Tunesiens autoritäres Regime
Weitermachen mit eiserner Hand
Egal ob weltliche Opposition oder Islamisten - in Tunesien bekommen es alle mit dem Staatsschutz zu tun. Und Präsident Ben Ali wird die Wahlen mit mehr als 90 Prozent gewinnen. VON REINER WANDLER
Ben Ali sitzt fest im Präsidentensessel. Damit es so bleibt, wird die Opposition so gut wie mundtot gemacht. Foto: ap
MADRID tazSo sieht Wahlkampf auf tunesisch aus: Ein paar Plakate des Präsidenten Zine al-Abidine Ben Ali. Die seiner drei Gegenkandidaten fehlen fast völlig. Große Wahlkampfveranstaltungen führt nur der seit 22 Jahren regierende ehemalige General durch. In den Tageszeitungen sowie in Rundfunk und Fernsehen wird über seine Herausforderer so gut wie nicht berichtet. Niemand zweifelt daran: Der 73-jährige Staatschef wird abermals mit mehr als 90 Prozent gewinnen und für eine fünfte Amtszeit in den Präsidentenpalast in Karthago einziehen. Auch bei den zeitgleich stattfindenden Parlamentswahlen gilt ein hoher Sieg seiner Konstitutionellen Demokratischen Sammlung (RCD) für ausgemacht. Die Präsidentenpartei zählt inzwischen mehr als 3 Millionen Mitglieder. 5 Millionen Tunesier sind wahlberechtigt.
Der einzige wirkliche Oppositionskandidat Ahmed Brahim, der Vorsitzende der aus der kommunistischen Partei hervorgegangenen Erneuerungsbewegung, fordert "einen Bruch mit dem autoritären System und der Vetternwirtschaft". Doch klare Worte werden in Tunesien nicht geduldet. Brahims Wahlmanifest wurde zensiert und wartet bis heute auf Drucklegung. Seine Wahlplakate wurden erst eine Woche vor dem Urnengang fertig. Die Zeitung seiner Partei, Ettarik al-Jadid (Der Neue Weg), wurde vorübergehend verboten. Ihr Vergehen: Sie hatte eben jenes Wahlprogramm veröffentlicht. "Ein Verstoß gegen das Wahlgesetz", so die Behörden.
Außer Brahim stellen sich der Sozialdemokrat Mohammed Bouchiha und der Nationalist Ahmed Inoubli zu Wahl. Beide gelten als regimenahe Politiker. Ein weiterer Bewerber, der Sozialist Ben Jaafar wur de nicht zugelassen. Das Parlament hatte eigens für ihn ein Gesetz erlassen. Nur wer zwei Jahre einer politischen Formation vorsteht, kann für das Präsidentenamt kandidieren. Ben Jaafar erfüllt diese Bedingung nicht. Ein weiterer Oppositionspolitiker, Néjib Chebbi, zog seine Kandidatur bereits im Spätsommer zurück. "Der Wahl fehlt ein Mindestmaß an Freiheit, Integrität und Transparenz", erklärte er.
Ben Ali, der vor fünf Jahren mit knapp 95 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt wurde, regiert Tunesien seit 1987 mit eiserner Hand. Protestbewegungen gegen die Erhöhung der Lebensmittelpreise und gegen Wahlbetrug wurden verfolgt, die islamistische Ennahda wurde Anfang der Neunzigerjahre verboten. Tausende machten mit dem Gefängnis Bekanntschaft. Seither duldet Ben Ali keine Kritik. Ob weltliche Oppositionsparteien oder Islamisten, ob Menschenrechtler oder Gewerkschaftsaktivist en: Sämtliche Akteure bekommen es immer wieder mit dem mächtigen Staatsschutz zu tun.
Nachdem 2003 ein neues Antiterrorgesetz verabschiedet worden ist, sind laut Amnesty International (ai) rund 2.000 Menschen als Terroristen verurteilt worden. Wer jung ist, einen Bart trägt, häufig die Moschee und ein Internetcafé besucht, gilt als verdächtig. "Oft werden Unterlagen gefälscht, um die tatsächliche Zeit ihres Polizeigewahrsams zu vertuschen und so einen Anschein von Legalität zu wahren", heißt es im neuesten Länderbericht von ai.
