... ich habe den ZEIT-Artikel zum Thema gefunden und kopiert.
... ein Beispiel, um über die Relativität gesellschaftlicher Konventionen nachzudenken.
Mamas schwache Helfer
Väter im Kreißsaal sind längst die Regel. Ob als Stütze oder Störenfried - darüber streiten die Experten plötzlich wieder
Von Iris Mainka
In der Hocke? Im Vierfüßerstand? Auf dem Gebärstuhl oder im Wasser? Vielleicht aber doch im Liegen auf dem Entbindungsbett. Oder daheim auf der Doppelcouch? Wer gebären will, muss wählen: zunächst die Klinik, später die Geburtsposition - falls der kreißenden Mutter unter der Qual der Wehen nach Wählen noch zumute ist. Von Anfang an fest steht heute nur eines: Der Vater muss dabei sein.
Muss er wirklich?
Noch Anfang der siebziger Jahre war das keineswegs selbstverständlich. Nur etwa jeden fünften Mann zog es zu seiner Frau in den Kreißsaal. Die übrigen hätten nicht im Traum daran gedacht, oder sie stießen mit ihrem Ansinnen auf klinisch-kühle Abwehr. Zu unhygienisch!, befanden Hebammen und Ärzte und präsentierten das Neugeborene lieber hübsch hergerichtet hinter Sichtglas. Während der Arbeit mit Mutter und Kind wollten sie sich von den Vätern, diesen Nervenbündeln, nur ungern auf die Finger sehen lassen.
Das war einmal. Im Zuge der sich neu definierenden Geschlechterrollen ist die Anwesenheit des Vaters bei der Geburt längst von der Ausnahme zur Regel geworden. Bis zu neun von zehn Männern sind heute dabei und erleben mit, was jahrhundertelang als reine Frauensache galt. Sie zählen die Minuten in den Wehenpausen, halten Händchen, massieren die Schultern oder stärken auf andere Weise ihrer Partnerin den Rücken; sie durchtrennen mit Tränen in den Augen, endlich erlöst, die Nabelschnur. Und nicht selten berichten sie hinterher, euphorisch wie die jungen Mütter, von der Geburt des ersten Kindes als dem großartigsten Ereignis ihres Lebens.
Keine Regel ist so gut, als dass sie nicht irgendwann wieder infrage gestellt werden sollte. Das tut nun ausgerechnet Michel Odent, der berühmte französische Mediziner, der über seine Erfahrungen mit der Sanften Geburt Bücher schrieb, der vor 30 Jahren die Entbindung im Wasser propagierte und dessen Wort in Sachen Geburtshilfe seit Jahrzehnten zählt. Dieser nunmehr über 70-Jährige fragt inzwischen: Sind Väter im Kreißsaal nicht doch häufig ein Hindernis?
Im Bemühen, der Partnerin Schmerz zu ersparen, lenke so mancher Mann in Wahrheit die Frau nur ab von der schwierigen Aufgabe des Gebärens. Hoch gestresst, neige er dazu, dauernd mit ihr zu reden und sie zu fragen, was vorgeht; so zwinge er sie, mit der intellektuellen Seite ihres Gehirns präsent zu bleiben. Sie könne nicht ungehemmt auf ihren Körper hören, könne sich nicht "auf einen anderen Planeten" begeben, wie es der urtümliche Geburtsakt erfordere. "Jedes Ansprechen des Verstandes, jede Stimulation des Neokortex kann den Wehenverlauf stören", schreibt Odent in seinem gerade auf Deutsch erschienenen Buch Die Wurzeln der Liebe. Die Folgen: "Die Frau lässt sich von der Furcht des Partners, von seinem erhöhten Adrenalinspiegel anstecken", sagt Odent. Sie fühle sich auch für ihn noch verantwortlich, verlange öfter nach Schmerzmitteln. Zudem steige die Rate von Kaiserschnitten mit wachsender Dominanz der Männer im Kreißsaal; mit einer erfahrenen Vertrauten zur Seite sei die werdende Mutter meist besser dran.
