10.12.2005 18:02
"Ehre - Stolz - Scham"
Islam im Kiez
Der Film von Margarethe Steinhausen zeigt die Arbeit des Berliner Mädchentreffs "MaDonna". Mädchen aus türkischen und arabischen Familien können dort Dinge tun, die zu Hause tabu sind. Die RBB Fernsehen Online Redakteurin Andrea Stäritz sprach mit der Autorin.
Wiederholungen:
Montag, 12.12.2005, um 11:30 Uhr
Mittwoch 14.12.2005, um 0:25 Uhr
Infos zum Film
Im "MaDonna" können die jungen Muslima mit der Leiterin Gabriele Heinemann über die Themen Selbstbestimmung, Frauenrechte, ***ualität und Freiheit sprechen.
Machos reden abfällig vom "Hurentreff". Denn im MaDonna ist erlaubt, was sonst verboten ist. Lust an der Bewegung zum Beispiel. Hiphop-Training schon für die Jüngsten. Für kleine Araberinnen ist das eigentlich "haram", also sündig.
Am Berliner Falkplatz, mitten zwischen quadratischen Betonblöcken, predigt Gabi Heinemann unablässig Selbstständigkeit. Und zwar denen, die davon zu Hause kaum etwas hören: Jungen Mädchen und Frauen aus türkischen oder arabischen Familien.
Gabi Heinemann leitet den Mädchentreff MaDonna. "Wir haben ein Problem, und das heißt ‚Islam’. Ein Islam, der Frauen und Mädchen unterdrückt." In der Kuschelecke für Teenager reden Mädchen über Themen, die zu Hause tabu sind. ***ualität, Freiheit, Selbstbestimmung, Frauenrechte.
Gezielte Projektarbeit zu Themen wie Ehre – Stolz – Scham kratzen an althergebrachten islamischen Vorstellungen. Wie die Postkarte: "Ehre ist, für die Freiheit meiner Schwester zu kämpfen". Für solche Aktionen haben auch junge Muslime Zutritt im Mädchentreff.
MaDonna – ein Stachel im Fleisch einer Parallelwelt, in der die islamische Leitkultur immer mehr die Köpfe beherrscht.
Film von Margarete Steinhausen
Interview mit der Autorin Margarethe Steinhausen
Drehen in einem Mädchentreff für muslimische Einwandererkinder - ein nicht einfach zu realisierendes Projekt. Welche Erfahrungen hat die Autorin während der Dreharbeiten gemacht?
Solch ein Film ist sicherlich nicht leicht zu realisieren, zumal im Rollbergviertel in Berlin. Wie ist dieser Kiez zu beschreiben?
Der Rollberg-Kiez liegt zwischen Hermann- und Karl-Marx-Straße im Bezirk Neukölln. Eine Siedlung aus den siebziger Jahren, in der gut fünftausend Menschen aus 33 Nationen zusammenleben. Etwa die Hälfte der Bewohner sind Deutsche, die meisten allerdings schon im Rentenalter. Das Rollberg-Viertel hat bundesweite Schlagzeilen gemacht, als bei einem Einsatz ein Beamter der SEK erschossen worden ist. Bis vor drei Jahren sorgten Jugendbanden für Angst und Schrecken. Viele junge Männer haben am zentralen Ort des Viertels, dem Falkplatz, Platzverbot. Dort liegt ein Mädchentreff. Das "MaDonna" gilt konservativen Islamisten im Viertel als "Hurentreff".
Welche Erfahrungen haben Sie bei den Dreharbeiten gemacht? Wie konnte der Kontakt zu dem Mädchentreff, zu den Mitarbeiterinnen und den Mädchen hergestellt werden?
Es war sehr einfach, den Kontakt zur Leiterin des "MaDonna" herzustellen. Gabi Heinemann hat sich lange für Informationsgespräche Zeit genommen und hat das Filmprojekt von Anfang an klar unterstützt. Sie hat auch ihre Mitarbeiterinnen ermuntert, sich vor der Kamera zu heiklen Fragen zu äußern. Einige der Mitarbeiterinnen waren von vornherein sehr offen. Andere waren reserviert, vor allem wegen früherer negativer Presseerfahrungen. Um einen engeren Kontakt und gegenseitiges Vertrauen herzustellen, habe ich im Sommer vor den Dreharbeiten viele Nachmittage am Falkplatz verbracht und Einzelgespräche geführt.
Der Film als Projekt war ja nicht unumstritten im Kiez - wurden Sie angefeindet? Welche positiven Reaktionen gab es?
