http://www.arabic-music.de/content/music/musiker/big-men.shtmlKARIBIK IN AFRIKA - AFRIKA IN DER KARIBIK
Raï Meets Reggae
Genau genommen ist das Radio an allem schuld. Denn bis zum Ende der vierziger Jahre waren die meisten Jamaikaner mit der Klangtradition im Reinen und hörten populäre Mento-Musik oder exilafrikanische Überlieferungen.
Als aber die Transistoren billiger wurden und die Begehrlichkeiten wuchsen, entstanden auch die Bedürfnisse, der missionierenden amerikanischen Konsumkultur etwas entgegen zu setzen —vom Soundsystem bis zum Dub. Also haben Reggae und Raï nicht nur den Spaß am Spiel gemeinsam, sondern auch den popmusikalischen Ansporn, es besser und anders zu machen als die akustischen Kolonisatoren. Ähnlich wie in Kingston hörte die algerische Jugend von Oran die Verheißung aus den Charts und modifizierte sie auf der Grundlage eigener Hörerfahrungen zur arabisch geprägten Popmusik mit westlichen Klanganleihen. Gemeinsam haben sich die Trendsetter aus der Karibik und Nordafrika allerdings bislang kaum vor die Mikrofone gewagt. Zeit für einen neuen Anfang. Die Idee von «Big Men» jedenfalls war einfach und bestechend: Man nehme eine hervorragende, über jede stilistische Anfechtung erhabene Rhythmusgruppe (Sly Dunbar & Robbie Shakespeare), miete ein Studio in Kingston und lade die Gäste in verschiedenen Besetzungen vor die Mikrofone. Das Risiko war groß, denn niemand konnte vorhersehen, ob die Vibrations stimmten. Doch mit Künstlern wie Gregory Isaacs, Horace Andy, U Roy auf der jamaikanischen und Anouar, Khaled oder Larbi Dida auf der algerischen Seite waren genügend herausragende Charaktere im Studio versammelt, die ein Mindestmaß an Qualität der Aufnahmen garantierten. Als es schließlich losging, waren alle Zweifel verflogen. Denn es trafen sich jeweils ein Dutzend Raï- und Reggae-Koryphäen und hielten 14 Stücke auf Bändern und Harddisks fest.
Den Produzenten war etwas gelungen, was es bislang noch nicht gab: Raï und Reggae hatten zueinander gefunden, ohne dass einer der Partner dominierte. Die Leichtigkeit der Musik, aber auch die Direktheit der Texte blieb erhalten. Die Verknüpfung arabischer Melodielinien mit dem Off-Beat Jamaikas wirkte sogar derart überzeugend, als hätten die Popkulturen aus zwei verschiedenen Regionen der Welt schon immer zusammengehört.
Big Men. Raï Meets Reggae.
Exil (Indigo Vertrieb).
Januar 2002.