RASTERFAHNDUNG
Die Fahnder verlieren sich im Datenwust
Von Matthias Gebauer
Nachdem drei Urteile in verschiedenen Bundesländern die Rasterfahndung nach so genannten Schläfern stark eingeschränkt haben, gerät die ganze Datensammlung immer mehr zur Farce. Kritiker der Aktion sehen sich nun in ihrer Meinung bestärkt, denn mit verwertbaren Ergebnissen rechnen auch bei den Behörden nur noch wenige.
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Rasterfahndung, wie man sie sich vorstellt. Doch in Wirklichkeit kommen die Daten nicht auf Knopfdruck aus den Computer. Handarbeit ist immer noch gefragt
Berlin - Irgendwo an den langen, grau gestrichenen Fluren im zweiten Stock des Berliner Landeskriminalamtes (LKA), genauer in der Abteilung Staatsschutz, lagert zurzeit Material mit politischem Sprengstoff. In einem verriegelten Raum steht dort ein handelsüblicher Computer, der brisante Daten auf seiner Festplatte speichert: Zigtausende Personenauszüge vom Landeseinwohneramt, den Berliner Energieversorgern, den drei Universitäten oder der Flughafengesellschaft. Benutzen dürfen die Ermittler der Staatsschutzabteilung die Daten jedoch derzeit nicht, denn das Berliner Amtsgericht erklärte Mitte Januar die Rasterfahndung in Berlin für vorerst beendet. Der Grund: Es gebe keine "gegenwärtige Gefahr", welche den umfangreichen Datenabgleich rechtfertige. "So lange die Revision gegen dieses Urteil noch läuft, bleiben die Daten unangetastet", versicherte ein LKA-Beamter.
Die Berliner Ermittler sind mit dem Problem nicht allein. Nur wenige Tage nach dem Stopp für den Datenabgleich in der Hauptstadt wurde auch in Hessen die Maschinerie angehalten. Auch hier hatte ein Student gegen die Sammlung seiner Daten geklagt und Recht bekommen. Auch die hessischen Richter wollten partout die akute Gefahr eines neuen Terroranschlags durch noch "schlafende" Studenten nicht sehen, wie es die drei Attentäter Mohammed Atta, Ziad Jarrah und Marwan al-Shehhi aus Hamburg waren. Vor wenigen Tagen kam ein drittes Urteil hinzu, diesmal vom Oberlandesgericht Düsseldorf. Die Richter hier erkannten zwar die Gefahr als gegeben, entschieden aber, dass die Ermittler ausschließlich die Informationen über ausländische Studenten sammeln und abgleichen dürften.
Karlsruhe soll sich mit der Rasterfahndung beschäftigen
Die Daten von deutschen Studenten sind hingegen in Nordrhein-Westfalen weiter geschützt. Mittlerweile planen mehrere ausländische Studenten auch in Karlsruhe gegen dieses Urteil eine Verfassungsklage, weil sie sich wegen ihrer Herkunft benachteiligt fühlen und darin einen Verstoß gegen den Artikel drei des Grundgesetzes sehen. Die Causa Rasterfahndung könnte so - wie es sich für ein Politikum in Deutschland gehört - bis zum höchsten Gericht durchgereicht werden. Gegen die Urteile aus Hessen und Berlin haben die Innenbehörden unterdessen Revision eingelegt und geben sich selbstbewusst, dass die Kammergerichte schon bald die Urteile aufheben werden.
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Nach so genannten Schläfern wie dem Attentätern Mohammed Atta sollte mit der Rasterfahndung gesucht werden
Doch neuer Ärger droht bereits, denn auch in weiteren Bundesländern haben Studenten bei den ersten Gerichtsinstanzen mittlerweile Klagen gegen die Sammlung ihrer Daten eingereicht, in Kürze wird ein Gericht in Hamburg urteilen. So gerät die ganze Aktion Rasterfahndung in ernste Nöte. Denn durch die vorliegenden und noch zu erwartenden Beschlüsse könnte die nach dem 11. September eilig beschlossene Maßnahme ihren Sinn - die Suche nach islamistischen Attentätern - komplett verfehlen und letztlich lediglich viel Geld und Zeit gekostet haben.
109 Ausgerasterte in Berlin
Dabei sind die Berliner Terrorfahnder noch guter Dinge. Hier nämlich war man mit dem Rastern aus den verschiedenen Daten von ausländischen Studenten schon ziemlich weit. Bereits vor dem Urteil des Amtsgerichts hatten die LKA-Ermittler aus dem riesigen Datenwust von mehr als 58.000 Datensätzen von verschiedenen Behörden 109 Personen gerastert, die zumindest verdächtige Häufungen von Merkmalen wie islamische Religionszugehörigkeit, ein technisches Studienfach, rege Reisetätigkeit oder eine Flugausbildung in den Datensätzen aufwiesen. Darum hat der Stopp des Amtsgerichts für den Datenabgleich für die Fahnder in der Hauptstadt keine großen Folgen, sie gehen längst den Verdachtsmomenten gegen die 109 Ausgerasterten nach. Eine wirklich heiße Spur haben die Ermittler nach eigenen Aussagen dabei noch nicht aufgetan. "Wir dürfen aber nie vergessen, dass die drei Hamburger ohne das Wissen um den 11. September auch sehr unauffällig waren", betont ein LKA-Mann.