Ben Ali kann dennoch mit der Unterstützung Europas rechnen. Als im benachbarten Algerien Anfang der Neunzigerjahre ein blutiger Bürgerkrieg zwischen der Armee und den Islamisten ausbrach, hielt er sein Land ruhig. Daher gilt Tunesien dank Be n Ali als stabil. Dass es dennoch unter der Oberfläche brodelt, offenbarte erstmals der Anschlag auf eine Synagoge auf der Urlaubsinsel Djerba im Jahr 2002. Die Tat, bei der 25 Menschen ihr Leben verloren, hat das Regime den von außen gesteuerten, Al-Qaida-nahen Gruppen zugeschrieben. Doch spätestens zum Jahreswechsel 2006/2007 war klar, dass sich auch im Land bewaffnete Gruppen gebildet hatten. Bei zwei Schießereien unweit der Hauptstadt Tunis wurden seinerzeit insgesamt 17 Menschen getötet und mehrere Polizisten schwer verletzt. Während damals unabhängige Quellen den Zwischenfall radikalen Islamisten zuschrieben, reden die Behörden bis heute von "Drogenhändlern und Waffenschiebern". Alle anderen Vermutungen würden den Mythos vom stabilen Tunesien zerstören.
Menschenrechtlerin Bensedrine über Tunesiens Diktatur
"Schlimmer als im Iran"
Die Oppositionelle Sihem Bensedrine wirft Europa vor, das Regime in Tunis zu stützen. Sie sagt: Tunesien ist nicht wirklich stabil, es braucht einen friedlichen Wandel. Ansonsten siegt religiöser Extremismus.
Sihem Bensedrine: "Gegen mich läuft ein Verfahren wegen illegaler Benutzung einer Frequenz." Foto: hamburger stiftung
taz: Jedes Jahr fahren Millionen Touristen nach Tunesien. Für sie stellt sich das nordafrikanische Land als gemäßigt dar. Sie hingegen reden von einer Diktatur. Wie kann das sein, Frau Bensedrine?
Sihem Bensedrine: Die Touristen sehen nur eine Fassade. In Tunesien gibt es keinerlei politische Freiheiten. Das Regime von Ben Ali lässt selbst eine gemäßigte Opposition nicht frei arbeiten. Das erleben wir zurzeit im Wahlkampf. Am kommenden Sonntag sind Präsidentschaftswahlen. Es ist eine große Farce.
SIHEM BENSEDRINE
Die 58-jährige Journalistin und Sprecherin des Nationalen Rats für Freiheit in Tunesien kämpft seit 1980 für Menschenrechte in ihrer Heimat. 2001 wurde sie nach Publikationen über Korruption und Folter inhaftiert. Das Büro von Sihem Bensedrine wurde immer wieder durchsucht. Maskierte Männer überfielen und schlugen sie zudem auf offener Straße.Telefon und Fax werden gekappt, auch während dieses Interviews. Seit einigen Jahren lebt sie in Deutschland und Österreich. Zum Wahlkampf kehrte sie in ihre Heimat zurück. 2002 erhielt sie den Johann-Philipp-Palm-Preis für Meinungs- und Pressefreiheit.
Wie werden denn Oppositionelle behindert?
Ein Kandidat wurde mit einem neuen Gesetz sogar daran gehindert, an den Wahlen teilzunehmen. Wer kandidieren will, muss zuvor zwei Jahre Parteivorsitzender gewesen sein. Der Sozialdemokrat Mustapha Ben Jaafar erfüllt diese Bedingung nicht. Präsident Ben Ali tut alles, um seine Wiederwahl zu garantieren. Er ist so eine Art Präsident auf Lebenszeit.
Gibt es Zensur?
In der Presse kommt die Opposition so gut wie nicht vor. So wird zum Beispiel der Oppositionskandidat Ahmed Brahim von der Bewegung Ettajid behindert, wo es nur geht. Seine Zeitung wurde geschlossen. Er konnte bis zuletzt sein Wahlprogramm nicht drucken lassen. Und vielerorts wird die Opposition daran gehindert, die Plakate anzubri ngen.
Können Sie sich frei bewegen?