"Klingt plausibel", findet Anke Dohm*, 33. Die Schauspielerin war sich schon lange vor der Geburt ihres Sohnes einig mit ihrem Mann, dass er lieber draußen bleiben sollte, auch wenn viele Freunde das Gegenteil für selbstverständlich hielten. "Mein Grundgefühl war da immer ein anderes", erinnert sie sich. "Es gibt bestimmte Dinge, die ich ihn einfach nicht sehen lassen möchte, egal, wie nah ich ihm bin." Zum Geburtsvorbereitungskurs ging sie allein und betrachtete zweifelnd die vielen anwesenden zukünftigen Väter. "Alle taten unglaublich einfühlsam, aber mein Eindruck war: Die fühlten sich in der Situation nicht richtig wohl!" Außerdem fürchtete sie um das gemeinsame Liebesleben; eine Freundin hatte sich, nach ihrer Entbindung im Beisein des Partners, "bitter beklagt" über das nachlassende sexuelle Interesse aneinander. "Ich glaube nicht an die Stärke der Männer, zwischen realen Bildern und sexuellen Fantasien im Kopf differenzieren zu können", sagt Anke Dohm.
Der intimste Moment einer Frau
Auch ihr Mann Jürgen* spricht von "Geheimnissen", die es voreinander zu wahren gelte; es interessierten ihn ja auch nicht "alle Einzelheiten, wenn sie ihre Tage hat". So eine Geburt sei der intimste Moment, den eine Frau erleben könne. "Und ich hatte nicht das Bedürfnis, den mit ihr zu teilen." In der Nähe allerdings wollte er schon sein; und der Augenblick, in dem ihm die Hebamme, nach einem Notkaiserschnitt in letzter Minute, den "blutigen Jungen" in den Arm drückte, ist ihm wichtig und unvergesslich. Das nächste Mal? "Bliebe Jürgen auch wieder auf dem Flur, in Rufbereitschaft", glaubt Anke Dohm. "Das ist für uns die richtige Mischung aus Nähe und Distanz."
Sind es nicht tatsächlich die Frauen, die die Kinder kriegen? Und was hat der Mann dabei zu suchen? Mit den Thesen Michel Odents tauchen Argumente aus der Versenkung, die bereits erledigt schienen: kaum erstaunlich in Zeiten, in denen psychische Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen nun doch wieder als angeboren und Nachteile der Koedukation als diskutabel gelten. Dass nur derjenige ein guter Vater werden könne, der schon dem Neugeborenen seinen prägenden Blick zuwirft, hatte fast den Rang eines Dogmas erreicht. Aber heilige Kühe werden nur in Indien nicht geschlachtet.
Beweise freilich, die die Vermutungen des Geburtsgurus untermauern könnten, sind rar. "Die wird es auch nicht geben - wie wollen Sie das messen?", sagt Odent selbst. Der Gründer des Primal Health Research Centre in London - das den Einfluss der Geburt auf das spätere Verhalten und die Gesundheit des Menschen erforscht - muss sich in der Hauptsache auf seinen anekdotenreichen Erfahrungsschatz berufen. Zwar antworteten bei einer Befragung in England 41 Prozent der Mütter, sie hätten im Nachhinein lieber auf die Anwesenheit ihres Mannes verzichtet: weil er der Situation nicht gewachsen schien und sie zu sehr um ihn besorgt waren. Doch aus Deutschland "gibt es da keine Studien oder sauberen Statistiken", sagt Hans Georg Bender von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe.
Für Paare der erste Belastungstest
Tatsächlich findet sich hierzulande so schnell niemand, der dem Franzosen aufgrund fachlicher Erfahrungen beipflichten würde. Im Gegenteil. Ärzte und Hebammen betonen, wie positiv sich in der Regel das Miteinander im Kreißsaal gestalte. "Für viele Paare ist die Geburt ihres Kindes der erste echte Belastungstest", vermutet Michael Scheele, Chefgynäkologe einer Hamburger Klinik, "und sie gehen fast immer gestärkt daraus hervor." Voraussetzung ist, dass "die beiden Partner imstande sind, sich gegenseitig zu stützen, Fehler des Partners in schwierigen Situationen zu akzeptieren, ohne sich gegenseitig abzuwerten und zu kritisieren", schreibt die Wiener Professorin Marianne Ringler in ihrem Buch Psychologie im Krankenhaus. Das Dabeisein bei der Entbindung, sagt die Psychoanalytikerin, sei von großer "emotionaler Bedeutung" und im Übrigen nur der Endpunkt: Frauen, die sich durch alle Schwangerschaftsphasen hindurch von ihrem Partner unterstützt fühlten, hätten "deutlich seltener Geburtserlebnisse, die als traumatisch empfunden werden".