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Weil drei der Entführer an der TU in Hamburg-Harburg studierten, gehört dieses Merkmal nun in den Katalog für den Datenabgleich
Ganz anders sieht der Stand der Ermittlungen in Hessen aus. Als Flächenland hatten die Ermittler zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung gerade erst mal die Datensätze der verschiedenen Behörden beisammen und nach Aussagen von Mitarbeitern mit dem Datenabgleich, also dem eigentlichen Rastern, noch gar nicht begonnen. Die Beispiele Berlin als auch Hessen verdeutlichen, dass die von Politikern viel gelobte Rasterfahndung schwieriger ist als viele so genannte Sicherheitsexperten im Parlament und anderswo dachten. Denn die zu vergleichenden und zu kombinierenden Daten kommen in den unterschiedlichsten Formaten. "Der Erste liefert auf Diskette, der Nächste kommt mit Papierausdrucken und wieder der Nächste kommt mit Programmen, für die man einen speziellen Computer braucht, den wir erst beschaffen mussten", beschreibt ein Fahnder die mühsame Arbeit. Die Vorstellung von den Daten, die auf Knopfdruck aus einem großen Rechner laufen, sei "eine Illusion aus Hollywood." Denn in der Tat war die Rasterfahndung von vielen Ermittlern ganz anders gesehen worden als in der Politik. Die Praktiker wollten mit der Datensammlung eher einen Überblick über islamische Gruppen und Verbindungen untereinander bekommen, die Politiker hingegen träumten schon von Festnahmen.
Austausch unter den Ländern nicht mehr möglich
Aber selbst wenn die Fahnder so weit sind wie in Berlin, wird die Arbeit nicht einfacher. Denn selbst eingefleischten Staatsschützern ist klar, dass es sich bei den 109 Personen lediglich um Studenten handelt, bei denen sich Merkmale häufen, die auch zufällig sein können. "Deshalb müssen wir vorsichtig an die Leute heran, einmal, um viel herauszufinden und auch, um sie zu schützen", so ein LKA-Mann. Für diese Observationen und Vernehmungen geht zusätzliche Zeit drauf. "Ob am Ende überhaupt jemand übrig bleibt, wissen wir nicht, doch dann haben wir zumindest ein bisschen mehr Sicherheit", versucht sich der Ermittler an einer Rechtfertigung.
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Auch der Student Marwan al-Shehhi gilt als Prototyp für einen "Schläfer"
Bisher gelten die Gerichtsverfügungen nur für drei Bundesländer, doch auch die Arbeit der anderen Landesbehörden wird durch die Urteile gebremst. Das liegt vor allem an einem Merkmal, dass alle drei in Deutschland studierenden Terror-Piloten aufwiesen: eine hohe Mobilität. Sie lebten zwar in Hamburg, reisten aber auch viel durch die Republik. Gerade deshalb sollten bei der Rasterfahndung auch Daten zwischen den Bundesländern ausgetauscht werden. Ein Beispiel: Student X ist in Bayern aufgefallen, da er ein Atomkraftwerk besuchte oder im Sicherheitsbereich des Flughafens arbeitete. Doch er wohnt oder studiert nicht in Bayern, sondern in Berlin. Normalerweise hätte Bayern nun in der Hauptstadt nachgefragt, ob man auch hier Merkmale gefunden hat. Mit dem Urteil vom Amtsgericht ist diese Anfrage nun sinnlos, denn die Daten sind unter Verschluss.
Die Landesbehörden hoffen nun, dass die Urteile der Amtsgerichte in den höheren Instanzen wieder aufgehoben werden. Die Landeskriminalämter könnten dann die Arbeit wieder aufnehmen und vor allem ihre Ergebnisse in die Verbunddatei beim Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden einstellen, die den Ländern als Austauschbasis für Informationen dienen soll. Bisher aber haben die Landeskriminalämter noch kaum Daten geliefert, da sie wie in Hessen noch am Anfang stehen oder wie in Berlin nicht mehr dürfen. Entscheiden die Richter in den kommenden Wochen aber gegen die Rasterfahndung, wird der versiegelte Raum im Berliner Landeskriminalamt nur noch geöffnet, um die Festplatte unter den Augen von Zeugen zu vernichten. "In diesem Fall", so der Berliner LKA-Fahnder, "war alles für die Katz."
Quelle : Spiegel Online www.spiegel.de