http://www.wams.de/data/2004/05/09/275499.htmlMakroökonomisches Musterland 
Tunesien sucht nach Investoren - die deutschen Unternehmer Absatzmärkte
von Manfred Fischer
Flug TU 745 von Frankfurt nach Tunis birgt begehrte Fracht: deutsche Unternehmer auf der Suche nach lukrativen Investitionsmöglichkeiten und guten Geschäften. Technik und Geld aus Deutschland für die Märkte von morgen. Neue Arbeitsplätze aus dem Hochlohnland exportiert in ökonomisches Flachland - welch eine Aussicht für beide Seiten. 
Doch schon während das Bordpersonal Nudeln und Fisch in Tomatensauce serviert, dringen erste Töne gebremsten Enthusiasmus aus den hinteren Reihen: "Die Reise dauert nicht lang. Sie ist nicht teuer. Ich rechne nicht damit, irgendwelche Abschlüsse zu machen. Aber ein erster Kontakt kommt vielleicht zu Stande", sagt einer. Sein Unternehmen verkauft Maschinen zur Herstellung von Konservendosen. 
Tunesien ist ein solider und bewährter Wirtschaftspartner Deutschlands und der Europäischen Union. Seit 1995 gibt es ein Assoziierungsabkommen, bis zum Jahr 2008 sollen die Zölle möglichst verschwunden sein. Mehr als 260 deutsche Unternehmen haben Standorte in dem stabilen Land zwischen Algerien und Libyen, damit liegt die Bundesrepublik auf Platz drei der Auslandsinvestoren, hinter Frankreich und Italien. Die tunesische Volkswirtschaft wächst um durchschnittlich fünf Prozent, die Inflationsrate liegt bei drei Prozent: Aus deutscher Sicht ein "makroökonomisches Musterland", sagt Benno Bunse, Ministerialrat im Berliner Ministerium für Wirtschaft und Arbeit. Ein Paradies vielleicht? 
Ein Paradies ist jedenfalls die Oasenstadt Tozeur tief im Süden des Landes, nahe der algerischen Grenze, mitten in der Wüste. Palmenhaine um Luxushotels, die Epoche der Kamelkarawanen transformiert in die Zeiten kaufkräftigen Massentourismus. Der hat allerdings durch den Terroranschlag in New York 2001 und durch einen verirrten Bombenleger auf der tunesischen Ferieninsel Djerba 2002 schwer gelitten und erholt sich nur langsam. Doch nun sorgen deutsche Unternehmer für Betrieb in Restaurant und türkischem Bad: Um die 200 deutsche und tunesische Wirtschaftsmenschen, Unternehmer, Politiker, Abgesandte staatlicher und halbstaatlicher Entwicklungsorganisationen haben sich eingefunden zum dritten deutsch-tunesischen Wirtschaftstreffen. Nicht jeder weiß das hohe Alter der Boeing 737 zu würdigen, mit der die Strecke von Tunis nach Tozeur bewältigt wird. Doch nun sind sie ja da. Bald wird die Sonne über den Dünen untergehen. 
Michael Rogowski ist eigens hinausgefahren in die Sandlandschaft, um dem zwar täglichen, doch immer wieder spektakulären Ereignis beizuwohnen. Der Vorsitzende des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) hat enge Kontakte zu Land und Leuten und sagt: "Es lohnt sich, nicht nur nach Osten zu blicken, es lohnt sich, auch nach Süden zu blicken." 
Wie sehr es sich lohnt, rechnet Sami Hajji vor. Er spricht für die Era AG aus dem deutschen Herrenberg, die in Tunesien Transformatoren und Spulen für die Elektrik von Autos, Lokomotiven und Kühlschränken herstellt. Ein Facharbeiter, sagt er, kostet sein Unternehmen in Deutschland 23 Euro die Stunde, in Tunesien zwei. Da nützt auch die höhere Produktivität in Deutschland nichts. 
Doch all die schönen Zahlen helfen nicht, die angereiste Unternehmerschaft in Schwung zu bringen. Billiglohnländer gibt es auch woanders, mit größeren Heimatmärkten. Da nützt auch der Appell von Nouri Jouini nur wenig. Der tunesische Minister für Entwicklung und internationale Zusammenarbeit fordert die Deutschen auf: "Der Moment ist jetzt da, die tunesische Wirtschaft auf dem Weg in die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu begleiten." 
Doch die angereisten Manager wollen weniger begleiten als verdienen: "Alles ist hier darauf ausgerichtet, Investoren zu finden, doch ich suche nur Kunden", mault Jilali Lakraa, Verkaufsdirektor beim Remscheider Textilmaschinenhersteller Barmag. Sein Mobiltelefon gibt indische oder arabische Töne von sich, je nachdem, von wo er angerufen wird. In China, sagt er, kann er riesige Anlagen zur Faserproduktion absetzen. Selbst in seinen kühnsten Träumen sieht er so etwas in Tunesien nicht. 
Mehr, wenn auch nicht übertriebene Hoffnungen macht sich Siemens-Büroleiter Frank N. Beicken. Bei Tunis soll ein neuer Flughafen gebaut werden. Da winken Aufträge für Flugsicherung und andere elektronische Einrichtungen. Doch vorerst winken sie eben nur. 
Und Eva Maria Roer fragt sich, warum sie in 70 Ländern ihre zahntechnischen Laboreinrichtungen verkaufen kann, ausgerechnet in Tunesien aber nicht. Doch statt Verträge zu unterzeichnen, fällt sie um Mitternacht ins Bett; todmüde nach dem Besuch des Museums einschließlich einer animierten Ali-Baba-und-die-40-Räuber-Show. 
Kein Kunde, nirgends. 
Tatsächlich Geld nach Tunesien bringen will Klaus Gohl, geschäftsführender Gesellschafter der KaGo & Hammerschmidt GmbH im bayerischen Wunsiedel. Sein Unternehmen stellt aus natürlichen Zutaten künstliche Landschaften her: Er sucht in Tozeur brauchbare Palmen. Deren Rinde braucht er, um sie daheim um Plastikrohre zu winden, die nach den Vorgaben der Kunden gebogen sind. Ein Bombengeschäft vor allem in Hotels und Freizeitanlagen der Staaten am persischen Golf. Bislang kauft Gohl seine Palmen in Indien und Pakistan. Doch das ist ziemlich weit weg. 
Allzu eilig hat er es aber auch nicht: Gegenwärtig ist sein Unternehmen stark beschäftigt im Essener Zoo mit Gehegen für Eisbären und Robben. 
Und dafür braucht er keine Palmen. 
Artikel erschienen am 9. Mai 2004