Hallo Blid,

kannst Du mir mal erklären warum alle Tunesier sofort beleidigt reagieren, wenn man irgendeine Kritik an ihnen oder ihrem Land äußert? Jetzt komm doch mal auf den Boden zurück! Du willst doch wohl nicht allen Ernstes behaupten, daß die Frauen in Tunesien den Männern gegenüber so gestellt sind wie die Europäerinnen, oder? Können sie nicht und sollen sie meiner Meinung auch gar nicht. Die Rolle der Frau ist in Tunesien eine ganz andere als bei uns in Europa. Schon von der Religion her funktioniert das nicht so, wie wir uns das denken. Die Frau kann noch soviel studieren, doch am Schluß ist sie doch wieder Mutter und Hausfrau. Wie sagtest Du in einem Deiner Beiträgen: "Unsere Frauen machen das gern!" Ja, genau da ist der Unterschied. Wir sehen es gar nicht mehr ein, warum wir arbeiten (oft mehr als die Männer) und die Kindererziehung und die Hausarbeit aufgebrummt bekommen. Wir machen das nicht gern und sind der Meinung, daß die Männer ihren Anteil dazu beitragen müssen. Tunesische Frauen sehen das nicht so, denn schließlich ist es ihre Rolle sich für die Familie abzuarbeiten. Das Problem für die tunesischen Männer ist nur, daß immer mehr der europäische Einfluß zum wirken kommt und die Frauen wie die Europäerinnen sein wollen. Eine persönliche Frage an Dich: würdest Du erlauben, daß Deine Schwester vor der Eheschließung mit einem Mann schläft? Ja wohl nicht, oder? Bei Männern ist das in Tunesien aber doch wohl völlig normal, daß sie sexuelle Erfahrungen vor der Ehe sammeln. Gleichberechtigung ist nicht das Sammeln von akademischen Vorzeigefrauen, sondern die wirkliche Gleichbehandlung in allen Lebenssituationen und das ist weder in Deutschland noch Tunesien realisiert. Ich kann ja verstehen, daß Du den ausländischen Einfluß (wirtschaftliche Hilfe durch europäische Länder) nicht so recht wahrhaben willst, doch sei mal ganz ruhig und überlege, wo wäre Tunesien heute ohne fremde Hilfe, ohne Entwicklungshilfe, ohne Lohnveredelung, ohne Handel mit Europa, ohne Gaststudenten im Ausland, ohne Tourismus und nicht zuletzt ohne immer Geld schickende Gastarbeiter in Europa?
Jetzt zu den tunesischen Frauen, die im Ausland studieren: ihr schickt sie nicht ins Ausland, weil sie so gut ausgebildet sind, sondern weil Eure Unis überfüllt sind, oder??? Ich glaube auch, daß es für eine tunesische Frau ein Problem ist ins Ausland zu gehen. Die Schwester meines Mannes war vor kurzem bei uns zu Besuch. Oh Gott, war das ein Theater bis wir die Eltern überzeugt hatten, daß wir auf sie aufpassen werden. Nach langem Hin und Her durfte sie endlich kommen, mit bestimmten Einschränkungen natürlich. Das ganze endete dann damit, daß ich sie jeden Tag mit in meine Firma nahm und auf sie "aufgepaßt" habe....Jetzt wollte die Cousine meines Mannes kommen, doch ihr Vater (Direktor eines Gymnasiums-also ein gebildeter Mann) erlaubt es nicht, denn sie könnte ja zuviel Freiheit haben....Was hat denn das mit Gleichberechtigung zu tun? Das tunesische Schulwesen ist natürlich sehr gut. Keiner bezweifelt das. Nicht umsonst fallen über 50% der Gymnasiasten jedes Jahr durch und lachen tut Ihr nicht über das französische oder deutsche Lernprogramm, denn mein Mann (Abitur), der auch immer meinte, seine Ausbildung wäre besser als die deutsche, kann meiner Tochter (12. Klasse) in Mathe, Physik, Chemie, Geschichte etc. überhaupt nicht helfen. Wenn er die Aufgaben sieht, blickt er schon nicht mehr durch. Also, so gering sind die Anforderungen in Deutschland auch nicht. Ich glaube, daß Du, wie die meisten Tunesier, die Situation etwas sehr beschönigst. Natürlich gibt es in Tunesien Bestrebungen, die Frauen gleichzustellen, doch muß sich das im Kopf und nicht per Gesetz etc. abspielen. So lange Eure Frauen sagen, daß sie gern alles machen, wird sich nichts wirklich ändern. Die, die sichs leisten können machen eine Ausbildung und dann? Ich will niemanden in Tunesien meine Meinung auszwingen, ich finde es nur immer sehr traurig, daß meine Schwägerinnen springen müssen, wenn ihre Männer nach Hause kommen; daß sie die leeren Zigarettenschachteln etc. vom Boden aufheben müssen, die ihre Männer hinschmeissen; daß sie angebrüllt werden, wenn den Männern irgendetwas nicht paßt; daß sie obwohl sie gerade kochen nebenbei noch die schreienden Kinder versorgen müssen, obwohl ihre Männer nur rumsitzen und nichts tun. Ich könnte jetzt noch stundenlang weiter aufzählen, was mir in den letzten Jahren alles aufgefallen ist und mich jedesmal wieder traurig und wütend macht, doch habe ich gelernt, mich da nicht einzumischen, denn das verschlimmert die Situation der Frauen leider immer wieder. Nur, wenn ich mich nach dem Müll am Boden bücke, sind alle ganz entsetzt und die Männer springen auf, um mir zu helfen - komisch oder???
Jeder soll in seinem Land dafür sorgen, daß es lebenswert für alle ist. Ich bin sehr zuversichtlich, daß die tunesischen Frauen einen Weg finden werden wie sie Religion, Tradition und Moderne in Einklang bringen werden. Sie brauchen uns Europäerinnen nicht dafür. So wie wir hier in unserem Land dafür sorgen müssen, daß die Gleichberechtigung weiter verwirklicht wird.
In diesem Sinne wünsche ich Dir, daß Du nicht gleich beleidigt bist, wenn Dein Land kritisiert wird.
Anna