Da wir über das Zuwanderungsgesetz sprechen, möchte ich auch etwas weiter über den Tellerrand schauen, ich habe täglich damit zu tun, und finde diese Infos in diesem Beitrag sehr wichtig für alle.
Claudia

10.02.2004

Interview
Interview: Markus Bernhardt

Zehn Jahre Abschiebeknast Büren: Freiheitsentzug auf eigene Kasse?

jW sprach mit Frank Gockel, Vorsitzender des Vereins Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.

F: Seit nunmehr einem Jahrzehnt existiert im nordrhein-westfälischen Büren der größte Abschiebeknast der Bundesrepublik. Wie viele Menschen sind dort inhaftiert?

Die Zahl der Inhaftierten hängt davon ab, wie viele illegalisierte Menschen aufgegriffen werden und ob große Abschiebewellen durch die Ausländerbehörden angeordnet werden. Im Verlauf eines Jahres sind in Büren rund 3 500 Menschen inhaftiert. Die maximale Belegungszahl beträgt 560, womit Büren der größte Abschiebeknast Europas ist.

F: Was wird den Gefangenen zur Last gelegt?

Ein Großteil der Inhaftierten hat in Deutschland ein Asylverfahren mit negativem Bescheid hinter sich. Darunter sind Menschen, die in ihren Heimatländern gefoltert worden sind und Todesangst vor einer Abschiebung haben. Viele werden verdächtigt – wohlgemerkt, ein Verdacht reicht aus –, sie wären nicht bereit, mit den Ausländerbehörden zu kooperieren, und planten unterzutauchen. Das ist um so erstaunlicher, als ein Großteil dieser Menschen in Ausländerbehörden festgenommen wird. Das dürfte wohl der letzte Ort sein, wo sich jemand meldet, der untertauchen will. Ansonsten wächst sowohl die Zahl derjenigen Häftlinge, die noch keinen Asylantrag gestellt haben, als auch die Anzahl der inhaftierten Arbeitsmigranten stetig an.

F: Wie steht es um die Lebensbedingungen der Inhaftierten?

Unser Verein führt ehrenamtlich Gespräche in der Haftanstalt. Wir besuchen zirka 100 bis 150 Gefangene pro Woche. Wer beispielsweise nicht arbeitet, verbringt bis zu 22 Stunden pro Tag in seiner Zelle. Es fehlt in Büren an so ziemlich allem: einer ausreichenden Zahl von Sozialarbeitern, sogenannten Resozialisierungsprogrammen, Schulunterricht für Kinder und Jugendliche und Hafturlaub.

F: JVA-Leiter Peter Möller brüstete sich jüngst damit, sein Gefängnis sei »schöner« als andere ...

Sicherlich, das Gefängnis ist idyllisch im Wald gelegen – ohne Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr und damit schwer erreichbar für Besucher. Auf dem Anstaltsgelände befindet sich ein Gartenteich mit Parkbänken – in einem Bereich, den die Gefangenen nicht betreten dürfen. Und der Anstaltsleiter jätet gelegentlich selbst das Unkraut auf den Blumenbeeten, anstatt die im Gesetz geforderte Sprechstunde für Gefangene abzuhalten. Weil es neuerdings Telespiele für inhaftierte Kinder und Jugendliche gibt, erhielt die JVA gerade das Siegel »kindgerecht«. Was die Inhaftierung bei Kindern und Jugendlichen anrichtet, darüber wird nicht nachgedacht. Tatsächlich dürfen einige Gefangene auch arbeiten, um die Hälfte ihres Lohns von zwei Euro pro Stunde sofort wieder pfänden zu lassen – schließlich muß ein Gefangener seine Haftkosten selber bezahlen. Und die »Schandflecken« wie Arrestzellen oder der sogenannte Bunker sind alle im Keller versteckt. Optisch also eine schöne heile Welt, in der die Gefangenen psychisch kaputtgehen.

F: Wie denkt die Bürener Bevölkerung über den Knast?

Ein Großteil der Bevölkerung steht dem Gefängnis eher positiv gegenüber. Bevor die alte NATO-Kaserne zum Abschiebegefängnis umgebaut wurde, war auch in der Diskussion, dort eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge zu errichten, wogegen sich die Bürger jedoch erfolgreich wehrten. Ein eher kleiner Teil der Bevölkerung spricht sich klar gegen die Abschiebehaft aus.

F: Was werden Sie in Zukunft gegen den Abschiebeknast unternehmen?

Wir werden weiterhin versuchen, die Öffentlichkeit über die Unmenschlichkeit der Abschiebehaft zu informieren. Wir werden am bundesweiten Vernetzungstreffen der Abschiebehaftgruppen vom 21. bis 23. Mai in Paderborn teilnehmen. Zum zehnjährigen Bestehen unseres Vereins organisieren wir gerade ein Konzert gegen Abschiebehaft, dessen Termin noch nicht feststeht. Dazu haben wir unter anderem den Liedermacher Konstantin Wecker eingeladen. Außerdem wird es auch in diesem Jahr eine bundesweite Demonstration gegen Abschiebehaft in Büren geben.

http://www.jungewelt.de/2004/02-10/017.php