de.

Ich erlaube mir lediglich die für unseren Tread relevanten Auszüge hier rein zu kopieren. Es würde auch zu weit führen, hier die ganze Rede zu kopieren. Aber die Auszüge lassen sich sehr gut auf unser Thema runterbrechen und beantworten möglicherweise auch viele der hier gestellten Fragen nach dem " sind sie alle so?" oder"warum sind sie so?"

Und hier die Auszüge:

Orient: bedeutet hier geographisch die islamisch-arabische Welt im Mittelmeerraum und im Nahen Osten. Eine Welt, die keine strikte Trennung zwischen Religion und Staat vollzogen hat. Saekularisierung als staatstragende Idee existiert halbwegs im Orient nur dort, wo es von Oben verordnet wird und sich auf die herrschende Macht der Bajonette berufen kann. Es ist eine Welt, in der der Islam den Alltag der Mehrheit der Bevoelkerung gepraegt hat und immer noch oder wiederum entscheidend mitformt.

Okzident: bedeutet geographisch hauptsaechlich den Kulturraum in Europa und Nordamerika. Eine Welt, die ihr Selbstverstaendnis als Wertgemeinschaft aus der judaeisch- christlichen Tradition uebernommen hat. Sie ist der Demokratie als Herrschaftssystem und der Saekularisierung (also rechtliche Trennung von Staat und Religion) verpflichtet

Thesen:

Soweit mir bekannt ist, wurde im Spannungsverhaeltnis zwischen Orient und Okzident noch nie der Blickwinkel der Beziehung zwischen einer Schuldzuweisungskultur (blame society) und einer Schuld und Schuldbekenntniskultur (guilt society) beleuchtet. Kulturanthropologen operieren eher mit den Begriffen der Schuldkultur (Westen) und Schamkultur (Ostasien und Afrika). Unser Bezugsrahmen soll jedoch nicht als alleiniges Erklaerungsmodell verstanden werden. Er soll uns aber nachdenken helfen, warum die Schuldgefuehle im Okzident teilweise zur Selbstverleugung fuehren, ungeachtet dessen, dass der Konfliktstoff zwischen Orient und Okzident auf absehbare Zeit nicht versiegen wird. Fraglich bleibt, warum der Orient schwerlich Verantwortung fuer selbstverschuldete Unzulaenglichkeiten uebernehmen kann. Da eine Selbstkorrektur die Faehigkeit zur Selbstkritik voraussetzt, sind zukunftsorientierte Umwaelzungen im Orient nur in langsamen Schritten zu erwarten. Darueber hinaus kann der Orient aus sich heraus den Konflikt mit dem Okzident kaum meiden, da er sich selbst seit Jahrhunderten in Verschwoerungstheorien verstrickt hat und sich in einem hermetischen Verschluss der sich selbst erfuellenden Prophezeiungen eingekreist hat. Die Tatsache, dass die kleinen und grossen "Tiger" im Fernen Osten, innerhalb von einigen Jahrzehnten, den Anschluss an die globalisierte Wirtschaft gefunden haben und sich von Hungersnot und Armut verabschiedet haben, verdeutlicht den Menschen in der arabischen Welt, wie weit sie selbst eigentlich in der gleichen Zeitspanne zurueckgefallen sind. Thesenhaft formuliert ergeben sich folgende Aussagen:

1.Im Orient wird die eigene Schuld und Unzulaengligkeit verdraengt und anderen zugeschoben. Selbstkritik ist selten zu finden. Korrekturfaehigkeit ist begrenzt.

2. Im Orient wird die eigene Opferrolle bevorzugt. Zur Begruendung dieses Verhaltensmusters werden Verschwoerungstheorien geschmiedet.

3. Der Islam kennt keine Erbsuende und daher keine historisch tradierte Kollektivschuld.

4. Der Islam beguenstigt nicht die Gestaltung des freien Willen und der eigenen Verantwortung. Im islamischen Menschenbild steht der freie Wille neben der allumfassenden Vorherbestimmung Allahs, ohne dass die islamischen Theologen bisher beide Grundsaetze vereinbaren konnten.