Ein nahes, offenes Verhältnis kann sich freilich auch so ausdrücken, dass ein Paar vorher schon abmacht, nicht um jeden Preis die Sache gemeinsam durchzustehen. "Neulich", erzählt Scheele, "hatten wir eine Frau, die der Hebamme direkt gesagt hat, er soll jetzt mal draußen bleiben, als der Mann zur Toilette verschwunden war. Dann hat sie gepresst wie 'ne Weltmeisterin, und das Kind war geboren." Für die Hebammen oder Ärzte dagegen sei es schwierig, den Mann rauszuschicken, auch falls sie spürten, dass es der Frau gut täte. "Das muss man schon dem Paar selbst überlassen", rät Scheele.
Das gelingende Geburtserlebnis - einvernehmlich distanziert oder inniglich gemeinsam - als eine Art Lackmustest für die Beschaffenheit einer Paarbeziehung? "Auf jeden Fall!", sagt Hebamme Christine Tulius. Seit 23 Jahren im Beruf, hat sie schon manche denkwürdigen Zweierkonstellationen erlebt. Da war der "Versorger", der, mit Würstchen und Kartoffelsalat ausgerüstet wie für ein gemeinsames Campingwochenende, in den Kreißsaal zog. Da gibt es die coolen, Capitallesenden Businessmänner, die sie erst mal auf eine Runde in den Park schickt, bis es so weit ist. Die "Trainer", die glauben, mit genau getimeten Anfeuerungsrufen den Geburtsvorgang beschleunigen zu können. Oder die "Ingenieure", die ihre Hilflosigkeit am liebsten mit überwachem Interesse für das CTG kaschieren. Die "Dokumentare" dagegen, die am liebsten noch die Nachgeburt auf Video bannen würden, sind deutlich auf dem Rückzug.
Odents Thesen hält nicht nur Tulius für "überzogen". Es sei schließlich auch Sache der Hebammen, die zunächst oft passiven Männer psychologisch geschickt mit einzubinden. "Das geht ganz wunderbar", hat sie erfahren und will auf keinen Fall die Väter wieder aus dem Kreißsaal verbannen: "Eltern werden ja beide gemeinsam." Und auch Ellen Grünberg vom Bund Deutscher Hebammen fragt grundsätzlich: "Warum sollte der Mann bei der Geburt außen vor bleiben, wenn das Kind aus Liebe empfangen und gezeugt wurde? Er muss ja nicht zwischen die Beine der Frau treten!"
Längst haben sich die Krankenhäuser darauf eingestellt, dass die werdenden Mütter mit Begleitung zur Entbindung kommen. Die Hebamme kann selten pausenlos Wache halten; sie muss das Telefon bedienen, sich zwischendurch um andere Geburten kümmern und ist froh, wenn in der oft stundenlangen Eröffnungsphase die Schwangere nicht allein bleibt. Die Kliniken verstehen sich inzwischen ganz kundenorientiert als eine Art Geburtshilfeshop und konkurrieren untereinander nicht nur mit denkbar kuscheligen Entbindungszimmern samt Badewanne, Musik und dimmbaren Lichtquellen, sondern auch mit der größten Vielfalt an Angeboten für die werdenden Väter.
Zum Beispiel das Hamburger Marienkrankenhaus, 2000 Geburten pro Jahr. Seit eineinhalb Jahren gibt es hier neben den vier beeindruckend schönen Entbindungszimmern, in denen sich sogar der Wehenschreiber hinter hellem Holz versteckt, einen Extraaufenthaltsraum für die begleitenden Väter. In einer Glasvitrine warten dort Sandwiches, Tee, Kaffee und andere Getränke; es gibt ein Telefon, einen Fernseher; draußen auf der Terrasse bequeme Holzstühle und, natürlich, einen Aschenbecher. Nur: "Den Aufenthaltsraum benutzt eigentlich keiner - außer damals während der Fußball-WM", sagt lächelnd Chefarzt Peter Scheidel. Die Männer wichen ihren Frauen kaum je von der Seite.
Muss der Mann hecheln lernen?
