Ressort Berlin aus der Morgenpost vom Dienstag, 11 Oktober 2005
Zahl der Scheinehen in Berlin steigt
Gericht registriert Zunahme von 20 Prozent - 500 Zweckbündnisse werden jährlich in der Hauptstadt geschlossen
Von Hans H. Nibbrig
Das Berliner Verwaltungsgericht muß sich immer häufiger mit dem Problem Scheinehen befassen. Im Jahr 2004 wurden nach Angaben eines Justizsprechers vor dem Gericht etwa 900 derartige Fälle verhandelt. Gegenüber dem Vorjahr war das ein Anstieg von 20 Prozent.
Den zuständigen Behörden in der Hauptstadt ist das Problem seit Jahren bekannt. Experten schätzen, daß in Berlin jährlich etwa 500 Scheinehen geschlossen werden. Bei dieser Zahl handele es sich zwar um eine Dunkelziffer, sie sei aber durchaus realistisch, sagte Michael Hampel von der Senatsinnenverwaltung dieser Zeitung.
"Typische Merkmale, die den Verdacht einer Scheinehe begründen, sind Eheschließungen von Personen kurz nach einer negativen Entscheidung über die Aufenthaltsberechtigung oder unmittelbar vor der drohenden Ausweisung oder Abschiebung", erläuterte Hampel. Hellhörig würden die Behörden aber auch, wenn eine illegal eingereiste Person bereits unmittelbar nach ihrer Ankunft einen heiratswilligen zukünftigen Ehepartner präsentiert. Weitere Indizien für eine Scheinehe: ein ungewöhnlich großer Altersunterschied oder mehrere Wohnsitze, die auch nach einer Eheschließung beibehalten werden.
Besteht der Verdacht einer Scheinehe, wird die Ausländerbehörde aktiv. Deren Ermittler suchen die zukünftigen Ehepartner auf, ziehen Erkundigungen bei Verwandten, Bekannten und Nachbarn der Heiratswilligen ein und konfrontieren vor allem diese selbst mit einem umfangreichen Fragenkatalog.
Wann und wo haben Sie sich kennengelernt? Was haben Sie ihrem Zukünftigen zum letzten Geburtstag geschenkt? Wie heißen Ihre Schwiegereltern mit Vornamen? Welches Parfüm benutzt ihre Partnerin? Wie rasiert sich Ihr Partner, trocken oder naß? - Wer diese scheinbar banalen Fragen nicht beantworten kann, der bekommt ein Problem: Die Eheschließung kann abgelehnt werden, oder bei einer bereits geschlossenen Ehe verliert der nichtdeutsche Partner die erschlichene Aufenthaltsberechtigung.
Obwohl das Eingehen einer Scheinehe strafbar ist, finden Interessenten viel Unterstützung. Im Internet wimmelt es von Hilfsangeboten. Diese kommen vor allem von Gruppen und Initiativen, die regelmäßig für ein liberaleres Asylrecht eintreten und unverdrossen "Bleiberecht für Alle" propagieren.
Sie liefern ausführliche Hinweise, wie man sich gegenüber Behörden verhält, wie man unverdächtig bleibt und auf welche Überprüfungen man sich einstellen muß. Diese Gruppen betrachten Scheinehen als legitimes Mittel, eine Ausweisung zu umgehen, und haben auch einen entsprechenden Namen für diese Zweckbündnisse: Schutzehen. Häufig, so Michael Hampel, fänden sich Hilfs- und Beratungsangebote zum Thema Scheinehe auch in kaum verklausulierten Anzeigen in Zeitungen und Magazinen.
URL dieses Artikels:
http://www.morgenpost.de/content/2005/10/11/berlin/784969.html