Nein. Ich hatte eigentlich eine Reise in den Nordwesten des Landes geplant. Wir wurden gestoppt und vier Stunden lang festgehalten. Dann wurde uns mitgeteilt, dass wir ohne Genehmigung der Polizei und des Innenministeriums nicht weiterreisen können.
Aber die Einschränkungen betreffen nicht nur Sie, oder?
Heute wurden meine Kollegen des Nationalen Rats für die Freiheit in Tunesien von 20 Poliz isten daran gehindert, unser Büro in der Hauptstadt zu betreten.
Sie betreiben weiterhin Ihren Radiosender Kalima?
Ja, wir machen Radio. Unsere Reporter arbeiten unter extrem schwierigen Bedingungen und wir senden von Europa aus. Unser tunesisches Büro wurde im Januar geschlossen. Die Polizei hat sämtliches Material beschlagnahmt. Und gegen mich läuft ein Verfahren wegen illegaler Benutzung einer Frequenz.
Gibt es unter solchen Bedingungen überhaupt noch so etwas wie eine Zivilgesellschaft?
Es gibt kleine Gruppen, die sich für Bürgerrechte einsetzen. Sie können nichts veröffentlichen und keine Kundgebungen abhalten. Das geht so weit, dass das Regime formal unabhängige Organisationen wie die Gewerkschaften kontrolliert. Als die Journalistengewerkschaft einen unabhängigen Vorstand wählte, organisierten regimetreue Mitglieder einen Putsch und setzten so den Vorstand ab.
Trotz aller Widerstände: Es gibt das Internet. Das dürfte doch eine unabhängige Informationsquelle sein.
Ja, Internet ist wie ein Fenster zur Freiheit. Soziale Netzwerke wie Facebook sind sehr populär. Sie bieten die Möglichkeit zum freien Austausch mit anderen, auch außer halb des Landes. Aber das Regime kontrolliert das Internet, auch E-Mails. Die Polizei hat Spezialeinheiten, die das Netz durchforsten und kritische Seiten sperren lassen.
Wie gehen die Behörden vor?
Es wird genau überprüft, wer Zugang zum Internet bekommt. Die Internetcafés werde ebenfalls überwacht. Wer dort ins Netz geht, bekommt eine Zugangsnummer. Diese lässt sich zurückverfolgen.
Seit den vergangenen Wahlen im Iran setzt die internationale Staatengemeinschaft die autoritäre Regierung in Teheran unter Druck. Bei Tunesien schaut Europa weg. Stimmen Sie zu?
Europa unterstützt die Diktatur in Tunesien - vor allem Frankreich und auch Deutschland. Dabei ist die Situation in Tunesien wesentlich schlimmer als im Iran. Dort sind immerhin Demonstrationen möglich. In Tunesien ist jedwede öffentliche Aktion verboten. Die Überwachung durch die Polizei ist allgegenwärtig.
Warum akzeptieren einige Regierungen in Europa die Politik des tunesischen Präsidenten Ben Ali?
Für Europa ist Ben Ali ein Garant im Kampf gegen den religiösen Extremismus. Deshalb ist er einer der wichtigsten Alliierten Europas. Dabei wissen die Europäer sehr genau, dass Tunesien ein totalitäres und auch extrem mafiöses Regime ist. Der Clan von Ben Ali bereichert sich grenzenlos. Das schadet auch den wirtschaftlichen Perspektiven des Landes.
Europa setzt also auf Stabilität statt auf Freiheit.
Stabilität ohne Freiheit ist auf Dauer nicht möglich. Das gilt auch für Tunesien. Die vermeintliche Stabilität wird nicht lange anhalten. Wenn Menschen verfolgt werden, die einen friedlichen, demokratischen Wandel herbeiführen wollen, stärkt das diejenigen, die auf gewaltsame Veränderungen setzen. Wenn es zu einem Bruch an der Staatsspitze kommen sollte, dann sind wir wesentlich größeren Gefahren ausgesetzt. Die Stabilität ist also nur eine Fassade. Sie verdeckt die eigentliche Situation. Wer glaubt, zwischen Stabilität und Freiheit wählen zu können, setzt das Land erst recht der Gewalt und dem religiösen Extremismus aus.
INTERVIEW: REINER WANDLER
Source:
http://www.taz.de/1/politik/afrika/artikel/1/weitermachen-mit-eiserner-hand-1/