5. Im Okzident neigt man zum Schuldbekenntnis, ungeachtet ob zurecht oder zu unrecht. Daher wird haeufig die Taeterrolle uebernommen.

6. Die Schuldbekenntniskultur im Okzident beguenstigt die Selbstkritik aber auch die eine eigene Korrekturfaehigkeit.

7. Im heutigen Okzident ist die religioes begruendete Erbsuende teilweise saekularisiert und drueckt sich in Schuldbekenntnissen u. a. auch gegenueber der islamisch-arabischen Welt aus.

8. In dem offenen oder verdeckten Konflikt zwischen beiden Kulturen kann der Okzident mit seiner Schuldkultur nicht frei handeln und zwar wegen selbstauferlegten moralischen Zwaengen. Diese Einschraenkung wird vom Orient , die als Schuldzuweisungskultur aggressiver agiert, als Schwaeche wahrgenommen. Diese Schwaeche wird in Konfliktsituation nicht honoriert, sondern ausgenutzt.


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Nun, nachdem ich mir das alles genau durchgelesen habe, vor allem die thesenhaften Aussagen, 8 Stück an der Zahl, fang ich an, vieles, was zu den Themen in diesem Forum geschrieben und hinterfragt wurde, besser zu verstehen, sozusagen, empirisch zu erfassen.
Denn hier findet man die Erklärung für das Verhalten bzw. Verhaltenszwänge für beide Seiten.

Und folgerichtig brauchen auch wir für unsere Verhaltensmuster jetzt auch keine Verantwortung zu übernehmen, da diese uns bereits in die okzidentale Wiege, in das jüdisch-christliche historisch/kulturelle Erbe, schon vor Jahrtausenden gelegt worden ist.

Im Klartext:
nicht nur der Araber darf ( durch seinen Kultur- und Religionseinfluss bedingt)die Verantwortung für sein Handeln ablegen;

auch ich bin dafür(ebenfalls religiös/kulturell/sozial- bedingt)nicht verantwortlich, dass ich immer die Verantwortung(zwanghaft?) übernehme.

Unterstützen möchte ich meinen Gedanken durch die Tatsache, dass diese Verhaltensgesetze, die aus diesem komplexen Erbe resultieren, nicht ganz eindeutig sind, kollidieren diese doch mit vielen Ansätzen aus der ebenfalls westlich gepregten Psychologie, die wiederum unsere Verantwortung relativiert (z.B. je nach dem wie richtig oder falsch man uns als Baby "auf's Töpfchen"gesetzt hat).

Aber egal, hauptsache, ich weiß jetzt die Gründe für mein Hilfesyndrom, meine Verantwortungszwänge, mein Verständnis und Wissenszwang für alles Fremde, rundrum für ein Verhalten, das in der Erbsünde und in der Kollektivschuld begründet liegt.

Auch ich bin also als Individuum unschuldig , denn: ich kann nicht anders, ich bin aus dem Okzident!

Und das Fazit aus der Erkenntnis:

es bleibt wohl alles wie es ist, nur vielleicht ist es einfacher damit zu leben, wenn man weiß, warum es so ist wie es ist.

Ich würde sogar so weit gehen, hier an dieser Stelle die Theorie vom " Opfer und Täter" einzubinden. Denn auch auf diese Rollen ist man kondizioniert, ohne dass es einem bewußt ist.
Und die oben aufgeführten 8 Thesen sind ja ein geradezu idealer Boden für ein 2-Personen Drama,für einen "Selbstläufer", eine Tragödie nach antikem Vorbild, wo die Götter das Schicksal der Menschen bstimmten. Wobei wir laut der 8 Thesen abwechselnd mal für die Täter-, mal die Opferrolle geeignet sind. (Wäre übrigens ein interessanter Diskusionnsansatz!.)

Besetzung: 1er Darsteller (weiblich) Okzident
2er Darsteller (männlich) Orient



Und hier würde sich der Erdkreis vom Okzident zum Orient wieder schließen, oder?

Die Erde ist halt rund......