Männliche Maulhelden zwischen 16 und 20 haben uns mitunter angepöbelt. An einem Drehtag wurde ein Reifen unseres RBB-Autos zerstochen. Bei verschiedenen Gelegenheiten durften wir nicht drehen, obwohl der Termin vereinbart war. Zum Beispiel das Frauenfrühstück der türkischen Quartiersmanagerin Ayten Köse. Hier treffen sich auch türkische und arabische Frauen, deren Männer überhaupt nicht wissen, wo sie ihre Freitagvormittage verbringen. Sie hatten Angst, dass ihre Männer sie im Fernsehen sehen könnten. Das Frauenfrühstück ist mehr als ein Kaffeekränzchen: Hier wird auch informiert und diskutiert, beispielsweise: 'Was tun bei häuslicher Gewalt?'. Aber es gab auch positive Haltungen unserer Arbeit gegenüber, nach dem Motto: 'Gut, dass ihr nicht nur für einen Tag hier anrauscht und nur eure Vorurteile über den "kriminellen Rollberg" bestätigt'.
Besteht nicht die Gefahr, dass Autorin und Zuschauer mit einem distanzierten Blick auf die "armen unterdrückten Mädchen" schauen? Wie sind Sie mit dem Problem umgegangen?
Ich habe versucht, nicht ein Klischee zu bedienen, das leider weit verbreitet ist. Grundsätzlich suche ich immer nach Menschen, die sich mit einer schwierigen Situation nicht abfinden, sondern sie verändern wollen. Diese jungen Mädchen habe ich im MaDonna gefunden. Hier werden Mädchen in ihren Rechten gestärkt, ganz gleich, ob sie ein Kopftuch tragen oder nicht. Dort sind kaum "arme, unterdrückte Mädchen" anzutreffen, aber doch viele, die zwischen zwei sehr
verschiedenen Kulturen klar kommen müssen. Dabei werden sie täglich von Gabi Heinemann und ihren Kolleginnen unterstützt. Mich hat sehr beeindruckt, mit wieviel Engagement sich junge, liberale Musliminnen im Rollberg-Kiez gegen die zunehmende konservative Islamisierung zur Wehr setzen. Wie Güner Balci, die im MaDonna Medien-Arbeit macht. Mit aufrüttelnden Postkarten-Motiven prangern sie beispielsweise die Folgen von Zwangsverheiratung junger Mädchen an und setzen sich mit dem fragwürdigen Ehrbegriff patriarchalischer Kreise auseinander. So zeigt der Film beides: Neunjährige Mädchen, die schon ein Kopftuch tragen und nicht im MaDonna mittanzen dürfen, weil das "haram", also sündig ist. Aber auch temperamentvolle junge Frauen, die dagegen - erfolgreich - aufbegehren.
Wie waren nach der Erstausstrahlung in der ARD die Reaktionen im Kiez, bei den Mädchen und bei den Mitarbeiterinnen von MaDonna? Kritik gab es, so wurde mir berichtet, nur von einigen arabischen Männern. Die Mädchen fanden den Film "cool" und haben mich bei einem Besuch im MaDonna mit Beifall begrüßt. Auch die Reaktion von Gabi Heinemann und ihren Kolleginnen war rundum positiv. Am meisten bewegt hat mich die Reaktion in der Familie von Selma. Eine 26-jährige Frau, die mit 13 Jahren von Bremen nach Berlin zwangsverheiratet worden ist und vor der Kamera zum ersten Mal ihre Geschichte erzählt hat. Ihre gesamte Familie hat vor dem Fernseher gesessen. Anschließend haben Selma und ihr Mann sich den kritischen Fragen ihrer Töchter stellen müssen. Töchter übrigens, die täglich Gast im MaDonna sind. Selma wird nun für ihren Mut im Kiez bewundert.
Haben Sie als Autorin von Dokumentarfilmen vergleichbare Erfahrungen auch schon früher gemacht? Was haben Sie von den Mädchen und den Projektarbeiterinnen mitgenommen?
Jedes Projekt ist anders und hat eigene Schwierigkeiten. Beeindruckt hat mich im Rollberg-Kiez das große Engagement von Fauen wie Gabi Heinemann, Güner Balci und Ayten Köse. Sie arbeiten nach dem Motto: Sich nicht unterkriegen lassen, Kontroversen aushalten, in schwierigen Situationen zusammenhalten und nicht schnell aufgeben. Das ist vorbildlich, auch für mich.
Das Interview führte die RBB Fernsehen Online Redakteurin Andrea Stäritz
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