Schwierig wird es am ehesten dann, darin sind sich die Experten einig, wenn die Väter gedrängtermaßen oder zu blauäugig in die Situation hineingeraten und weder auf ihre eigenen Gefühle der Hilflosigkeit noch auf mögliche Abwehrreaktionen ihrer Frauen während der Geburt gefasst sind. Dann sind sie tatsächlich eher Hindernis als Hilfe. Dem sollte man vorbeugen, empfehlen die Hebammen: In einem gemeinsamen Geburtsvorbereitungskurs geht es heute immer auch um Bedenken, Angst, Unsicherheit der Partner und keineswegs darum, dass der Mann die korrekte Hechelatmung lernt.
Auch die gestiegene Zahl von Kaiserschnitten (in Hessen etwa in den vergangenen zehn Jahren von 17 auf 23 Prozent) hat mit mangelnder Aufklärung und dem generell gewachsenen Sicherheitsbedürfnis in der Gesellschaft zu tun. "Da kommt heute eine Generation zur Entbindung, die alles für mach- und steuerbar hält nach dem Motto: ,Holen Sie mir mein Kind da mal raus'", sagt Hebamme Christine Tulius. "Auf Schmerzen wollen die sich am liebsten gar nicht einlassen", klagt sie. Offenbar fürchten sich besonders ältere Gebärende vor einer natürlichen Entbindung. In dem irrigen Glauben, Beckenboden und Geburtskanal zu schonen, entscheiden sie sich von vornherein für einen auf die Minute planbaren und vermeintlich schmerzfreien Kaiserschnitt. Und manche Ärzte setzen "das operative Heilmittel gegen psychische Ängste" (Marianne Ringler) auch deshalb willig ein, weil die Kassen für eine Kaiserschnittgeburt nahezu das Doppelte zahlen.
Vielleicht also ist die Wahrheit ganz einfach, wenn auch wenig spektakulär: Während es die eine Frau entspannt, den Vater bei der Geburt dabeizuhaben, stresst es die andere. Da hilft nur das offene und ehrliche Reden miteinander: rechtzeitig und ohne dogmatische Verhaltensregeln im Kopf. Auch die Mutter, die Freundin, die Schwiegermutter sind im Kreißsaal anstelle des Vaters willkommen, wenn's denn der glücklichen Entbindung dient.
Glaubt man Michel Odent, lässt sich ein Problem freilich auch durch Reden nicht aus der Welt schaffen: Die Frauen, meint er, hätten gewissermaßen zwei Seelen, ach, in ihrer Brust. Auf der rational-verbalen Ebene forderten sie von ihren Männern, sie zu unterstützen und zu begleiten; auf der urtümlich-physiologischen Ebene aber fühlten sie sich bei der Geburt unbeobachtet von männlichen Augen dennoch freier.
Was tun? "Lasst euch nicht zu viel raten", rät Michel Odent werdenden Eltern und warnt vor unflexibler Political Correctness. Wer glaubt, nach einem festen Drehbuch im Kopf die Geburt eines Kindes steuern zu können, liegt in seinen Augen einfach falsch. Vor allem von den Hebammen dagegen fordert er fachliches Selbstbewusstsein: "Schickt die Männer zum Kaffeetrinken, wenn sie stören!"
(c) DIE ZEIT 25/2001
http://www.zeit.de/2001/25/Wissen/200125_vaeter1.htmlIm gleichen Maß, wie sie mit dem Kind wächst, mutiere ich vom Liebhaber zum staunenden Zaungast.
Die Geburt ist ein elender Kampf. Sie schreit und kämpft und krallt sich ein. Mit jeder Wehe stehe ich mehr in ihrer Schuld. Ich sehe ihre Schamlippen, gespannt wie ein Tamburin. Ich sehe, wie sie leidet, und kann nichts tun. Der Damm wird geschnitten. Das Kind, ein Mädchen! Wie schön es ist. Die Scheide eine klaffende Wunde. Sie geben mir das Kind in den Arm, vergessen, die Tür zu schließen, sie müssen sich beeilen. Alles geht gut. Aber ich weiß nicht, ob ich ihr das noch einmal antun will.
http://www.eltern.de/schwangerschaft_geburt/schwanger_sein/sex_schwangerschaft_mann__2.html